Forschende der Chalmers University of Technology in Schweden haben ein Modell entwickelt, mit dem sich komplexe und gewölbte Strukturen aus Textilbeton zuverlässiger berechnen lassen als bisher. Material- und ressourcensparende Brücken, Tunnel und Gebäude aus Textilbeton könnten damit einfacher realisiert werden.
Die Bauindustrie steht vor der Herausforderung, ihren gigantischen Kohlenstoff-Fußabdruck zu reduzieren. Die Herstellung von Zement, einem Schlüsselbestandteil von Beton, trägt erheblich zu den weltweiten CO2-Emissionen bei.
Eines der Probleme besteht darin, dass bei der Herstellung große Mengen an Kohlendioxid freigesetzt werden, die im Kalkstein gebunden sind. Jedes Jahr werden weltweit etwa 4,5 Milliarden Tonnen Zement hergestellt, und die Zementindustrie ist für etwa 8 Prozent der weltweiten Kohlendioxidemissionen verantwortlich. Es wird daher intensiv an alternativen Methoden und Materialien für Betonkonstruktionen geforscht.
Weniger Zement mit Textilbeton
Durch die Verwendung alternativer Bindemittel anstelle von Zement – z.B. Ton oder Vulkanasche – lassen sich die Kohlendioxidemissionen zwar weiter reduzieren; bislang ist jedoch unklar, wie gut solche neuen Bindemittel die Stahlbewehrung langfristig schützen können.
„Ein Großteil des Betons, den wir heute verwenden, hat die Funktion einer Schutzschicht, welche die Stahlbewehrung vor Korrosion schützt. Wenn wir stattdessen Textilbewehrung verwenden, können wir den Zementverbrauch senken und auch weniger Beton verwenden – und damit die Auswirkungen auf das Klima verringern“, erklärt Karin Lundgren, Professorin für Betonkonstruktionen an der Fakultät für Architektur und Bauingenieurwesen im schwedischen Chalmers.
Neues Berechnungsmodell
Durch die Verstärkung von Beton mit Textilfasern anstelle von Stahl ist es also möglich, weniger Material zu verwenden und schlanke, leichte Strukturen mit deutlich geringeren Umweltauswirkungen zu schaffen. Die Technologie ist nicht neu – allerdings war es bislang eine Herausforderung, komplexe und gewölbte Strukturen aus Textilbeton zuverlässig zu berechnen.
Karin Lundgren und ihr Forschungsteam haben deshalb eine neue Modellierungstechnik entwickelt, die eine zuverlässige Analyse der Wechselwirkung zwischen Textilbewehrung und Beton erlaubt. Diese Methode vereinfacht die Berechnung komplexer Strukturen und verringert die Notwendigkeit umfangreicher Tragfähigkeitsprüfungen. „Wir haben eine Methode entwickelt, die die Berechnung komplexer Strukturen erleichtert“, fasst Lundgren zusammen.
Komplexe Wechselwirkung
Ein textiles Bewehrungsnetz besteht aus Garnen, wobei jedes Garn aus Tausenden von dünnen Filamenten (langen Endlosfasern) besteht. Die Bewehrungsmatte wird in Beton gegossen, und wenn der textilbewehrte Beton belastet wird, gleiten die Filamente sowohl gegen den Beton als auch (im Inneren des Garns) gegeneinander. Ein Textilgarn in Beton verhält sich also nicht wie eine Einheit – was wichtig ist, wenn man die Belastbarkeit des Verbundmaterials verstehen will. Die von den Chalmers-Forschern entwickelte Modellierungstechnik beschreibt diese Effekte.
„Man könnte es so beschreiben, dass das Garn aus einem inneren und einem äußeren Kern besteht, die bei Belastung des Betons in unterschiedlichem Maße beeinflusst werden. Wir haben eine Test- und Berechnungsmethode entwickelt, die diese Wechselwirkung beschreibt. In Experimenten konnten wir zeigen, dass unsere Berechnungsmethode auch für komplexe Strukturen zuverlässig genug ist“, sagt Karin Lundgren.
Nachhaltigere Fußbodenkonstruktionen
Ein Bereich, in dem die textile Bewehrungstechnologie die Umweltauswirkungen erheblich reduzieren könnte, ist die Konstruktion von gewölbten Decken. Da der größte Teil der Klimabelastung eines Gebäudes während seiner Herstellung von den Fußbodenkonstruktionen ausgeht, ist dies eine effektive Möglichkeit, nachhaltiger zu bauen.
Eine frühere Forschungsstudie der Universität Cambridge zeigt, dass Textilverstärkungen die CO2-Emissionen im Vergleich zu herkömmlichen Massivdecken um bis zu 65 Prozent reduzieren können.
Blick in die Zukunft
Die Arbeit der Chalmers-Forschungsgruppe ist noch nicht abgeschlossen. Sie zielt darauf ab, Optimierungsmethoden für größere Strukturen zu entwickeln, um den wachsenden Bedarf an umweltfreundlichen Bauweisen zu decken. Angesichts der Prognosen, dass sich die gesamte Bodenfläche der Welt in den nächsten vier Jahrzehnten aufgrund des steigenden Wohlstands und des Bevölkerungswachstums verdoppeln wird, betont Lundgren die Dringlichkeit: „Wir müssen alles daran setzen, so ressourceneffizient wie möglich zu bauen, um der Herausforderung des Klimawandels zu begegnen.“
Diese Forschungsarbeit zeigt einen vielversprechenden Weg auf, wie die Bauindustrie ihre Umweltauswirkungen reduzieren kann, indem sie innovative Materialien und Methoden nutzt. Die von der Chalmers University of Technology entwickelte Methode ist ein wichtiger Schritt in Richtung eines nachhaltigeren Bauwesens, das die Umwelt weniger belastet und gleichzeitig die Anforderungen einer wachsenden Weltbevölkerung erfüllt.
Im Artikel Textile reinforced concrete members subjected to tension, bending, and in-plane loads: Experimental study and numerical analyses berichten Karin Lundgren und ihr Forschungsteam über ihre neue Methode zur Berechnung von textilbewehrten Betonbauteilen. Erschienen im Fachmagazin »Construction and Building Materials«.
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