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Gebrannte Vielfalt

Ziegelverblendfassaden
Gebrannte Vielfalt

Markus Hoeft

Mit Backstein- oder Klinkerfassaden werden in Deutschland vor allem zwei Architekturformen assoziiert: Das norddeutsche Bauen im Allgemeinen und der Industriebau des 19. Jahrhunderts im Speziellen.
Dadurch kann der Eindruck entstehen, die Bauweise wäre mit ihrer gestalterischen Aussage festgelegt, eine „Transkription“ in die sachlich-klare und ortsunabhängige Formensprache der zeitgenössischen Architektur nicht möglich.
Doch schon im so genannten Klinkerexpressionismus der 1920er Jahre blitzte auf, dass in den sehr alten und darum von manchem vielleicht als altmodisch empfundenen Ziegelfassaden ein großes, bis dahin kaum genutztes Potenzial steckt.
Auch dieser Stil hatte einen norddeutschen Schwerpunkt, etwa mit Fritz Högers Chilehaus in Hamburg (1924) oder seinem Anzeigerhochhaus in Hannover (1928). Jedoch unterwarf er sich keiner starren regionalen Eingrenzung, wie beispielsweise Alfred Fischers Hans-Sachs-Haus in Gelsenkirchen (1927), die Kölner Werkschulen von Martin Elsässer (1924) oder die Ulmer Martin-Luther-Kirche von Theodor Veil (1928) zeigen.
Die genannten Jahreszahlen der jeweiligen Fertigstellung deuten an, wie klein das Zeitfenster des Klinkerexpressionismus war. Das mag an der sehr ungewöhnlichen, die architektonischen Konventionen sprengenden Ausdrucksform gelegen haben, aber vor allem wohl an der anschließend einsetzenden Wirtschaftskrise und der politischen Entwicklung ab 1933.
In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg waren dann Beton sowie gegen Ende des 20. Jahrhunderts Stahl und Glas die beherrschenden Baustoffe.
Die Backsteine und Klinker kehrten zu ihren Ursprüngen zurück und bildeten wieder eine hauptsächlich norddeutsche Regionalbauweise. Doch dies könnte sich abermals ändern.
Einbindung in sachlich-klare Architektur
In einer Gesellschaft, die intensiv über Nachhaltigkeit von Baustoffen und Lebenszykluskosten von Gebäuden nachdenkt, gewinnen Ziegelverblendfassaden eine neue Bedeutung.
Gebrannter Ton ist bei normalen Gebäudestandzeiten unverwüstlich und als Fassade wartungsfrei sowie kaum zur Verschmutzung neigend.
Ohne besondere Pflege bewahren die Gebäudeansichten – besonders auch die Farbgebungen – unverfälscht sowie nahezu unverändert ihre architektonische Aussage und Qualität.
Nicht zufällig können wir die rund 80 Jahre alten Zeugnisse des Klinkerexpressionismus noch heute weitgehend mit der damals gestalteten Originalansicht und -ausstrahlung erleben.
Doch trotz all dieser unbestrittenen Vorteile der Kontinuität und Langlebigkeit werden Backstein- oder Klinkerfassaden nur dann eine überregionale Renaissance erleben, wenn sie sich in die Formensprache der heutigen Architektur einfügen oder diese sogar um eigenständige Entwicklungen erweitern.
Dafür gibt es durchaus gute Aussichten, wie eine Reihe von realisierten Projekten zeigen.
Während in den 1920er Jahren vor allem mit ausdrucksstarken Formgebungen und Details sowie flächenauflösenden Strukturen gearbeitet wurde, ist heute gerade umgekehrt oft die Materialwirkung in der glatten ungestörten Fläche erwünscht.
Im Mittelpunkt stehen nicht einzelne Formsteine für die Verzierung oder besondere Mauerwerksverbände mit raffinierten Vor- und Rücksprüngen.
Vielmehr geht es bei modernen Fassaden um Farben und Oberflächentexturen, die in der Gesamtansicht das sachlich-klare Bild des Baukörpers unterstreichen. Schlüsseleigenschaften für diese auf die Fläche reduzierte Wirkung sind die Optik und Haptik der Backsteine oder Klinker.
Vormauerziegel und Klinker
In der Architektur, speziell in der Architekturgeschichte, ist Backstein eine gängige Bezeichnung, die man aber in den aktuellen Regelwerken und Verzeichnissen oft vergeblich sucht.
Der Begriff wurde historisch für die Abgrenzung aller künstlich geformten und „gebackenen“ (also getrockneten, gehärteten oder gebrannten) Steine von den „gewachsenen“ Natursteinen eingeführt. Im weiteren Wortsinn können zu den Backsteinen neben den Ziegeln aus gebranntem Ton auch Lehmsteine oder Kalksandsteine gezählt werden.
Für eine eindeutige Abgrenzung werden die Materialien für „Backsteinfassaden“ deshalb in der Technik als Mauerziegel bezeichnet und nach den drei Qualitäten Vormauerziegel, Klinker und Keramikklinker unterschieden.
Vormauerziegel sind Voll- oder Lochziegel, die im Tunnelofen bei Temperaturen von etwa 900 bis 1 100 °C gebrannt werden. Ihre Oberfläche kann glatt oder strukturiert sein. Da sie der Witterung ausgesetzt sind, ist die Frostbeständigkeit nachzuweisen.
Klinker werden bei etwas höheren Temperaturen gebrannt (etwa 1 150 bis 1 300 °C), wodurch es speziell an der Oberfläche zu Sinterungsprozessen kommt.
Die Sinterflächen haben einen dichten, leicht glasigen Charakter und erzeugen dadurch eine kompaktere, oft auch glattere Anmutung. Neben der Frostbeständigkeit sind bei Klinkern die Wasseraufnahme von höchstens sieben Masseprozent sowie die erhöhte Druckfestigkeit und Scherbenrohdichte normiert.
Noch höhere Anforderungen erfüllen Keramikklinker, die aus sehr dicht brennenden Tonen hergestellt werden und eine Wasseraufnahme von höchstens sechs Masseprozent haben dürfen.
Glatte und strukturierte Oberflächen
Vormauerziegel und Klinker werden auf vollautomatischen Anlagen im Strangpressverfahren geformt. Drähte teilen den endlosen Strang in Stücke, die dann getrocknet und im Tunnelofen gebrannt werden.
Das Verfahren erlaubt die Herstellung von Vormauerziegeln und Klinkern mit äußerst glatter Oberfläche. Sie bieten sich immer dann an, wenn die Fassade nicht durch eine markante Textur hervorstechen soll.
Die Fläche bleibt optisch unauffälliger und ordnet sich der dreidimensionalen Struktur des Baukörpers unter. Außerdem zeigen die glatten Oberflächen ihre Herkunft aus einem modernen industriellen Produktionsprozess mit hoher Materialehrlichkeit an. Sie wirken sachlich-klar und zeitgemäß-urban, in einem gewissen Sinn aber auch streng und nüchtern.
Backsteine mit profilierter und strukturierter Oberfläche verkörpern hingegen eher das traditionelle Element des Baustoffs.
Denn historisch wurden die Ziegelrohlinge mit der Hand in Holzformen hergestellt. Diese Handformziegel hatten nie ganz glatte Oberflächen, sondern wiesen eine unregelmäßige, von einem Stein zum anderen variierende Textur auf.
Mit speziellen Produktionsverfahren ist es heute auch in der industriellen Produktion möglich, strukturierte Oberflächen herzustellen. Die stranggepressten Ziegelrohlinge werden dafür beispielsweise durch genarbte Walzen, rotierende Stahlbürsten oder Abschälstationen zur Beseitigung der glatten Presshaut geschickt. Das Resultat sind sehr vielfältige Oberflächenstrukturen, die von leicht genarbt und texturiert bis zu fast schon grob zu nennenden Ansichten reichen können.
Die Wirkung der strukturierten Vormauerziegel stellt einen komplexen und facettenreichen Zusammenhang dar.
Zum einen verkörpern die rauen Oberflächen wie schon angedeutet eher das traditionelle, rustikale Bauen. Sie lassen sich gut bei Sanierungen einsetzen oder bei der Errichtung eher konventioneller Gebäude in ländlicher Umgebung. In diesem Sinne passen sie weniger zur sachlichen, auf klare Linien reduzierten Formensprache.
Andererseits darf nicht unterschätzt werden, dass die Oberflächentextur ausgezeichnet in der Lage ist, auf fensterlosen Fassadenflächen eine eigenständige Aussage zu erreichen.
Der mit dem Sonnenstand variierende Schattenwurf der Strukturen verleiht ungegliederten Fassadenabschnitten, die ansonsten leicht erschlagend wirken können, eine lebendige und veränderliche Ansicht.
Große, nicht durch Fenster oder andere Elemente unterteilte Fassadenflächen sind aber eher ein Merkmal des modernen, denn des konventionellen Bauens.
Es gibt also keine vereinfachende Formel „glatte Ziegeloberfläche = zeitgemäß“ und „strukturiert = traditionell“.
Der Architekt hat vielmehr die Chance, mit ein und demselben Material jedem Projekt seine individuelle Oberflächentextur zur geben.
Ähnlich variantenreich, aber auch ebenso komplex wie die Frage der Oberflächenstruktur ist das Spiel mit den Ziegelfarben.
Klassische Ziegelfarben
Der Hauptbestandteil aller Ziegel ist Ton, der aber fast nie rein in der Erde ansteht.
Eine sehr häufig vorkommende natürliche Beimengung ist das zunächst braune Eisen(III)-Oxid, das im Brennprozess die typische ziegelrote Färbung hervorruft.
Ist außerdem Kalk im Rohstoff vorhanden, tritt beim Brand eine gelbe Ziegelfarbe hervor. In Abhängigkeit von den Mengenverhältnissen und den Bedingungen beim Brand entsteht das breite Spektrum klassischer Ziegelfarben in diversen roten, gelben oder braunen Tönen.
Historische Ziegel weisen oft mehrere dieser Nuancen in einem Stein auf, weil der natürliche Rohstoff inhomogen zusammengesetzt ist und die Bedingungen beim früheren Brand in Kohleöfen nicht ausreichend konstant waren.
Mit der heutigen Rohstoffaufbereitung und Brenntechnik lassen sich hingegen sehr gleichmäßige Ziegel in nur einer Farbe herstellen.
Allerdings ist das gar nicht immer wünschenswert. Analog wie die sehr glatten Oberflächen können die absolut monochromen Farbgebungen leicht zu langweilig wirkenden Ansichten führen.
Die herstellende Industrie hat deshalb eine Reihe von Sortimenten aufgelegt, bei denen die einzelnen Ziegel bewusst polychrom gehalten sind. Ihre Oberflächen changieren bei jedem Stein etwas anders im rot-gelb-braunen Bereich.
An der Fassade ergibt sich ein unregelmäßiges, aber gerade darum lebendiges Wechselspiel der Farben. Zu den Besonderheiten des gebrannten Tons gehört dabei, dass alle Nuancen Erdfarben sind, die allein oder auch in ihrer Mischung nicht zu schrill oder zu aufdringlich sind.
Reduktionsbrand erweitert Farbkanon
Der erdige Charakter der klassischen Ziegelfarben entspricht den Sehgewohnheiten des Menschen beim Anblick von Gebäuden. Die Farbigkeit der Fassade ordnet sich in die gewohnte Lebenswelt ein.
Sie ist nicht spektakulär, was positiv als harmonisch, aber auch negativ als wenig überraschend und anregungsarm aufgefasst werden kann.
Der Schritt zum Ungewöhnlichen, zu einer bisher noch nicht vollständig ausgeschöpften Farbensprache lässt sich bei Backstein- und Klinkerfassaden mit schwarzen oder grauen Ziegeln erreichen. Auch diese Farben werden aus dem Ziegel herausgebrannt, es handelt sich also ebenfalls um äußerst dauerhafte Farben und nicht etwa um Anstriche oder Beschichtungen. Das Herstellungsverfahren ist seit langem bekannt, wurde aber bei Mauerziegeln, die nach der Konvention eben rot oder gelb zu sein hatten, in vergangenen Jahrhunderten selten angewendet.
Es beruht auf einem Brand unter den Bedingungen des Sauerstoffmangels. Dadurch wird das Eisen(III)-Oxid zu blau-grauem Eisen(II)-Oxid reduziert.
Möglich ist außerdem die Zugabe von graufärbendem Graphit zum Ton.
Je nach der Rohstoffzusammensetzung und den Verhältnissen im Brennprozess lässt sich so ein von den klassischen Ziegelfarben deutlich unterschiedenes Spektrum erzeugen, das faktisch alle Grautöne von Anthrazit bis zu Beinahe-Weiß umfasst, aber auch bläuliche, tiefdunkelrote oder sogar dunkelviolette Nuancen enthalten kann.
Reduziert gebrannte Ziegel korrespondieren mit dem Farbkanon der Metalle (außer Kupfer) und fügen sich dadurch oft sehr gut in die Architektur der Gegenwart ein.
Sie lassen mit ihren grau-schwarzen Nicht-Farben die Kubatur des Gebäudes deutlich hervortreten.
In vielen ausgeführten Projekten betonen sie die Linien, während die Flächen – zumindest in der Fernwirkung – zurücktreten. Aus der Nähe kann sich allerdings eine sehr massive Anmutung ergeben.
Dunkle Fassadenfarben führen – unabhängig vom Baustoff – zu einer erhöhten Absorption der Wärme aus der Sonnenstrahlung, wodurch es zu einer stärkeren Erwärmung des Materials kommt. Ziegel haben jedoch den Vorteil einer sehr geringen thermischen Dehnung.
Die Erwärmung dunkler Ziegelfassaden ruft deshalb vergleichsweise wenige Bauteilbewegungen sowie Spannungen hervor und lässt sich einfacher beherrschen als bei anderen Fassadenbaustoffen. Trotzdem sind auch hier Dehnfugen erforderlich.
Vertikale Dehnfugen sollten bei Ziegelverblendmauerwerk mit Hinterlüftung etwa alle 10 bis 12 m und bei einer Ausführung mit Kerndämmung etwa alle 6 bis 8 m vorgesehen werden. Bei dunklen und/oder stark besonnten Oberflächen sind eher die kleineren Werte anzusetzen.
Fugenbilder und Musterflächen
Ein wichtiger Teil der Gesamterscheinung sind die Mauerwerksfugen.
Der Fugenmörtel kann bewusst kontrastierend verwendet werden, was speziell bei dunklen Steinen und hellem Mörtel zu einer markanten Rhythmisierung der Fläche führt.
Es werden die Kleinteiligkeit und der handwerkliche Mauerwerkscharakter der Fassade betont.
Umgekehrt erzeugt farblich angeglichener Mörtel eine sehr homogene, großmaßstäbliche Flächenwirkung.
Der geschlossene Eindruck wird von vollständig und bündig ausgefüllten Fugen unterstützt, weil diese keine auffällige Textur und auch keinen Schattenwurf erzeugen.
Möglich, wenn auch technisch aufwändiger, ist ebenso die Verarbeitung mit zurückgesetzter und zusätzlich eventuell abgeschrägter Fugenfüllung, wodurch der plastische Charakter der Fassade betont wird.
Erst das Zusammenspiel der glatten oder strukturierten Oberflächen, der monochromen oder changierenden Ziegel und der klassisch-roten oder reduziert-grau-blauen Farben ergibt in Kombination mit dem Fugenbild die Architektur der Ziegelfassaden. Einzelne Steine können diesen Gesamteindruck nicht vermitteln.
Bei der Planung und Bemusterung von Ziegeln für anspruchsvolle Fassaden sollten deshalb fertige Flächen beurteilt werden. Eventuell bieten sich bereits ausgeführte Projekte als Referenz an, andernfalls sollten Referenzfelder hergestellt werden.
Weitere Informationen zu Vormauerziegeln und Klinkern
AKA Ziegelgruppe bba 519
Klinker- und Keramikwerk A. Berentelg bba 520
Hagemeister bba 521
Röben Tonbaustoffe bba 522
Wienerberger Ziegelindustrie bba 523
Klinkerwerke Wittmund bba 524
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