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Grüne Unterwasserwelten

Einfamilienhaus in Leerdam (NL)
Grüne Unterwasserwelten

Robert Uhde

Seit Jahrhunderten träumen Architekten von Gebäuden, die nur aus Glas bestehen – ob bei den gotischen Kathedralen oder beim Kristallpalast von Joseph Paxton.
Im 20. Jahrhundert waren es dann zunächst die Architekten der Klassischen Moderne, die diese Suche weiter voran trieben; allen voran Mies van der Rohe, für den Glas, in Kombination mit Stahl, das Mittel war, um seine Architektur, die „beinah nichts“ war, zu realisieren.
Der Höhepunkt dieser Entwicklung war sein berühmtes Farnsworth House von 1951 – ein aufgeständerter Raum mit vier gläsernen Fassaden, in dem allein ein geschlossener Block im Zentrum Intimität bietet.
Innen offen
Genau den umgekehrten Weg verfolgt das durch die Amsterdamer Architekten Gerard Kruunenberg und Paul van der Erve entworfene und ebenfalls komplett aus Glas errichtete Einfamilienhaus „Laminata“ im niederländischen Leerdam: Statt eines offenen Raumes, der sich um einen geschlossenen Kern herum organisiert, konzipierten die Architekten einen offenen Patio im Zentrum von massiv verdichteten gläsernen Außenfassaden.
Ausgangspunkt der Entwicklung des Projektes war ein 1995 durch die in Leerdam ansässige Wohnungsbaugesellschaft CWL ausgelobter Wettbewerb zur Planung eines Einfamilienhauses, das anlässlich des 40-jährigen Bestehens des Unternehmens eine innovative und maximal mögliche Verwendung von Glas aufweisen sollte.
Gerard Kruunenberg und Paul van der Erve nahmen die Aufgabenstellung wörtlich und machten kurzerhand einen rund 20 m langen und etwa 650 Tonnen schweren Glasblock aus 13 000 vertikal angeordneten und flächig gegeneinander verleimten Floatglasplatten SGG Planilux von Saint Gobain Glass zum Kern ihrer Planung.
Ausgehöhlte Quader
In einem ersten Entwurfsschritt wurde der gläserne Quader in zwei unterschiedlich große Teile geschnitten, die anschließend auseinander gezogen wurden. Der dazwischen entstandene offene Raum wurde durch den Einsatz vier einzelner Glasscheiben in drei voneinander abgetrennte Zonen mit Patio, Küche und Wohnzimmer unterteilt.
In einem weiteren Schritt folgte die Aushöhlung der beiden massiven Glasvolumen: Im nach Westen gelegenen schmaleren Teil entstand ein lang gestreckter Gang, im gegenüber liegenden breiteren Teil finden sich zwei Schlafzimmer.
Zusätzlichen Wohnraum schafft ein weitgehend unterirdischer Betonsockel, in dem den Bewohnern neben dem zentralen Patio eine Garage und ein Atelier zur Verfügung stehen.
Licht- und Sichtspiele
Durch die unterschiedlich starken Außenfassaden ist den Architekten ein faszinierendes Zusammenspiel zwischen aneinander geleimten Floatglasplatten und einfallendem Tageslicht gelungen.
In Räumen, in denen mehr Sichtschutz nötig ist, zeigen sich die Außenwände massiver, in Bereichen, in denen mehr Licht erforderlich ist, wurden die Glasfassaden stärker ausgehöhlt und präsentieren sich dementsprechend transparenter. Höhepunkt ist dabei der rund 20 m lange Gang im Westteil des Gebäudes – der einzige Raum, in dem die ursprünglich für das gesamte Haus geplante gläserne Decke realisiert werden konnte.
Die Stärke der Glaswände variiert hier von 10 bis ungefähr 170 cm und lässt so jede nur erdenkliche Grünfärbung entstehen – von weißlich schimmerndem, fast transparentem Grün über Eisgrün bis hin zu tief schwarzem Grün.
Fast so, als befände sich der Besucher in einer geheimnisvollen Unterwasserwelt, in der je nach Wandstärke, Blickwinkel und Sonnenintensität immer neue Brechungen entstehen, und in der Innen und Außen lediglich durch gebrochene Abbilder miteinander in Beziehung treten.
Energetische Vorteile
Der radikal abweichende Gebrauch von Glas hat aber nicht nur spektakuläre Innenräume geschaffen, sondern bietet gleichzeitig auch energetische Vorteile: Im Winter sorgen die massiven Wände in Kombination mit Fußbodenheizung für eine konstante Temperatur, im Sommer absorbieren die Glasmassen die einfallende Wärme und schützen so effektiv vor Überhitzung.
Ausreichend Tageslicht im Inneren ermöglicht die leichte Neigung des aufliegenden Holzdaches und ein im Zwischenraum zwischen Dach und Wand eingefügtes horizontales Fensterband. Zusätzliche Helligkeit schaffen die großflächig geöffneten Stirnseiten des Hauses, einige wenige vertikale Fensteröffnungen sowie zwei Oberlichter oberhalb des Patios und oberhalb des Treppenhauses, die gleichzeitig den Tageslichteinfall im Souterrain klären.
Geleimte Scheiben
Die Planung und Errichtung des Projektes stellte sämtliche Beteiligten vor eine hohe Herausforderung, denn noch nie wurde eine derartige Menge aneinander geleimter Glasplatten als Primärbaumaterial eingesetzt. Schon im Vorfeld wurde daher durch das in Delft ansässige Niederländische Institut für angewandte wissenschaftliche Forschung (TNO) in die Planung miteinbezogen.
In Zusammenarbeit mit dem Glashersteller Saint-Gobain wurde schließlich entschieden, jede einzelne der insgesamt 13 000 Glasscheiben in der Fabrik auf Maß schneiden zu lassen und erst auf der Baustelle mit einem Zweikomponenten-Silikonkleber aneinander zu leimen. Obwohl Glas an sich starr ist, gelang damit eine hochflexible Konstruktion mit Tausenden von Dehnungsfugen. Gleichzeitig sind die Blöcke schwer genug, um als steifes U die horizontale Belastung des Hauses aufnehmen zu können, ohne dass dabei auf zusätzliche Stahlteile zurückgegriffen werden musste.
Als eines der größten Probleme erwies sich dabei die Auswahl eines geeigneten Glasklebers, der sich unter dem Einfluss von Tageslicht nicht braun verfärben und damit den Charakter des Hauses verändern würde.
Nach langer Suche wurde schließlich ein Kleber aus den USA gewählt, der nicht nur wasser- und UV-beständig ist, sondern gleichzeitig flexibel ist und zudem die gleiche Bruchfestigkeit wie Glas aufweist (Zweikomponenten-Silikonkleber von General Electrics).
Weitere Informationen
Floatglas bba 504
Planung: Kruunenberg Van der Erve Architecten, Amsterdam
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