Startseite » CAD | BIM »

Digitale Tools machen`s erst möglich

Klimaneutralität: Die EU-Taxonomie und ihre Auswirkungen auf den Bausektor
Digitale Tools machen`s erst möglich

Digitale Tools machen`s erst möglich
Bild: © CAALA
Firmen im Artikel
Bis zum Jahr 2050 will die EU klimaneutral werden. Wenn man bedenkt, dass dies alle Bereiche unseres Lebens und Arbeitens, den globalen Handel, die Bauwirtschaft und den gesamten Finanzmarkt betrifft, ist das ein „dickes Brett“, das wir bis dahin „bohren müssen“.

Tim Westphal | jo

Das wichtigste Regelwerk, das uns auf dem Weg zur Klimaneutralität begleitet, ist der ‚European Green Deal‘. Er wurde im Jahr 2020 vorgestellt und bildet den übergeordneten politischen Rahmen, um Europa bis 2050 klimaneutral werden zu lassen. Sein Ziel ist nicht weniger als eine tiefgreifende Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft, um a) den Klimawandel zu bekämpfen, b) das Pariser 1,5°-Ziel (doch noch) zu erreichen und c) eine weitere Umweltverschmutzung zu verhindern. Der ‚European Green Deal‘ umfasst verschiedene Maßnahmen zur Förderung erneuerbarer Energien, zur Steigerung der Energieeffizienz, zum Schutz der Biodiversität und er fordert vor allem nachhaltige Investitionen.

Ohne Greenwashing

Dieser Prozess ist vielschichtig und wird derzeit durch ein zentrales Instrument orchestriert: die ‚EU-Taxonomie-Verordnung‘. Entwickelt wurde das Regelwerk von der Europäischen Union, um nachhaltige Finanzierungen und Investitionen zu fördern. Die EU-Taxonomie soll künftig einen einheitlichen Rahmen für wirtschaftliche Aktivitäten schaffen, die gemeinhin als ‚ökologisch nachhaltig‘ gelten – und damit u. a. zur Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens beitragen. Sie ist dabei als Referenz zu verstehen, um Investor:innen, Unternehmen und politischen Entscheidungsträger:innen klare Kriterien an die Hand zu geben, ihre Maßnahmen als umweltfreundlich zu bewerten und mithilfe nachhaltiger Finanzierungen zu unterstützen. Damit soll dem Greenwashing und der maximalen Unschärfe, in der sich viele Unternehmen, private aber auch öffentliche Institutionen bewegt haben, ein Riegel vorgeschoben werden.

Klimaneutralität ohne Bausektor? Unmöglich

Der Bausektor kann einen entscheidenden Beitrag zur Erfüllung der Klimaziele leisten, auch auf dem Weg zur CO2-Neutralität im Gebäudesektor: Allein 40 % der weltweiten CO2-Emissionen entfallen auf ihn. Darüber hinaus sind der Ressourcenverbrauch, die damit verbundenen Eingriffe in die Ökosysteme und das Abfallaufkommen massiv. Die Wirkung zur Zielerreichung der Klimaneutralität ist also enorm und die Hebel sind vielfältig, die die Baubranche in Bewegung setzen kann. Dennoch ist die EU-Taxonomie aktuell eine Gleichung mit vielen Unbekannten – und findet im Baubereich noch viel zu wenig Beachtung.

Doch was bedeutet die EU-Taxonomie in ihrer Umsetzung für das Bauen? Zunächst einmal definiert sie grundlegende Kriterien und Standards, die festlegen, was als nachhaltig und umweltfreundlich bezeichnet werden kann. Dies ist vor allem wichtig, um ein umweltverträgliches, ressourceneffizientes und klimaneutrales Bauen zu fördern – und zwar von der Rohstoffgewinnung über das Bauprodukt, den Transport, die Montage, den Betrieb bis hin zur Wiederverwendung oder dem Recycling und der Rückführung der Ressource in den Stoffkreislauf. Die Auswirkungen der EU-Verordnung betreffen das Bauen an verschiedenen Stellen. Mindestens eines der sechs Kriterien ist in Zukunft von jedem Unternehmen zu erfüllen, ohne dabei eines der anderen fünf zu beeinträchtigen. So darf z. B. der Übergang zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft in der Produktion nicht mit einer steigenden Umweltverschmutzung einhergehen. Das korrekte Vorgehen wird als DNSH-Prinzip (Do No Significant Harm) bezeichnet.

Es führt wohl in den kommenden Jahren kein Weg vorbei an der Taxonomie. Und das aus gewichtigen Gründen. 1. Die Taxonomie ist bereits ein delegierter Rechtsakt, der in jedem Land der EU zum Gesetz wird. 2. Reguliert wird derzeit in erster Linie (noch) der Finanzmarkt. Und dieser stellt für fast jedes Bauprojekt die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung.

An dieser Stelle betrifft es plötzlich alle in der Branche, die planen, produzieren oder bauen. Die EU-Taxonomie wird also nicht spurlos verschwinden. Seit 2022 sind Unternehmen, die sich am Finanzmarkt selbst das Label ‚nachhaltig‘ geben wollen, verpflichtet, die Anforderungen der EU-Verordnung zu erfüllen. Im Umkehrschluss werden diese Banken und Finanzdienstleister:innen in absehbarer Zeit kaum mehr in (Bau-)Projekte investieren, die den selbst- bzw. fremdverordneten Anforderungen nicht entsprechen. Hinzu kommen soziale Mindeststandards im Unternehmen, die auch auf die anderen Projektbeteiligten ausstrahlen.

Potenziale bergen

Die aktuelle Gemengelage im Baubereich erscheint undurchsichtiger als sie ist. Denn mit Kreislaufwirtschaft, Cradle to Cradle, Ressourceneffizienz, Resilienz, Recycling und Upcycling gibt es in der Branche bereits lebendige Begriffe, die dem EU-Vokabular zu Klimaneutralität und klimaneutralem Bauen sehr nahe kommen. Und es treten immer mehr Spezialist:innen auf den Plan, die mit ihren Tools und Plattformen Unterstützung in der Architektur- und Nachhaltigkeitsplanung anbieten und die teils abstrakten Forderungen, ebenso wie die unergründeten Potenziale der EU-Taxonomie, in baubare Projektparameter übersetzen.

Wir haben exemplarisch mit dreien gesprochen: CAALA (D), Reasen (AT) und Madaster (NL/D). Sie alle gehen individuelle Wege mit ihren Tools und verfolgen doch ein gemeinsames Ziel: Qualitätsvolles Bauen in Zeiten von Rohstoffknappheit, Energiewende und steigenden Bauzinsen zu fördern und mit Klimazielen und Umweltschutz in Einklang zu bringen.

Gesamten Lebenszyklus planen

Der Gebäudelebenszyklus rückt immer stärker in den Fokus des Entwickelns, Planens und Bauens, wie sowohl Patrick Bergmann, unter anderem verantwortlich für den Aufbau der deutschen Dependance von Madaster, als auch Samuel Ebert, als COO bei CAALA verantwortlich für Engineering und Professional Services, herausstellen. Samuel Ebert: „Der Gebäudelebenszyklus ist so elementar, weil er schlicht so lang ist – im Vergleich zu anderen industriell gefertigten Produkten. Ein Gebäude birgt u. a. deshalb eine große Verantwortung, weil die Umweltauswirkungen in allen Phasen erheblich sein können, von der Materialherstellung heute über die Energieversorgung in 20 Jahren bis zum potenziellen Rückbau nach einer standardmäßig angenommenen Lebensdauer von 50 Jahren“. Patrick Bergmann erkennt die Notwendigkeit, den Lebenszyklus bereits früh in der Planung und Ausführung vorauszudenken, denn hier ist die Hebelwirkung noch groß: „Für das QNG-Siegel oder die DGNB-Zertifizierung kommt man um die Lebenszyklusbetrachtung nicht herum. Und mehr noch: In der EU-Taxonomie wird ergänzend der Rückbau betrachtet. Das betrifft das Bauen vielleicht noch nicht ab sofort, wird aber in zwei oder drei Jahren den Baualltag erreichen.“

Nachhaltigkeits-Bewusstsein

Die eigentlichen Herausforderungen in Bezug auf die Kreislaufwirtschaft, Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz liegen jedoch im noch auszuprägenden und notwendigen Bewusstsein für diese Themen, das oft noch fehlt. Architekt Bruno Sandbichler, einer der Entwickler und Konzeptionist von Reasen in Österreich, erkennt dennoch das Potenzial: „Es gibt mit der EU-Taxonomie neue Anforderungen. Das ist klar. Doch sind wir jetzt angehalten, durchgängig nachhaltig zu denken, zu planen, zu agieren. Diese Themen sind allerdings nicht in allen Köpfen angekommen. Es gibt eine ‚Avantgarde‘, bei der sich jetzt zeigt, dass sie wichtige Aspekte in der Diskussion bereits früh vorausgedacht haben. Doch sehen wir bei Auftraggebern, Baubeteiligten, Architekten: Da ist noch einiges zu tun. Gleichzeitig haben wir die Regelwerke und Normen, die sich ständig verändern. Ich bin der Meinung, dass eine ‚Durchreguliertheit‘ bis ins letzte Detail wichtige Innovationen verhindert. Dem möchten wir entgegenwirken und den Freiraum für die kreative Arbeit zurückgeben.“

Umweltziele ernsthaft anpacken

In der EU-Taxonomie mit ihrem regulatorischen Impact erkennen alle drei ein effizientes Hilfsmittel, eine nachhaltige Bauwirtschaft zu entwickeln. Und zwar vor allem dadurch, dass es über die Gesetzgebung in den jeweiligen EU-Ländern realisiert wird. Bruno Sandbichler: „Die Taxonomie zeigt außerdem Investitionswege auf, die das Bauen in eine sinnvolle und klimagerechte Richtung entwickelt. Der ‚European Green Deal‘ befeuert das zusätzlich. Der zweite Aspekt ist das Berichtswesen, verbunden mit dem Ziel, alle Bestandsgebäude in der EU bis zum Jahr 2050 zu erfassen. Aktuell gibt es noch keine länderweiten Regelungen, doch werden diese Bauwerksdaten in der Zukunft viele Projektentscheidungen beeinflussen.“

Samuel Ebert sieht die verankerten Umweltziele im Kern der Diskussion, die jetzt ernsthaft angepackt werden: „Die EU-Taxonomie ist ein Aufhänger. Die Leute haben zum Großteil längst erkannt, dass sie in der gesellschaftlichen Pflicht sind, ökologische Probleme anzugehen. Die definierten Umweltziele rücken diese Herausforderungen, die bisher abstrakt herumwaberten, ins unternehmerische Sichtfeld. Sie sind jetzt Punkte, an denen ich nicht mehr vorbeikomme, ich muss einen Fokus auf ökologische Themen legen. Das Gute ist: Durch die Taxonomie werden sie konkret, greifbar und mit Zahlen belegbar. Wir sind mit CAALA in der Lage nachzuweisen, dass diese Anforderungen zum Beispiel für den Klimaschutz erfüllt werden können.“

Patrick Bergmann von Madaster erkennt in dem Regelwerk der EU-Taxonomie den notwendigen wie ordnenden Sinn: „Die Bauindustrie allein wäre diese ökologischen Themen nicht so umfassend angegangen. Wir brauchen jene Regulatorik hinter der EU-Taxonomie. Im Sinne der Kreislaufwirtschaft müssen in Zukunft z. B. bis zu 70 % Sekundärrohstoffe eingesetzt werden. Bei Beton und Glas darf außerdem der Anteil von Neumaterial bei maximal 85 % liegen. Beides zusammen ist dann eine echte Herausforderung. Doch es ist ja so: Man greift sich im Projekt eines von sechs Nachhaltigkeitszielen heraus, das man erreichen möchte und zu dem man berichtet. Ob die Kreislaufwirtschaft dann überhaupt herausgesucht wird, wenn es andere, vielleicht leichter zu erreichende Ziele gibt?“

Digitale Planungsdaten als Grundlage

Ebenso sinnvoll, vor allem aber notwendig, ist der Einsatz digitaler Werkzeuge, die im besten Fall bereits in frühen Projektphasen wichtige Bauteilinformationen zur Verfügung stellen. Denn eine nachträgliche Einflussnahme auf Nachhaltigkeitsparameter in der Bauphase oder gar erst nach Fertigstellung, ist nahezu unmöglich. Im Gegenteil: Je früher ökologische Aspekte und Nachhaltigkeitskriterien in einem Projekt verankert werden, desto besser wird ein Bauwerk in puncto Klimaneutralität. CAALA berechnet beispielsweise aus einem BIM-Modell, das das planende Architekturbüro in der Software ‚Archicad‘ erstellt hat, eine parametrische Lebenszyklus-Analyse – lange vor dem ersten Spatenstich. Angereichert mit Informationen zu Materialien und technischer Gebäudeausstattung, lassen sich damit u. a. die grauen Emissionen und die Betriebsemissionen über den gesamten Gebäudelebenszyklus prognostizieren und vorab optimieren.

Der Hebel hierfür setzt also bereits viel früher im Projekt an, beim planenden Architekturbüro und den Fachplanungsbüros, die mit ihrem Bauwerksmodell und den modellbasierten Fachplanungen die Basis bereiten. Patrick Bergmann von Madaster: „Dieser Punkt ist extrem wichtig. Denn wenn das BIM-Modell nicht passt, passt bei bei unseren Berechnungen ebenfalls nicht viel. Mit Graphisoft arbeiten wir z. B. aktuell daran, unsere Basisfunktionen in die BIM-Planungssoftware ‚Archicad‘ zu überführen. Und auch wenn die Architekturbüros erst lernen, wie die Daten aufbereitet werden müssen, damit wir gute Ergebnisse liefern können – die passenden digitalen Tools machen unsere Arbeit doch erst möglich.“

Firmen im Artikel
Tags
Unsere Top-3-Projekte des Monats
MeistgelesenNeueste Artikel

Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der bba-Infoservice? Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum bba-Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des bba-Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de