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Gut temperiert

Fachwerksanierung und Erweiterung in Bad Sooden-Allendorf
Gut temperiert

Anne Fingerling / red.

Die ehemalige Hofreite im Hessischen Bad Sooden-Allendorf liegt direkt an der Werra im Überschwemmungsgebiet. Das denkmalgeschützte Fachwerkwohngebäude sollte möglichst originalgetreu erhalten bleiben und durch Neubauten ergänzt werden. Behagliche Raumtemperaturen und trockene Wände gewährleistet die so genannte Wandtemperierung – ein System, das ursprünglich für Museen entwickelt wurde.
Unsachgemäß modernisiert
Das 1810 errichtete Fachwerkwohnhaus war in desolatem Zustand. In den 1980er Jahren waren im Zuge unsachgemäßer Modernisierungsmaßnahmen auf die alten Holzdielen Laminatböden verlegt, und die Innenwände mit Holzpaneelen verkleidet worden. Im Badezimmer hatten die Vorbesitzer ohne Abdichtung direkt auf die Lehmfachwerkwände gefliest. Die Innenwände waren in einigen Bereichen so stark durchfeuchtet, dass die unter den Wandverkleidungen liegende Fachwerkkonstruktion geschädigt war. Aufsteigende Feuchtigkeit hatte im EG unter dem Laminat zu Staunässe geführt.
An den Außenwänden, vor allem an der Westfassade, war das Sichtfachwerk aufgrund mangelnder Wartung durch Schlagregen und Holzbockbefall teilweise zerstört. In einigen Bereichen mussten ganze Balken erneuert werden, an der Westfassade die gesamte Schwelle, aus der bereits Holunderbüsche wucherten.
Behutsames Vorgehen
Die Gefache sind teilweise mit Lehmstakung oder Lehm- bzw. Backsteinen ausgemauert und blieben weitgehend erhalten. Die Putzoberflächen, zum Teil Kunststoffputze, waren jedoch so schadhaft, dass sie zum großen Teil entfernt wurden. Anschließend trugen die Handwerker einen mineralischen Putz auf. Die Gefache erhielten in Abstimmung mit der Denkmalpflege einen mineralischen Fassadenanstrich in einem warmen Sandton. Die Balken des Sichtfachwerks wurden mit einer offenporigen Acrylfarbe im Blaugrauton lasiert.
Im Innenbereich wurde der ursprüngliche Zustand des Wohnhauses soweit wie möglich wiederhergestellt. Die Innenwände erhielten einen Lehmputz, der mit Kaseinfarbe überstrichen wurde.
Der Altbau liegt bereits etwas erhöht, daher waren keine besonderen Maßnahmen gegen Hochwasser erforderlich. Allerdings verlegte man als Schutz gegen aufsteigende Feuchtigkeit im Erdgeschoss so genannte Wandtemperierungsschleifen, die in einer dünnen Estrichschicht eingebettet wurden. Sofern die alten Holzfußböden noch vorhanden waren, wurden sie ausgebessert, abgeschliffen und geölt. In den übrigen Bereichen kamen Terrakottafliesen.
Temperieren statt Heizen
Das System der Wandtemperierung dient nicht nur der Trockenlegung erdberührter Bauteile, sondern ebenso der Raumerwärmung. Im Prinzip handelt es sich um eine Warmwasserheizung vergleichbar mit einer Fußbodenheizung, allerdings ist das System besser regelbar. Anstelle konventioneller Heizkörper wurden an den Außenwänden oberhalb der Sockelleisten Kupferrohre verlegt, die in den Lehmputz eingebettet wurden. Ebenso verlaufen Kupferrohre um Fenster- und Türlaibungen an den Außenwänden. Nach wenigen Stunden Aufheizzeit werden die Wandoberflächen gleichmäßig warm und strahlen die Wärme in den Raum ab.
Die Wärmeerzeugung erfolgt mit nachwachsenden Rohstoffen über einen Holzvergaserheizkessel (Atmos) für ½ m Holzscheite. Eine Solaranlage (12 m2 Großflächenkollektoren SolvisFera von Solvis) mit einem 1 850 Liter Pufferspeicher gewährleistet die Grundtemperierung in den Übergangszeiten und deckt den Warmwasserbedarf.
Altbekannt und bewährt
Das System der Temperierung wurde als alternative Methode der Wärme-Verteilung bereits 1982 von „der Landestelle für die Nichtstaatlichen Museen in Bayern in Zusammenarbeit mit Baubehörden in öffentlichen Bauvorhaben“ entwickelt; zunächst vor allem für Museen und historische Gebäude, bei denen eine nachträgliche Wärmedämmung nicht möglich ist. Allerdings sind die Prinzipien der Temperierung „für alle Konstruktions- und Nutzungsarten von Gebäuden einschließlich Wohn- und Büronutzung“ gültig.
Bereits in der Römerzeit war das Prinzip der Wandtemperierung in Form der Hypokaustheizung bekannt. Der Wärmestau, der durch unter Putz verlegte Heizrohre in der Rohrumgebung entsteht, bewirkt eine hohe Temperatur in der dünnen Putzschicht vor den Rohren, so dass eine starke Wärmestrahlung von den Wandsockeln ausgeht. An der Wandinnenseite bildet sich ein Warmluftauftrieb, der allmählich die restliche Fläche erwärmt. Die gesamte Wandoberfläche stellt schließlich den Heizkörper dar, der die Wärme gleichmäßig in den Raum abstrahlt. Es entsteht keine Zirkulation der Luft im Raum und damit keine Staubaufwirbelung.
Die langjährigen Erfahrungen mit der Wandtemperierung im Museumsbereich machen deutlich: Nicht nur warme und trockene Räume, sondern ein zugleich konservatorisch und physikalisch günstiges Raumklima lässt sich viel besser und einfacher herstellen durch `Temperierung´ der Gebäudehülle (d.h. durch Beheizung von Gebäuden mittels Sockelheizrohren), als durch direkten Eingriff in den Raumluftzustand.
Geringer Energiebedarf
Das System der Wandtemperierung ist geradezu ideal für Fachwerkbauten. Der Eingriff in die Bausubstanz bei der Installation ist nur sehr gering und alle Außenwandbauteile bleiben warm und trocken. Dadurch kommt es in der Wandkonstruktion weder zu Tauwasserausfall noch zu Schimmelpilzbildung. Aufsteigende Mauerfeuchte und Schadsalzbildung werden verhindert.
An den erdberührten Bauteilen, die keine solare Zustrahlung erfahren, ist auch im Sommer ein minimaler Heizbetrieb notwendig; der im vorliegenden Fall über die Solaranlage gedeckt wird. Trotz ganzjährigen Betriebs ist der Jahresenergiebedarf geringer als bei konventioneller Klimatisierung bzw. Beheizung.
Bei Temperierung sinkt der Wärmebedarf in der Heizperiode, unabhängig vom Nutzerverhalten, nicht nur durch Trocknung und Optimierung des Speicherverhaltens des Mauerwerks, sondern auch dadurch, dass die Raumluft eine Temperatur hat, die nicht über der Temperatur der Wandoberfläche (z.B. 20 °C) liegt.
Für ein behagliches Wohnklima genügt bereits eine Raumtemperatur von 18 – 19 °C. Dementsprechend niedrig fällt die Heizungsvorlauftemperatur von ca. 25 – 40 °C aus, gegenüber konventionellen Heizungen, die eine Vorlauftemperatur ab 55 °C benötigen. Lüften führt nicht zur Auskühlung, da die Strahlungsintensität unverändert bleibt.
Neues bewusst modern
Die an das Fachwerkwohnhaus anschließenden Nebengebäude waren baufällig und hatten keinen Denkmalwert. Daher wurden sie abgerissen und entsprechend ihren Grundmauern neue Gebäude errichtet, um die Geschlossenheit der Hofanlage wiederherzustellen und zusätzlichen Wohnraum zu gewinnen. „Das Neue haben wir bewusst modern gestaltet“, erklärt die zuständige Architektin Sybille Schenk, „damit es sich vom Alten dezent und eigenständig absetzt.“
Der eingeschossige Neubau verläuft parallel zum Fachwerkwohnhaus und erhielt, entsprechend der Gebäudeform des Altbaus, ein Satteldach, allerdings mit Zinkstehfalzdeckung. Zwischen den Dachsparren wurden 20 cm Zellulosedämmung eingeblasen.
Die Wände sind in Massivbauweise mit 30er Porotonziegel gemäß Wärmeschutzberechnung errichtet. Sie erhielten einen mineralischen Außenputz und einen etwas helleren Sandton als Anstrich, um eine optische Einheit zwischen Alt- und Neubau herzustellen. Im Innenbereich spritzten die Handwerker einen Fertiglehmputz (Claytec Universal-Lehm / Unter- und Oberputz) auf, was bei großen Wandflächen wesentlich kostengünstiger ist als das Auftragen per Hand. Abschließend wurden die Wände wie beim Altbau mit Kaseinfarben gestrichen. Alt- und Neubau verbindet ein dezenter, flacher Zwischenbau in konventioneller Massivbauweise aus 30er Porotonziegel.
Weitere Informationen
Solaranlage bba 542
Holzvergaserheizkessel bba 543
Planung und Bauausführung: BAS – Büro für Architektur und Stadtplanung, Sybille Schenk, Kassel
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