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Anforderung:
Integration in die Topographie und Bezug zur Umgebung
Lösung:
Flache Bauweise und Nutzung der Flächen zwischen den drei Gebäudearmen als Sportfeld, Spielplatz und Vegetationszone
Jugendherbergen haben einen speziellen Ruf. Jedenfalls halten sich bestimmte Legenden wohl ewig, wie die vom roten, lauwarmen Hagebuttentee am Abend, der in großen Edelstahlkannen serviert wird. Auch wenn die Berührungspunkte mit einer Jugendherberge bei den meisten bereits einige Jahre zurückliegen, die Erinnerung an knarzende Etagenbetten und schnarchende Zimmernachbarn bleiben wach. Dabei ist man beim Deutschen Jugendherbergswerk (DJH) schon lange im Hier und Jetzt angekommen. Moderne Häuser, attraktive Ausstattung, multimedialer Buchungskomfort, abwechslungsreiche Standorte: Jugendherbergen sind eine interessante Alternative zu Hotel, Ferienwohnung oder Campingplatz.
Jugendherberge der Zukunft
Mit der 2017 neu eröffneten Jugendherberge im bayerischen Bayreuth geht man beim DJH einen großen Schritt in Richtung Zukunft. „Neubauten“, sagt Winfried Nesensohn, Vorstand des bayerischen Landesverbandes des DJH, bei der Präsentation der Entwurfsplanung, „sind eher die Ausnahmen bei Jugendherbergen. Normalerweise modernisiert man im Bestand.“ In Bayreuth hat man sich allerdings entschlossen, den vorhandenen Bau abzureißen und neu zu bauen.
Bereits 2009/2010 beschäftigte man sich beim DJH mit der Frage, wie die Jugendherberge der Zukunft aussehen soll. Mit dabei waren die Architekten von LAVA – Laboratory for Visionary Architecture. Daraus entwickelte sich das erste Projekt für das Büro mit Sitz in Stuttgart, Berlin, Shanghai und Sydney: Der Umbau des Hauses Untersberg in der Jugendherberge Berchtesgaden von 2009 bis 2012. Schon damals überzeugten die Architekten mit ihrem Motto „More with Less“ und feierten mit der ersten Designjugendherberge Deutschlands ein „Mehr“ an Architektur mit „weniger“ Materialien, Energie, Zeit und Kosten.
Y als Grundform für 180-Betten-Haus
Einen ähnlichen Ansatz verfolgte man auch beim Neubau in Bayreuth. Für das 180-Betten-Haus wählten die Architekten als Grundform ein „Y“. Durch diesen Grundriss entstanden Zwischenbereiche, die als Ruhe-, Sport- oder Verweilzone integrierter Bestandteil des Gebäudes wurden. Im Zentrum liegt das Atrium als Schnittstelle zwischen den drei Armen. Es bildet zugleich die kommunikative Mitte, als Freiraum für Begegnung, Unterhaltung und Interaktion. Damit steht das Thema „Gemeinschaft erleben“ als Motto des DJH auch gestalterisch im Fokus. Von diesem kommunikativen Mittelpunkt aus entwickeln sich einzelne, zweigeschossige Funktionsbereiche. Die beiden rund 30 m langen Zimmerflügel richten sich nach Nordosten und Südosten aus. Im dritten Flügel finden sich die offene Küche mit Essraum, im Obergeschoss der Seminar- und Eventbereich sowie Terrassen. Über diese Bereiche ist der direkte Zugang zu den Sport- und Grünflächen der Erdgeschossebene möglich.
In Nachbarschaft zur Universität und einem Freibad auf einem großzügigen Grundstück gelegen, unterstreicht die niedrige Gebäudehöhe die gewollte Integration in die Topografie. Insbesondere die Nutzung der Zwischenflächen zwischen den drei Armen als Sportfeld, Abenteuerspielplatz und Vegetationszone sowie die unterschiedlichen Zugänge zu diesen Bereichen bewirken eine starke Verbindung des Neubaus mit der Umgebung.
Gestalterisches Konzept
Kennzeichnend für das gestalterische Konzept sind drei „I“s, wie Tobias Wallisser von LAVA – Laboratory for Visionary Architecture, Berlin, erläutert: „Internationalität, Integration und Innovation“. Als Europajugendherberge mit Sportprofil steht die Verbindung zu den Partnerstädten Bayreuths ebenso im Mittelpunkt der Gestaltung wie das Miterleben sportlicher Aktivitäten im Innen- und Außenraum. „Teile des Gebäudes werden zu Tribünen für das Geschehen auf den Sportanlagen im Außenraum“, so Wallisser.
Bei der Planung der neuen Jugendherberge lag ein großes Augenmerk auf der möglichen Nutzung durch Menschen mit Beeinträchtigungen. „Diese Jugendherberge ist ein Prototyp eines behindertenfreundlichen Gebäudes“, erklärt Wallisser. „Bewusst wird zwischen hilfsbedürftigen und nicht hilfsbedürftigen Nutzern unterschieden.“ Im Erdgeschoss finden sich 14 rollstuhlfreundliche Zimmer mit ebenerdigen Duschen, unterfahrbaren Waschbecken, erhöhtem Platzangebot und weiteren technischen Hilfsmitteln. Die Erschließung im Innen- und Außenraum ist schwellenlos ausgebildet und mit entsprechenden Leitsystemen ausgestattet.
Die von Wallisser erläuterte Innovation lässt sich an der räumlichen Konfiguration und den Zimmermodulen ebenso ablesen wie am Materialeinsatz und der Gestaltung.
Flexible Holz-Beton-Konstruktion
Auch bei der Bauweise ist Innovation das Thema: Das Gebäude besteht aus einer hybriden Holz-Beton-Konstruktion, die den Einsatz lokaler Materialien und Techniken ermöglichte. Innenliegende Teile des Tragwerks, also Flurwände und Decken, sind überwiegend aus Beton. Außenliegende Bauteile wie die Fassade, die Dachkonstruktion, aber auch nichttragende Innenwände wurden als Holzkonstruktion ausgeführt. Vorteil dieser Hybridbauweise: optimiertes bauphysikalisches Verhalten und ein hohes Maß an Flexibilität. Die wärmedämmenden Bauteile ohne Wärmebrücken sind vorwiegend im Bereich der Gebäudehülle angeordnet, die notwendigen Speichermassen im Gebäudeinneren. „Die Bauweise des Gebäudes unterstützt eine spätere Umnutzung. Aus der Jugendherberge könnte ein Kindergarten, eine Schule oder ein Altenheim werden“, so Tobias Wallisser.
Weiße Dachlandschaft
Auffallend ist auch das dynamisch geformte weiße Dach, dessen sichtbares, hölzernes Tragwerk zum Gestaltungselement wird. Es besteht aus Trägern, die außen und innen auf Wänden und entlang der Firstlinie und der Dachöffnung auf einem räumlichen Fachwerkträger aufliegen. Ein Trägergeflecht bildet die Sparrenebene, die im oberen Bereich die gekrümmte Dachfläche nachfährt. Über V-förmige Pfosten wurden die gegeneinander verschwenkten Trägerscharen in regelmäßigen Abständen verbunden, um eine räumliche Tragwirkung zu erzeugen. Umgesetzt hat das Tragwerk wie auch den gesamten Holzbau und alle weiteren Dach- und Fassadenarbeiten die Dieter Kohl GmbH aus Edelsfeld.
Dach- und Dichtungsbahn
Abgedichtet wurde das dreiflügelige Dach mit der selbstklebenden Dach- und Dichtungsbahn „Evalon VGSK“. Sie ist Teil des Evalon Systems des Flachdachspezialisten alwitra. Kern dieses bewährten Abdichtungssystems ist die homogene Dichtschicht. Mit ihrer Hochpolymerlegierung aus Ethylen-Vinyl-Acetat-Terpolymer (EVA) und Polyvinylchlorid (PVC) kommt sie weltweit in allen Klimazonen bei einlagigen Abdichtungen zum Einsatz. Der hohe Anteil an hochpolymeren Feststoffen sorgt für gleichbleibende Eigenschaften und eine hohe Lebensdauer der Bahnen. Gleichzeitig wirkt die helle und glatte Oberfläche er Dach- und Dichtungsbahn schmutzabweisend und reflektiert die Wärmestrahlung. Entsprechend des aktuellen FLL-Tests (Regelwerke der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V.) ist die Bahn durchwurzelungs- und rhizomfest und kann ohne zusätzliche Wurzelschutzbahn im begrünten Dachaufbau verlegt werden.
Kennzeichnung und Zertifizierung
Je nach Dachaufbau oder Nutzung ist diese Dach- und Dichtungsbahn unterseitig mit Polyestervlies als Evalon V, mit Glasvlies/Polyestervlies als Evalon VG sowie kaschiert und mit unterseitiger Selbstklebeschicht als Evalon VSK/VGSK erhältlich.
Die in Bayreuth verarbeitete Evalon VGSK bietet mit ihrer integrierten Brandschutzlage zusätzliche Sicherheit und Funktionalität. Sie ist direkt und vollflächig auf unkaschierte EPS-Hartschaumplatten zu verkleben. Die Bahnen werden untereinander mittels Heißluft oder Quellschweißmittel gefügt. Neben der Kennzeichnung mit dem CE-Zeichen als Dach- und Dichtungsbahn gemäß EN 13956 und EN 13967 liegen für alle Evalon-Bahnen Umwelt-Produkt-Deklarationen (EPD) – erstellt vom Institut Bauen und Umwelt (IBU) e.V. – vor. Zusätzlich hat alwitra für dieses Dachabdichtungssystem alle notwendigen Daten zur Einbindung in die internationalen Zertifizierungssysteme LEED und BREEAM zusammengefasst und verifiziert und stellt diese gesondert zur Verfügung. Eine der Dachflächen wurde zusätzlich begrünt. Im dynamischen Übergang zwischen den Flächen und der Fassade dient eine verdeckte Rinne zur Entwässerung.
Handwerkliche Details
Diese und andere gestalterische Elemente, wie z.B. die geschwungene Verbindung zwischen Dach und Terrassen, wurden handwerklich ausgebildet und ebenfalls mit der Evalon VGSK abgedichtet. Das variabel einsetzbare Abdichtungsmaterial mit Selbstklebeschicht ermöglichte zahlreiche Detaillösungen für das homogen wirkende Dach.
Begegnung steht im Mittelpunkt
Mit ihren 3 600 m2 Geschossfläche, 180 Betten und 45 Zimmern bietet der Jugendherbergsneubau in Bayreuth nicht nur ausreichend Platz, sondern setzt dank konsequenter Gestaltung auch auf Robustheit und Modularität. Klare Materialsprache, durchdachte Möblierung und das Atrium als kommunikative Schnittstelle zeigen auf, wohin sich die Jugendherbergen in Zukunft entwickeln: hip, modern, integrativ, aber immer auf das Gemeinschaftserlebnis fokussiert.
Bauherr: Deutsches Jugendherbergswerk (DJH) Landesverband Bayern e.V.
Architektur: LAVA – Laboratory for Visionary Architecture, Berlin,
Tobias Wallisser,
Alexander Rieck, Chris Bosse
www.l-a-v-a.net
Tragwerksplanung: Engelsmann Peters GmbH, Stuttgart
Landschaftplanung: riede landschaftsarchitektur, Nürnberg
Brandschutzplanung: bauart Konstruktions GmbH, München
Holzbau, Dach und Fassade:
Dieter Kohl GmbH, Edelsfeld
Das Motto der Architekten: „More with Less“ – ein Mehr an Architektur mit weniger Materialien, Energie, Zeit und Kosten
Architekt Tobias Wallisser: „Die Bauweise des Gebäudes unterstützt eine spätere Umnutzung. Aus der Jugendherberge könnte ein Kindergarten, eine Schule oder ein Altenheim werden.“
Winfried Nesensohn, Vorstand des bayerischen Landesverbandes des DJH: „Neubauten sind eher die Ausnahme bei Jugendherbergen. Normalerweise modernisiert man im Bestand.“
Josef Löcherbach, Ltg. Produktmanagement Dach- und Dichtungsbahnen, alwitra: „Speziell für dieses Gebäude mit der dynamisch geformten Dachkonstruktion bieten die weißen EVA-Selbstklebebahnen eine optimale Lösung. Die Bahnen passen sich aufgrund der Flexibilität des Werkstoffes optimal an.“
Architekt Tobias Wallisser:
„Teile des Gebäudes werden zu Tribünen für das Geschehen auf den Sportanlagen im Außenraum.“
Flachdachrichtlinien
Die Fachregel für Abdichtungen, kurz Flachdachrichtlinie, wurde vom Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks – Fachverband Dach-, Wand- und Abdichtungstechnik herausgegeben. Die Flachdachrichtlinie ist die Fachregel für Abdichtungen genutzter und ungenutzter Dächer, ersetzt jedoch nicht die Vorschriften der geltender DIN-Normen (z.B. DIN 18531). Für eine fachgerechte Planung und Ausführung sollten demnach gleichermaßen Fachregeln und DIN-Normen Beachtung finden.