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Anforderung:
Homogener Anschluss an Altbau unter Berücksichtigung der Ausgangslage
Lösung:
Entwurf greift historische Parzellierung auf und interpretiert traditionelle Bauernhöfe neu: erdige Terrakottaziegel
Vincent Van Gogh zählt bis heute zu den berühmtesten Künstlern weltweit. Im Spätherbst 1883 war der Maler nach verschiedenen Stationen im In- und Ausland im Alter von dreißig Jahren vorübergehend wieder bei seinen Eltern eingezogen. Sein Vater und seine Mutter waren mittlerweile aus seinem Geburtsort Zundert weggezogen, um ihren Lebensabend in Nuenen bei Eindhoven zu verbringen. Im Laufe von zwei Jahren hat der Künstler hier eine Vielzahl an bedeutenden Werken geschaffen, darunter die berühmten „Kartoffelesser“ aus dem Jahr 1885.
Museums-Historie
Ausgehend von dieser wichtigen kunsthistorischen Bedeutung des Ortes wurde 2010 das „Vincentre“ im ehemaligen Rathaus von Nuenen eröffnet, ein kleines Museum, das sein Leben und Arbeiten vor Ort näher beleuchtet. Zuletzt ist das Haus aufgrund von zunehmendem Platzmangel durch einen markant gestalteten Neubau umfangreich erweitert worden. Auf zwei Ebenen mit einer Fläche von 1.700 m² kann das Museum Van Goghs Leben auf interaktive Weise präsentieren. Zusätzlich ist Platz für wechselnde Ausstellungen. Ergänzend stehen ein Museumscafé, ein kleiner Filmsaal sowie neue Verwaltungsräume zur Verfügung.
Bauernhöfe neu interpretiert
Mit der Planung und Umsetzung des Neubaus war 2019 das renommierte Büro diederendirrix aus Eindhoven beauftragt worden. Die Architekten hatten sich im Rahmen eines begrenzten Wettbewerbs gegen Entwürfe von BiermanHenket und LA Architecten durchgesetzt. Entstanden ist ein kraftvoll detaillierter Bau, der die Typologie traditioneller niederländischer Bauernhöfe aufgreift und auf moderne Weise neu interpretiert:
„Auf dem Grundstück des Neubaus befanden sich ursprünglich zwei kleinere Bauernhöfe“, beschreibt Architekt Rob Meurders die Ausgangslage vor Ort. „Unser Entwurf greift diese historische Parzellierung auf und symbolisiert damit ganz bewusst auch die Vorliebe des Malers für das Alltagsleben der ‚einfachen‘ Menschen, die sich auch in seinen Landschaften und Porträts widerspiegelt.“
Dach geht in Fassade über
Ein markantes Detail des traufständigen Neubaus ist das bis zum Erdgeschoss heruntergeführte Dach. Die Eindeckung der riesigen Dachfläche mit rötlich-braunen Terrakottaziegeln ‚Huguenot‘ von Edilians fügt sich harmonisch in die Bebauung des Ortes ein und verschmilzt dabei fast unmerklich mit der im gleichen Material gestalteten Fassade:
„Bei der Materialisierung haben wir ganz bewusst Van Goghs Vorliebe für erdige Farbtöne aufgegriffen und gleichzeitig einen Bezug zur Farbigkeit der angrenzenden Bestandsbauten geschaffen“, erklärt Rob Meurders.
Trotz der großen typologischen Unterschiede zum Altbau mit seiner typisch niederländischen Neo-Renaissance-Fassade ist den Architekten so ein homogener Anschluss an die Umgebung gelungen. „Hinzu kommt, dass die Terrakottaziegel unregelmäßige, teils glänzende Farbspritzer zeigen und damit ein lebendiges Bild erzeugen, das subtil auch an Van Goghs groben Malstil erinnert“, so Rob Meurders weiter.
Im Dachbereich wurden 20 x 30 cm große Terrakottaziegel oberhalb einer Konterlattung und 270 mm Dachelementen mit Flachsdämmung verlegt. Im Bereich der Fassade wurden die Ziegel auf einer Konterlattung montiert. Für einen optimierten Wärmeschutz kam oberhalb der 150 mm dicken Kalksandsteinwand eine 180 mm Dämmung aus Steinwolle (Isolvlas) zum Einsatz.
Großformatige Ein- und Ausblicke
Zusätzliches „Gewicht“ erhält der Neubau durch das deutlich zurücktretende großformatige Panoramafenster zur Straße mit seiner schräg geschnittenen Leibung sowie durch den großen halbkreisförmigen Ausschnitt innerhalb des Daches im rechten Teil der Front. Der elegante Bogen fungiert zum einen als Überdachung und als kraftvolle Markierung für den großflächig verglasten, dabei deutlich zurückspringenden Eingangsbereich. Gleichzeitig öffnet er das Gebäude zum Ort hin und verweist dabei einerseits auf den Eingang des Pfarrhauses, in dem Van Goghs Eltern wohnten, als auch auf das Haus nebenan, in dem die verbotene Geliebte des Künstlers damals lebte.
Unerwartet „warmer“ Innenraum
Ähnlich überraschend präsentiert sich auch der Innenraum der Museumserweiterung, die im Gegensatz zum minimalistischen Leitbild des „White Cube“ ganz überwiegend in warmen Erdtönen, mit lokalem Pappelholz sowie mit schwimmend verlegten Betonböden gestaltet wurde. Als zentraler Anlaufpunkt fungiert zunächst das luftige, über beide Ebenen reichende Atrium, das mit seiner großen Glasfront und der offenen Galerie im Obergeschoss spannende Ausblicke sowohl nach innen als auch nach außen ermöglicht.
Direkt angrenzend schließen sich ebenerdig ein Filmsaal, verschiedene Mitarbeiterbüros sowie das hinter dem großen Fenster zur Straße gelegene Café mit seinen erdrot verputzen Wänden an. Im Obergeschoss finden sich außerdem die große Halle mit den wechselnden Ausstellungen sowie ein modern ausgestattetes Lichtlabor, in dem die Besucherinnen und Besucher hautnah erleben können, wie Van Gogh in seinen Gemälden mit dem Licht spielt.
Künstlerleben im Fokus
Über einen gläsernen Verbindungsgang führt der Weg anschließend direkt in den Altbau, wo vor allem das Leben des Künstlers im Mittelpunkt steht. Ergänzt wird das Konzept durch verschiedene Touren zu Originalschauplätzen vor Ort, von der Wassermühle Opwettense bis zum Van-Gogh-Roosegaarde-Radweg.
Im Verbund von alt und neu, von drinnen und draußen ergibt sich so ein umfassendes Bild über das Wirken von Van Gogh hier vor Ort in Nuenen. Kein Wunder also, dass die Besucherzahlen des Museums seit der Eröffnung des Erweiterungsbaus im April 2023 deutlich angestiegen sind. Der Ausflug lohnt!
Projekt: Erweiterung Van Gogh Village Museum Nuenen (NL)
Standort: Berg 29, 5671 CA Nuenen, Niederlande
Bauherr: Van Gogh Village Museum (Vincentre), Nuenen (NL)
www.vangoghbrabant.com/nl/home/nuenen
Planung: diederendirrix, Eindhoven, Rotterdam
Planungsteam: Rob Meurders, Thorsten Schneider, Tom Kuipers, Danny Meijer, Rob van den Broek
www.diederendirrix.nl
Fertigstellung: April 2023
Architekt Rob Meurders: „Und durch die homogene Verwendung der Ziegel sowohl für die Fassade als auch für das Dach ergibt sich schnell die Assoziation einer Holzscheune, was gut zum ländlich-bäuerlichen Charakter der Werke von Van Gogh aus seiner Zeit in Nuenen passt.“
Robert Uhde
Studium der Kunst und Germanistik in Oldenburg. Erstes Staatsexamen. Ausbildung zum Fachredakteur für Architektur bei der Verlagsgruppe Rudolf Müller in Köln. Seit 1997 freier Autor für Fachzeitschriften und Tageszeitungen. Eigenes Büro in Oldenburg.
www.robert-uhde.de