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300 Jahre altes Hochstudhaus zum Künstlerhaus umgenutzt

Sanierung und Umnutzung eines 300 Jahre alten Hochstudhauses zum Künstlerhaus
Lichte Atmosphäre in alter Struktur

In Boswil im Schweizer Kanton Aargau hat der Züricher Architekt Gian Salis ein über 300 Jahre altes, denkmalgeschütztes Hochstudhaus saniert und zu einem hellen, luftigen Künstlerhaus umgebaut. Bei der Umsetzung wurde konsequent mit Holz gearbeitet: Fichte für die Tragstruktur, Tanne für den Innenausbau, Hainbuche für die Möbel. Die bestehenden Strukturen und die Ertüchtigungsmaßnahmen gehen dabei eine wie selbstverständliche Symbiose ein.

Anforderung:

Umbau eines 300 Jahre alten, stark verbauten, dunklen Hochstudhauses in ein zeitgemäßes helles Künstlerhaus 

Lösung:

Rückbau früherer Umbauten sowie Ertüchtigung der vorhandenen Strukturen u.a. mit neuen sowie wiederverwendeten Holzelementen


Das ehemalige Boswiler Sigristenhaus – einstige Unterkunft der Messdiener – wurde um 1700 als einfaches Bauernhaus errichtet. Es bestand aus einem Wohntrakt in Bohlenständerbauweise und daran anschließendem Tenn und Stall in einer Hochstudkonstruktion – eine archaische, für den Aargau typische Firstständerbauweise.

Heute steht das Haus unter kantonalem Denkmalschutz. Anfängliche Überlegungen, den Schutzstatus des Gebäudes aufzuheben, es abzureißen und an seiner Stelle einen Neubau zu errichten, wurden wieder verworfen – man entschied sich dafür, den Bestand zu erhalten.

Nach gewonnenem Studienwettbewerb durfte Architekt Gian Salis das ehemalige Sigristenhaus im Auftrag der Stiftung Künstlerhaus Boswil sanieren und zu einem Haus für Musikerinnen und Musiker mit zwei Proberäumen sowie sieben Gästezimmern umbauen.

300 Jahre altes Hochstudhaus in Boswil, das zum Künstlerhaus umgenutzt wurde
Bild: Gian Salis

Neue Nutzungen in alter Struktur

Das Gebäude war im Laufe der Jahrhunderte mehrmals umgebaut worden. So waren beispielsweise die äußeren Kammern im Wohntrakt erst später hinzugekommen. Das Dach darüber wurde angehoben, was schließlich zur geschwungenen Dachform führte. Durch die früheren Umbauten wirkte das Haus unübersichtlich und verschachtelt.

Architekt Gian Salis war es wichtig, im Rahmen der Sanierung möglichst viel vom ursprünglichen Bestand zu erhalten und gleichzeitig mehr Licht und Klarheit in das stark verbaute, dunkle Gebäude zu bringen. Alle Einbauten aus dem 20. Jahrhundert wurden deshalb zunächst rückgebaut und die rohen alten Strukturen freigelegt. Nach einer genauen Analyse des Bestands plante der Architekt die neuen Nutzungen schließlich dort ein, wo sie am besten in die alte Struktur passten.

„Das war die größte Herausforderung im Entwurfsprozess“, so Gian Salis: „Jeden Raum so in die bestehende Struktur einzufügen, dass er optimal passt und im Bestand Platz findet – und alles so zu erschließen, dass es ganz logisch auffindbar ist, auch für Gäste, die zum ersten mal im Haus sind.“

Im Dachgeschoss mit seinem großen Volumen unterhalb der alten Dachkonstruktion sind nun zwei Proberäume mit optimierter Akustik für Musik-Proben untergebracht. Die sieben kleinteiligen Gästezimmer mit je eigenem Bad wurden ins erste Obergeschoss und in den Heustock gelegt, wobei die Decken höhergesetzt wurden, um eine ausreichende Raumhöhe zu erreichen. In den alten Täfer-Stuben im Erdgeschoss befinden sich heute Büroräume inklusive Rezeption und zentraler Empfangstheke, und in den ehemaligen Ställen sind Lager und Werkstatt untergebracht. Im neuen, lichtdurchfluteten Anbau Ost wiederum liegt das Sitzungszimmer. Dieser Gebäudeteil wurde anstelle eines Anbaus aus den 80er Jahren errichtet und wirkt wie eine kleine Gartenlaube.

Probesaal mit Blick auf die Hochstudkonstruktion im Künstlerhaus Boswil
Bild: Gian Salis

Viel Licht und neue Sichtachsen

Erschlossen werden die neuen Räume bis unters Dach durch eine zentrale öffentliche Treppe im ehemaligen Tenn, wo alle im 20. Jahrhundert eingezogenen Böden radikal ausgeräumt wurden und so eine imposante Halle entstanden ist – geprägt von der Hochstudkonstruktion, die hier beidseitig der Treppe über die ganze Höhe bis in den First erlebbar wird. 

Durch ein vorgefundenes Dachziegelfenster fällt ein Sonnenfleck in die Halle, der im Laufe des Tages durch den Raum wandert und die Halle belichtet und belebt. Außerdem fällt Licht durch das geöffnete Tenntor und durch das lichte Sitzungszimmer gegenüber. Nischen und Sichtbezüge machen den Raum zu einem attraktiven Pausen- und Aufenthaltsbereich, wo auch informelle Treffen stattfinden können.

„Das freut mich am meisten“, so Gian Salis: „Dass es gelungen ist, aus dem dunkelsten, schwierigsten Raum – dem zugebauten Tenn – nun eine großzügige, lichtdurchflutete Erschließungshalle zu machen.“

Die Proberäume im Dachgeschoss werden jeweils giebelseitig optimal belichtet: im großen Saal durch eine vollflächige Verglasung hinter Holzlamellen, im kleinen Saal durch sieben Fenster, wobei drei in Abstimmung mit der Denkmalpflege neu erstellt werden durften. So waren in der Dachfläche keine neuen Fenster nötig. Eine Blickachse durch den ganzen Dachraum verbindet die beiden Proberäume miteinander.

Für die Saalböden wurde übrigens − wie auch für die Möbel − Hainbuche verwendet: „Weil es sehr hart ist und so der Konzert-Flügel problemlos darauf verschoben werden kann“, erklärt der Architekt.

Eingangsbereich mit Rezeption im Künstlerhaus Boswil
Bild: Gian Salis

Neues Fundament, neuer Liftschacht

Das ganze Haus musste auf neue Fundamente gestellt werden – zuvor lagen die Holzbalken teils direkt auf der Erde auf. Eine neue Betonbodenplatte mit Dämmung und Fußbodenheizung stellt nun einen zeitgemäßen Aufbau dar.

Ebenfalls aus Beton ist der neue Liftschacht, der das Kellergeschoss mit dem Dachgeschoss verbindet. Er dient – neben der Erschließung – als aussteifendes Element sowie als Steigzone für die Elektroleitungen. Um mit den Hochstudpfosten nicht in Konkurrenz zu stehen, ist er, wie auch die anschließenden Wände, mit geschliffenen, zementgebundenen Holzfaserplatten verkleidet. Neben dem Betonschacht übernehmen neue Decken die Horizontalaussteifung.

Wiederverwendung alter Bauteile

Wichtig war es dem Architekten, möglichst viele alte Bauteile zu erhalten bzw. wiederzuverwenden. Dafür wurde in einem Buch akribisch dokumentiert, in welchem Raum welches Brett, welcher Stein gefunden wurde, um diese, wenn möglich, später wieder einzusetzen. 

Da die Fassaden außen in gutem Zustand waren, wurden diese nur gereinigt und innenseitig mit einer neuen Tragstruktur verstärkt und gedämmt. Die alte Täfelung wurde dafür teils wieder eingebaut, teils wurde neu vertäfelt. Die alten Bohlenständerwände wurden, wo möglich, sichtbar gelassen und nur mit einer weichen Bürste abgewaschen. Die abgewetzten Bodendielen wurden ausgebaut, abgehobelt und anschließend wieder eingebaut – teilweise als rustikale Verkleidung der Wände. 

Eingangsbereich im Künstlerhaus Boswil mit Blick auf das geschwungene Dach
Bild: Gian Salis

Alte und neue Tragstruktur in Symbiose

Bei der Analyse der Konstruktion wurde den Tragwerksplanern schnell klar, dass die horizontalen Elemente zwar überlastet waren, die vertikalen Tragelemente hingegen sogar noch Reserven für weitere Lasten hatten. So entschied man sich, die neue (an heutige Anforderungen angepasste) Dachkonstruktion aus Fichtenholz auf die vorhandene Konstruktion aufzulagern. Die bestehende Lastabtragung wurde beibehalten und, wo nötig, verstärkt. So tragen die alten Hochstüde heute auch die neue Firstpfette. Es entsteht eine selbstverständliche Symbiose zwischen der bestehenden Tragstruktur und den Ertüchtigungsmaßnahmen.

Das Vordach ist ungedämmt und liegt außerhalb der Gebäudehülle. Das Hauptdach hingegen ist zwischen den neuen Sparren unterhalb des Unterdachs mit Zellulose gedämmt. Darunter befinden sich die Dampfbremse und eine Lage Steinwolle zur Schallabsorption. Ein Akustikvlies sorgt im darunterliegenden Proberaum für eine angemessene Raumakustik. Im Innenraum wurde der Bereich oberhalb der alten Tragbalken mit Tannenholz verschalt, um diese sichtbar zu erhalten.

Gedeckt ist das Dach mit den alten Biberschwanzziegeln, wobei keine Aufbauten oder Abluftrohre die imposant geschwungene Dachfläche stören.

300 Jahre altes Hochstudhaus in Boswil, das zum Künstlerhaus umgenutzt wurde
Bild: Gian Salis

Gelungene Verwandlung zum Künstlerhaus

Architekt Gian Salis hat es geschafft, das besondere Erscheinungsbild und die einzigartige Konstruktion des historischen Hochstudhauses in Boswil zu bewahren, während er es gleichzeitig einer zeitgemäßen Nutzung als Künstlerhaus zugeführt hat. 

Von außen ist der Umbau nur an der Nordfassade und am Anbau Ost erkennbar, welche großzügig verglast und mit Holzlamellen zu ruhigen Flächen zusammengefasst wurden. Den stark verbauten und unübersichtlichen, dunklen Bau hat der Züricher Architekt in ein helles und einladendes Gebäude mit vielfältigen Sichtachsen verwandelt, das zugleich Blickbezüge nach draußen ermöglicht.

„Wir mussten teils sehr stark eingreifen aufgrund der Anforderungen an Brand- und Schallschutz“, so Gian Salis. „Und doch ist es gelungen, das Alte lesbar zu machen und zusammen mit den neuen Bauteilen ein harmonisches Ganzes zu schaffen.“


Projekt: Umbau Hochstudhaus zu Musikerhaus, Künstlerhaus Boswil

Standort: Flurstrasse 21, 5623 Boswil, Schweiz

Bauherr: Stiftung Künstlerhaus Boswil

Architekt: Gian Salis Architektur, Zürich | Gian Salis, Eliane Windlin
www.giansalis.ch

Holzbauingenieur und Brandschutz: Makiol Wiederkehr, Beinwil am See | Matthias Ermel, Raphael Greder, Marco Affolter, Peter Makiol
www.holzbauing.ch


Was ist ein Hochstudhaus?

Das Hochstudhaus ist eine traditionelle Bauweise, die vor allem im Südschwarzwald, im Elsaß und im schweizerischen Kanton Aargau anzutreffen ist.

Die Grundidee der Konstruktion ähnelt der eines Zeltes: Die vertikalen »Zeltstangen« bilden die sogenannten Firstsäulen, die Hochstüde, welche den Firstbalken tragen. Das »Zeltdach« besteht aus den Rafen (Tragbalken), die paarweise über den Firstbalken und am unteren Ende über die Außenwände »gehängt« werden.

Das Dach ist i.d.R. sehr groß und steil, um Regenwasser schnell abfließen zu lassen – denn ursprünglich waren die Häuser mit Stroh gedeckt. Die Umschließungswände sind üblicherweise in Bohlenständerbauweise auf einem umlaufenden Schwellenkranz gefertigt.

Die Hochstudhäuser greifen auf viel ältere Bautraditionen zurück: Primitive Vorläufer dieses Haustyps wurden beispielsweise in der Jungsteinzeitsiedlung »Egolzwil 3« gefunden.

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