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Sichtbeziehungen zum Rhein

Fakultät für Tanz und Theater in Arnheim (NL)
Sichtbeziehungen zum Rhein

Robert Uhde

Ein großer Teil der Niederlande liegt unterhalb des Meeresspiegels und ist vollkommen flach. Zu den wenigen Ausnahmen gehören die in der vorletzten Eiszeit vor 130 000 Jahren bis zu 100 m hoch aufgestauten Wallrücken in der Gegend um Arnheim. Nach Süden, wo die sanften Hügelketten direkt an den Rhein grenzen, hat sich dabei eine terrassenartig gestaffelte Uferlandschaft entwickelt, die zu den abwechslungsreichsten Regionen der Niederlande zählt. Mitten in dieser für dortige Verhältnisse fast alpinen Kulisse, auf einem schmalen Grundstück zwischen Fluss und Anhöhe, liegt auch die 1958 nach Plänen von Gerrit Rietveld, dem Altmeister der niederländischen Moderne, errichtete Hochschule der Künste Arnheim. Vor kurzem wurde das denkmalgeschützte Ensemble um einen 14 m unterhalb der Erde platzierten Neubau einer Fakultät für Tanz und Theater ergänzt.
Von außen wirkt es fast, als hätte sich hier nichts verändert. Die Studenten und Besucher registrieren von der insgesamt 7 000 m2 großen, vom Büro Hubert-Jan Henket aus Esch geplanten Erweiterung zunächst nur eine 42 x 95 m große, zur Abfuhr von Regenwasser leicht um 2° geneigte Glasüberdachung sowie vier kleinere Aufbauten der Fluchttreppenhäuser. Ansonsten wurde der Neubau konsequent unter die Erde verbannt, um so die innerhalb der Stadt ansonsten weitgehend verbaute Sichtbeziehung zwischen dem Rhein und dem Hügelrücken frei zu halten und gleichzeitig dem architekturhistorischen Wert des 1997 ebenfalls durch Hubert-Jan Henket renovierten Rietveld-Baus sowie dessen Konzeption als „Pavillon im Park“ Rechnung zu tragen.
Überraschend luftig
Die Erschließung der trotz ihrer unterirdischen Lage überraschend hellen und luftigen Erweiterung erfolgt über den Haupteingang des Bestandes, von wo aus ein Gang im Souterrain direkt in den Neubau führt. Dort angelangt, fällt der Blick zunächst hinunter auf das zentrale Atrium, das mit seinem vollständig transparenten Dach viel Tageslichteinfall in sämtlichen Ebenen schafft und umgekehrt für spannende Aufsichten vom Gebäudeinneren hinauf zu den Baumkronen der auf den Rheinterrassen stehenden Birken, Buchen und Eichen sorgt.
Sämtliche anderen Räume wurden rund um das gebäudehohe Atrium gruppiert, wobei der zur Verfügung stehende Raum abwechselnd durch zwei übereinander gestapelte Studios von jeweils 5,50 m Höhe, durch drei Büros oder Leseräume von jeweils 3,60 m Höhe oder durch einen Theatersaal von 11 m Höhe organisiert wird. Als vertikale Erschließung fungiert eine quer durch die Glashalle führende Laufbrücke aus Stahl, die sämtliche Räume im ersten Geschoss miteinander verbindet.
Vorsichtshalber unterirdisch
Die Ursprünge der Planung reichen zurück bis ins Jahr 1992, als die Hochschule beschlossen hatte, die Bereiche Bildende Kunst, Musik, Architektur, Mode, Tanz und Theater an einem Standort zusammenzuführen.
Die meisten dieser Institute wurden in angrenzenden ehemaligen Bürogebäuden untergebracht, für die Fakultät für Tanz und Theater wurde aufgrund der besonderen Raumanforderungen jedoch ein kompletter Neubau beschlossen. Bei dessen Planung hatte das schließlich beauftragte Büro Hubert-Jan Henket zunächst eine aufgeständerte Lösung vor Augen.
Doch als die niederländische Regierung nach dem starken Rheinhochwasser im Winter 1995 beschlossen hatte, keine weiteren Projekte im Uferbereich mehr zu genehmigen, die den Rückfluss des Wassers behindern könnten, wurde schließlich entschieden, den für insgesamt 150 Studenten vorgesehenen Bau komplett unter die Erde zu legen. Aufgrund der umfangreichen Analysen und Voruntersuchungen in Sachen Lüftung und Belichtung dauerte es anschließend noch bis zum Jahr 2003, bis endlich mit der Ausführung des Neubaus begonnen werden konnte.
Das lange Warten hat sich jedoch vollauf gelohnt. Denn entgegen der anfänglichen Befürchtungen der Studenten und Dozenten, in einem unterirdischen „Bunker“ arbeiten zu sollen, gelang den Architekten ein offener, strahlend weißer und übersichtlich organisierter Bau, der den „gleichen Geist von Licht und Raum, von Struktur und Ordnung atmet, wie der Ursprungsbau von Gerrit Rietveld“. Dies stellte die Jury des renommierten niederländischen „Schreuderprijses 2003“ für unterirdisches Bauen fest, die den Bau schon ein Jahr vor seiner endgültigen Fertigstellung auszeichnete.
Bekenntnis zur Tradition
Die trotz ihrer ungewöhnlichen Form bewusst unauffällige und mit Rücksicht auf den Bestand realisierte Lösung kommt dabei keineswegs von ungefähr. Denn entgegen dem architektonischen Zeitgeist, der gerade in den Niederlanden in den vergangenen Jahren immer wieder zu extrem avantgardistischen Entwürfen geführt hat, bekennt sich Hubert-Jan Henket ganz bewusst zur Tradition und den humanistischen Idealen der niederländischen Moderne. Eine Haltung, die ihn 1990 dazu brachte, gemeinsam mit dem Rotterdamer Architekten Wessel de Jonge die internationale Organisation „Docomomo“ zu gründen, die sich länderübergreifend um die Erfassung, Instandhaltung und Sanierung von Bauten aus der Zeit der Moderne von 1920 bis 1970 kümmert.
Der Baufortschritt des Projekts glich in weiten Teilen dem bei einem Tiefbauprojekt: Rund einen Meter unter der Erde strömt Grundwasser vom Wallrücken hinunter in Richtung Rhein. Zusammen mit dem Wall selbst übt es Druck auf die aus Beton gegossene „Gebäudewanne“ aus. Um diese vertikalen Kräfte aufnehmen zu können, musste der Bau durch einzementierte Zuganker und Zughaken sowie durch vier horizontale, quer durch das Atrium gespannte Verstrebungen gesichert werden. Oberhalb dieser Verstrebungen stößt der Blick auf das imposante Glasdach. Die in enger Zusammenarbeit mit dem Ingenieurbüro Brakel Atmos realisierte Konstruktion ermöglicht nicht nur eine optimierte Tageslichtzufuhr, sondern integriert auch die Lüftungsklappen für die Rauchabfuhr und die natürliche Belüftung sowie die Sonnenschutzsegel zur Verschattung. Der filigrane Aufbau wird aus stählernen Fachwerkträgern gebildet, auf denen im Abstand von jeweils 5 m frei tragende, 15 m überspannende Binder aufliegen. Die schlanken Aluminiumprofile vom Typ Brakel Atmos BA4 nehmen nicht nur die verschiedenen Versorgungsleitungen auf, sondern sind gleichzeitig mit Beleuchtungsschienen sowie Galerieleisten ausgestattet. Um die gesamte Konstruktion nutzen und warten zu können, integriert das Dach außerdem einen hoch über der Erde verlaufenden „Catwalk“ – zum bequemen Austausch von Glühbirnen, zum Waschen der Scheiben und zum Aufhängen von freier Kunst.
Entwurf: Henket & partners architecten, Esch (NL) Planungsteam: Hubert-Jan Henket, Maarten van der Hulst, Henk van Laarhoven, Rob Schoutsen Statik: ABT, Adviseurs in bouwtechniek, Arnheim Bauphysik: CDC, Nijmegen
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