Startseite » Allgemein »

Poetisches Stadtzeichen

Neues Kunstmuseum in Stuttgart
Poetisches Stadtzeichen

Für das Kunstmuseum Stuttgart wollten die Berliner Architekten Hascher und Jehle nichts Schillerndes oder Aufdringliches entwerfen, das die künftige Nutzung des Baus in den Hintergrund drängt. „Andererseits sollte hier auch nichts entstehen, das in Berlin unter dem Stichwort ‚Kritische Rekonstruktion’ bekannt ist – also ein Neubau, der sich formal an das alte Kronprinzenpalais anlehnt“, erklären die Architekten das Konzept.

Die gebürtigen Stuttgarter schufen vielmehr „einen ruhigen, eleganten Baukörper, der eindeutig in unserer Zeit verankert ist“. Denn der gesamte Schlossplatz wird von Bauwerken unterschiedlicher Epochen begrenzt, die ihre jeweils eigene Sprache sprechen.
Hascher und Jehle entschlossen sich daher für einen architektonischen Solitär, der städtebaulich eindeutig, wenn auch nicht marktschreierisch und vorlaut in der Königstraße steht und mit seiner Umgebung ein Ensemble bildet.
Der Neubau ist bewusst etwas aus der Baufluchtlinie der Königstraße zurückgezogen. Dadurch entsteht ein Eingangsbereich vor dem Museum, der dem Ort Großzügigkeit verleiht und den Blick auf den Portikus des Königsbaus frei gibt. „Das ist im wesentlichen städtebauliches Denken, kein in erster Linie architektonisches, das vom Gebäude selbst ausgeht“, so Prof. Hascher und sein Kollege erinnert: „Es ging hier ja um eine Stadtreparatur im wörtlichen Sinne, denn es war eine desolate Situation.“
Gewachsenes berücksichtig
Dabei haben die Architekten in ihrem Entwurf darauf geachtet, weder das historische Bild (die Vedute des Kronprinzenpalais) noch den zwischenzeitlich dort gebauten Tunnel oder die allseits beliebte Treppe zu leugnen, sondern die Spuren der Vergangenheit konstruktiv in das neue Gebäude aufzunehmen.
Außerdem berücksichtigten sie noch eine weitere städtebauliche Besonderheit dieses Ortes: Das Neue Schloss steht in einem Winkel von sechs Grad verdreht zur Königstraße. Rolf Gutbrod hatte darum seinerzeit den Neubau der Baden-Württembergischen Bank in diesem Winkel genau auf das Schloss orientiert. „Diese subtilen Maßnahmen werden als stadträumliche Qualität gespürt, denn gerade die kleinen Unregelmäßigkeiten werden in gewachsenen Städten unbewusst als angenehm empfunden.“
So wurde der Museumsneubau ganz bewusst orthogonal auf die Königstraße ausgerichtet, da sonst das Wechselspiel von Bank und Schloss nicht mehr deutlich geworden wäre.
Einladung zur Kunst
Die minimalistische Glasfassade des 26 m hohen Kubus hat mit ihrer verdichteten Bedruckung im unteren Bereich des Kubus etwas Abgehobenes, bis zu einem gewissen Grad auch abweisend Kühles. Der Haupteingang und das 450 m² große Foyer auf Höhe der Königstraße dagegen sollen einladen, ohne aufdringlich zu sein:
„Es ist immer ein Spagat. Auf der einen Seite will man das Haus offen und lebendig machen, auf der anderen Seite möchte man aber auch nicht banalisieren“, erklärt Sebastian Jehle und Rainer Hascher ergänzt: „Wir wollten keinen Kunsttempel, der nur auf sich bezogen ist, sondern ein Haus, das im Zentrum der Stadt steht und wirklich lebendig ist.“
Museumskasse, Espresso-Bar, Museumsshop und Garderobe machen das 5,50 m hohe, mit schwarzen Basalt-Lava-Platten ausgelegte Foyer zum Dreh- und Angelpunkt des Hauses und zugleich zu einer Übergangszone: „Man stolpert nicht aus der turbulenten Straße gleich in die Kunst, sondern die Räume werden ruhiger, je tiefer man in das Museum vordringt.“
Grundriss und Konstruktion
Für die Verkleidung des inneren Würfels wurden Krustenplatten in Solenhofer Jura-Kalkstein gewählt. Der warme Farbton, die prähistorischen Einschlüsse und die raue Oberfläche der Platten stehen in bewusstem Kontrast zur kühlen Glasfassade und zum silbrig-matten Glasbelag der Umgänge und des Haupttreppenhauses.
Auf der Oberseite des Steinwürfels bietet das rundum verglaste Museumsrestaurant mit einer Gesamtfläche von 450 m² neben Kulinarischem einen spektakulären Rundblick über die Stadt.
Im Foyer überrascht bereits hier die unerwartete Dimension der unter dem Kleinen Schlossplatz liegenden Ausstellungsfläche in Ebene 0, die man unmittelbar nach Passieren der so genannten Spange – eines 500 m² großen quer liegenden Ausstellungs- und Veranstaltungsraumes – erreicht. Entlang der durch ein Oberlicht natürlich belichteten 60 m langen Hauptachse gehen links verschiedene Ausstellungsräume ab.
Rechts des Erschließungsweges öffnen sich große Durchbrüche zur darunter liegenden Ebene –1; Brücken schaffen den Übergang zu einer Reihe annähernd gleich großer rechteckiger Räume von 110 m².
„In den Ausstellungsräumen bleibt die Geometrie sehr zurückhaltend, ganz klassisch. Wobei auch hier anzumerken ist, dass es bestimmte Objekte geben wird, die darin nicht ausgestellt werden können“, räumt Prof. Jehle ein. „Es gibt keine Räume, die für alles geschaffen sind. Wir halten einen völlig neutralen, einen identitätslosen Raum auch nicht für sinnvoll.“
Die Sichtbetonwände des Erdgeschosses lagern auf der darunter verlaufenden langen Wand in Ebene –1. Sie und auch die ihr gegenüber liegende Wand bilden die Begrenzung zu den unmittelbar neben dem Museumsbau verlaufenden Tunnelröhren. Erst mit Betreten des Untergeschosses wird erkennbar, dass die 115 m lange und 14 m breite Fläche sich ihrerseits aus einer still gelegten Tunnelröhre ergeben hat.
Von diesem Standort aus erklärt sich auch die Ausrichtung des gesamten Gebäudes: Der Verlauf des Tunnels bildet die Achse, nach der sich Erd- und Untergeschoss orientieren. Auch die um sechs Grad aus dem rechten Winkel abweichende, zum Königsbau parallel verlaufende Wand in allen Kubus-Etagen folgt dieser Vorgabe. Aus diesem Grund haben alle Räume im Untergeschoss maximal zwei rechte Winkel.
Materialkontraste
Mit dem weithin sichtbaren gläsernen Kubus, der in sich einen Kern aus gebrochenem Naturstein birgt, setzen Hascher und Jehle bewusst auf Kontrast: „Der äußerlich schroff, fast archaisch wirkende Steinwürfel bietet im Inneren Ruhe und Konzentration auf die Kunst“, so Prof. Jehle, „die technische Perfektion der gläsernen Hülle dagegen ist offen, scheinbar unbestimmt und bespielbar – die perfekte Oberfläche unserer medialen Zeit.“
Die Wirkung der Fassade wechselt dabei zwischen Tag und Nacht. Am Tage zeigt sich durch die Minimierung der tragenden Stahlkonstruktion, die horizontalen Streifen und das zurückgesetzte Erdgeschoss ein elegant zurückhaltendes Gebäude, abends aber kehrt sich die Wahrnehmung um:
Die äußere Glashülle löst sich auf, der Steinkubus leuchtet in seiner Naturfarbe auf und stellt die Beziehung zum benachbarten Königsbau her.
Um diese Wirkung zu erzielen, war modernste Fassadentechnik notwendig: Jede Fassadenseite setzt sich aus 56 Scheibenelementen je 4,10 m x 2,50 m zusammen. Größere Scheiben sind als Funktionsgläser technisch nicht herstellbar.
Jedes der 224 etwa 760 kg schweren Elemente besteht aus drei sonnen- und wärmeschutzbeschichteten Weißglasscheiben.
Eine Verbundfolie hält die beiden äußeren Scheiben zusammen. Der schmale Zwischenraum zur Innenscheibe ist mit Argon-Gas gefüllt, das die Wärmedämmeigenschaft der Scheibe so weit wie möglich verbessert.
Um den Eindruck einer durchgängigen Glasfläche zu vermitteln, wurden die Längskanten der Scheiben so eingeschliffen, dass sie die äußeren Klemmleisten bündig aufnehmen. Die Glasfassade ist über eine feingliedrige Konstruktion an einem Stahlträgerrost im obersten Geschoss aufgehängt. Gegen den Druck des Windes sind Fassade und Glasdach mit 6 cm breiten Glasschwertern stabilisiert.
Spezialglas
Selbst öffnende Glastüren erlauben in allen Stockwerken jederzeit ein Hinaustreten in die Kubusumgänge mit ihrem Panoramablick
Insgesamt wurde 2500 m² Fläche verglast : Trennwände, Türen, Aufzüge und das Dach. Dabei mussten nicht nur Anforderungen an Transparenz und Offenheit erfüllt werden, auch Brandschutzanforderungen spielten eine wesentliche Rolle. Die Behörde forderte unter anderem den Einsatz von Brandschutzverglasungen der Feuerwiderstandsklasse G30, eingesetzt in einer ebensolchen „Verspieltheit“, wie es das gesamte Gebäude ausstrahlt.
Im Zuge dessen kam das Spezialglas PYRAN S von Schott zur Verwendung. Auf Grundlage der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung Z-19.14–363 wurde der Einsatz der Brandschutzverglasung durch die Zustimmung im Einzelfall an die bautechnischen Besonderheiten angepasst.
PYRAN S in den Dicken 5, 6 und 8 mm findet sich unter anderem in Trennwänden und den Aufzugsverglasungen.
Die Gläser wurden teilweise vollflächig mit Siebdruck versehen, um Sichtschutz zu gewährleisten. Eine Spezialität des Objektes, sind die G30-Türen, die ebenfalls mit PYRAN S verglast sind.
Eine weitere Besonderheit: Die senkrechte Verglasung des Treppenhauses findet in der 4. Etage durch eine T-förmig aufgesetzte Variante ihren Abschluss. Ausgeführt ist diese Lösung als VSG aus zwei Scheiben 5 mm PYRAN white, die den Übergang zum Dachbereich definiert.
Es handelt sich dabei um ein monolithisches, thermisch vorgespanntes Sicherheitsglas, das sich im Gegensatz zu Kalk-Natron-Floatgläsern bei Erwärmung nur wenig ausdehnt. Durch die hohe Festigkeit und den niedrigen Ausdehnungskoeffizienten des Borosilikatglases besteht es die Brandprüfungen nach der Einheitstemperaturzeitkurve (DIN 4102).
Weitere Informationen
Spezialglas bba 501
Architekten: Hascher Jehle und Assoziierte GmbH, Berlin Bauleitung: Kappes + Scholtz Ingenieur- und Planungsgesellschaft mbH, Stuttgart Projektsteuerung: Drees & Sommer GmbH, Stuttgart
Unsere Top-3-Projekte des Monats
MeistgelesenNeueste Artikel

Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der bba-Infoservice? Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum bba-Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des bba-Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de