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Was die Stadtplanung von der Biotechnologie lernen kann

Forschungsprojekt »ZELLE | ParZELLE«
Urbane Räume nachhaltig gestalten

Urbane Räume nachhaltig gestalten
Das interdisziplinäre Projekt »ZELLE | ParZELLE« vergleicht die Zelle, die kleinste lebendige Einheit in der Natur, mit der Parzelle, dem kleinsten Strukturelement der Stadt, und untersucht, welche Erkenntnisse sich daraus für die Stadtplanung ergeben.  Foto: sinhyu/stock.adobe.com

Was kann die Stadtplanung von der Biotechnologie lernen? Dieser Frage gehen das Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib) und das Grazer Büro für Stadtplanung und Stadtforschung adasca e.U. im interdisziplinären Projekt »ZELLE | ParZELLE« nach.

Das Projekt vergleicht die Zelle, die kleinste lebendige Einheit in der Natur, mit der Parzelle, dem kleinsten Strukturelement der Stadt, und untersucht, welche Erkenntnisse sich daraus für die Stadtplanung ergeben. Ziel des Projektes ist es, städtische Gebiete in Zukunft nachhaltiger zu gestalten – und dabei aktuelle Einflussfaktoren wie Klimawandel, Ressourcenknappheit, Demografie und Bevölkerungswachstum zu berücksichtigen.

Interdisziplinärer Ansatz 

„Wir wollen nicht nur aus biotechnologischer Sicht nach der Systematik und den Eigenschaften einer Zelle fragen, sondern die Zelle als Parzelle denken“, so adasca-Gründerin Sanela Pansinger. „Denn wie in den Zellen im menschlichen Körper findet ebenso ein Austausch zwischen der Parzelle und der Umgebung statt.“

Für das Projekt wurde deshalb ein interdisziplinärer Ansatz gewählt, der architektonische Raumplanung mit biotechnologischer Forschung verbindet. Bereits zu Beginn des Projekts wurde ein molekularbiologisches Team um acib-Projektleiterin Anita Emmerstorfer-Augustin in die Arbeit eingebunden. Ziel war es, den Aufbau und die Funktionsweise von Zellen besser zu verstehen, Gemeinsamkeiten beider Forschungsfelder herauszuarbeiten und vor allem zu klären, wie Parzellen in Zukunft nachhaltiger gestaltet werden können.

„Wir haben die formalen Ähnlichkeiten zwischen Zelle und Parzelle erfasst und ihre für uns unsichtbaren Strukturen lesbar gemacht“, erklärt Anita Emmerstorfer-Augustin. „So können wir vermitteln, welche Bedeutung das kleinste Strukturelement im Kreislauf des städtischen Lebens bzw. in Kreislauf des Lebewesens hat – und wie sich heutige Herausforderungen wiederum auf diese auswirken. Dieses Wissen gibt uns die Möglichkeit, die Rolle und das Potenzial der Parzelle bzw. Zelle bei der Schaffung eines ökologisch, ökonomisch, sozial und räumlich nachhaltigen Lebensraums zu verstehen.“

Wie Städte gesünder werden

Optimieren, aber nicht über-optimieren

Wie nahe Stadtplanung und Biotechnologie miteinander verwandt sind, zeigt sich nicht zuletzt im Prozess der Zellentwicklung. Diese folgt vier Stufen, die der Stadtplanung ähneln, erklärt Emmerstorfer-Augustin: „Entwerfen – Bauen – Testen – Lernen. Die Zelle wird so lange optimiert, bis sie das Maximum an Leistung bringt, z.B. bestes Wachstum unter harten Bedingungen und beste Produktivität bei der Herstellung von verschiedenen Feinchemikalien oder Proteinen.“ Die Optimierung einer Zelle führe oft nicht nur zum gewünschten Ziel, sondern auch zu ihrer völligen Erschöpfung. „Daher müssen wir als Biotechnologen die Balance finden, wo wir optimieren, aber nicht über-optimieren bis zur Nicht-Existenz.“

Systematisch auf den Bereich der Stadtplanung übertragen, bedeutet dies, dass ein Grundstück nicht ausschließlich unter wirtschaftlichen Aspekten optimiert werden sollte. „Nehmen wir Einkaufszentren als Beispiel, hier sind viele Parzellen zu einer großen Fläche zusammengefasst, oft mit Asphalt versiegelt“, so adasca-Gründerin Sanela Pansinger. „Die Parzelle wird optimiert und verschwindet. Der Kreislauf zwischen der Umgebung und dem Grundstück selbst wird unterbrochen. Es kommt zu einem Verlust an Identität und Widerstandsfähigkeit. Die Folgen dieser Prozesse sind Wärmeinseln, die wir gerade im Sommer stark spüren, aber auch Bodenverbrauch, starke CO2-Belastung und vieles mehr.“

„Ohne Grünflächen kollabiert das System irgendwann“, so die Forscherinnen und Forscher. „Stadtkerne und Begegnungszonen verschwinden und es findet immer weniger Kommunikation statt. Eine Begleiterscheinung der Überoptimierung von Städten ist außerdem, dass sich niemand mehr für seinen Raum, seine Parzelle verantwortlich fühlt, sich nicht zugehörig fühlt. Die Wohnungen werden immer kleiner, die Wohnbauten immer größer, wodurch die klassische europäische Bauweise verschwindet. Der identitätsstiftende Charakter einer Stadt ist zunehmend am Schwinden.“

Planungstool für kurze Wege

Vom Raum zum Lebensraum

Die »Persönlichkeit« einer Stadt ist laut Forschenden an vier Hauptkriterien abzulesen: 

  • der Erkennbarkeit und Klarheit von Räumen,
  • dem räumlichen Maßstab,
  • der Zugänglichkeit sowie
  • den topologischen Raumgrenzen und deren Anpassungsfähigkeit bzw. Wandelbarkeit.

Das Projekt »ZELLE | ParZELLE« möchte zudem Einflussfaktoren wie Klima, Raum, Kultur, Soziales und ökonomische Fragestellungen ins Projekt miteinbeziehen. Urbane Entwicklungen und Vorhaben müssten immer vor dem Hintergrund aktueller Rahmenbedingungen und Einflüssen wie Klimawandel, Ressourcenknappheit oder demografischer Entwicklung geplant werden, so die Forschenden. 

An diesem Scheideweg kann die Stadtplanung viel von der Natur und den Zelleigenschaften lernen. „Die Fläche gilt als Informationsträger für die nachhaltigen Eigenschaften einer Stadt“, so die am Projekt beteiligte Architektin Petra Kohlenprath.

„In der Vergangenheit haben wir oft die technologischen Errungenschaften dazu missbraucht, Räume zu ‚verbrauchen‘“, fügt Sanela Pansinger hinzu. „Künftig muss Technologie wieder den Austausch zwischen Parzelle und Kontext ermöglichen – und damit Kommunikation, Begegnung, Nachhaltigkeit und Räume der Ökologie, die nicht mehr nur dem ökonomischen Effizienzgedanken unterworfen sind. Denn die Eigenschaften einer gesunden Zelle sollten sich auch in einem nachhaltig bebauten Grundstück wiederfinden. Erst dann wird ein Raum zum Lebensraum.“

www.acib.at

www.adasca.at


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