Startseite » Brandschutz »

Brandschutz im Holzbau - Selbstverwaltetes Mehrgenerationen-Wohnen in Balingen

Neubau eines Mehrgenerationen-Hauses in Balingen
Brandsicher in Holz

In Balingen auf der Schwäbischen Alb hat die Mehrgenerationen-Gruppe »erlebnisreich wohnen« ein gemeinschaftsorientiertes Wohnprojekt realisiert. Der Baukörper besteht aus sechs Häusern, die sich um ein gemeinsam genutztes Atrium gruppieren. Besondere Herausforderung war es, für den Holzmassivbau der Gebäudeklasse 4 ein geeignetes Brandschutz-Konzept zu entwickeln.


Dipl.-Ing. (FH) Architekt, M.Eng. Tobias Hock, Sinfiro GmbH & Co. KG, Balingen | vs

Die Mehrgenerationen-Gruppe »erlebnisreich wohnen« besteht aus knapp 45 Mitgliedern im Alter von 3 bis 82 Jahren – darunter Familien und Paare ebenso wie Alleinerziehende und Singles. Gegründet hat sie sich aus dem Generationennetz Balingen e.V. heraus. Bereits seit 2014 arbeitete die Gruppe an der Entwicklung des gemeinschaftlichen Wohnprojekts, u.a. zusammen mit Löffler Schmeling Architekten aus Karlsruhe. Sieben Jahre später war das Gebäude fertiggestellt: Im Frühjahr 2021 zogen die Gruppenmitglieder ein.

Das selbstverwaltete Mehrgenerationen-Wohnhaus befindet sich an der Spitalwiese in Balingen auf dem ehemaligen Gelände der Stadtgärtnerei. Auf einer Fläche von 2.800 m² sind 29 Wohneinheiten unterschiedlicher Größe entstanden – vom Ein-Zimmer-Apartment bis zur Fünf-Zimmer-Wohnung. Rund 1.000 m² dienen als Gemeinschaftsflächen. Dazu gehören u.a. ein Café, eine Küche, eine Sauna, ein Musikzimmer, ein Fitnessraum und eine Werkstatt. Zentrum der Anlage ist das 250 m² große überdachte Atrium, das einen in sich geschlossenen Innenhof bildet.

Eingebettet ist das Wohnprojekt in die lokale Quartiersarbeit. Direkt neben dem Haus entsteht ein Nachbarschaftszentrum mit zahlreichen Aktivitäten und Mitmach-Möglichkeiten für Jung und Alt. „Nicht nur der architektonische, sondern auch der soziale Aspekt, der hinter dem Bauvorhaben steht, ist vorbildlich und stellt ein richtungsweisendes Beispiel für die Zukunft des modernen Wohnens dar“, so Löffler Schmeling Architekten aus Karlsruhe. „Schon jetzt wirkt das nachhaltige und ökologische Gemeinschaftsdenken der Baugruppe in die Nachbarschaft hinein.“

Wunsch nach Einfachheit

Ausgeführt wurde das Bauprojekt in Massivholz-Bauweise nach KfW-Standard 55. Über Erdsonden und Wärmepumpen sowie eine Photovoltaikanlage wird Heizenergie gewonnen. Das Gebäude ist barrierefrei gestaltet. Es gibt eine Tiefgarage sowie Fahrradstellplätze mit Ladestationen. Die Bäder im Haus wurden als Komplettmodule im Holzbau integriert.  

„Themen wie Nachhaltigkeit, Ästhetik der Einfachheit und kostengünstiges Bauen werden hier in allen Ebenen durchdekliniert“, so Löffler Schmeling Architekten. „Das bezieht sich auf die Materialwahl, die Konstruktion, das Fügen der Bauteile, die Schnittstellenminimierung und die Anlagen- und Heizungstechnik.“

Der Wunsch nach einfachen Lösungen, möglichst wenig Anlagentechnik und flexibler Nutzungsmöglichkeit war auch Bestandteil der Brandschutzplanung. Das Anliegen, die Konstruktion und somit das verwendete Material Holz sichtbar zu belassen, war ebenfalls Teil der  Aufgabenstellung. Die brandschutztechnische Beratung inklusive der objektbezogenen Konzeption übernahmen die Brandschutzingenieure von Sinfiro.

Brandsicherer Holz-Fünfgeschosser

Herausforderung Brandschutz im Holzbau

Der Brandschutz im Holzbau kämpft immer noch mit Vorbehalten. Denn: Holz ist brennbar. Allerdings verhalten sich Bauteile aus Holz im Brandfall durchaus günstig, denn es bildet sich schnell eine Schicht aus Holzkohle. Da diese die Wärme schlecht leitet, schützt sie das Innere des Bauteils. Aus Sicht des Brandschutzes ist Holz daher ein attraktiver Baustoff, der auch im mehrgeschossigen Hausbau zum Einsatz kommt. Schwierig wird der Brandschutz im Holzbau erst ab einer Gebäudehöhe von mehr als sieben Metern, also für die Gebäudeklassen 4 und 5. Für diese Bauten gelten baurechtlich weitergehende Vorgaben. 

Der dreigeschossige Neubau in Balingen wurde in die Gebäudeklasse 4 eingestuft. Besonderheit sind hier die sichtbaren Holzoberflächen in Verbindung mit dem über alle Geschosse führenden Atrium, das als  Ort der Zusammenkunft für die Gebäudenutzer dient. Die Wohnungswände, die ans Atrium grenzen, sind als Massivholzwände mit Öffnungen für Türen und Fenster ausgeführt. Zu den Außenbereichen hin ist das Atrium verglast. Den oberen Abschluss des Atriums bildet eine Massivholzdecke mit unmittelbar darunter angeordneten vertikalen Glaselementen. In jedem Geschoss gibt es einen umlaufenden Gang, der horizontal die drei notwendigen Außentreppen sowie die Wohnungen erschließt. 

Wenig Anlagentechnik

Die Brandschutzingenieure von Sinfiro bewerteten das Atrium analog zu einem offenen Gang im freien Luftstrom. Hierfür mussten sie nachweisen, dass Rauch und Wärme im Brandfall wirksam abgeleitet werden und die Rettungswege ausreichend lange nutzbar sind – für die Selbstrettung, aber auch für die Brandbekämpfung der Feuerwehr. Außerdem untersuchten sie die Temperaturbelastung im Bereich der Rettungswege, um auch hier die Gleichwertigkeit zu einem offenen Gang nachzuweisen. 

Die brandschutzbedingte Anlagentechnik im Balinger Mehrgenerationen-Wohnhaus konnten die Planer auf einen Rauchabzug mit Zuluftöffnung im Atrium beschränken. Dessen Parameter ermittelten die Brandschutzingenieure von Sinfiro mithilfe der Ingenieurmethoden (Simulation). Rauchwarnmelder in den Schlafräumen der Wohnungen sind ohnehin gesetzlich vorgesehen; diese Anforderung wurde mit funkvernetzten Rauchwarnmeldern für die Wohnungen und das Atrium ergänzt, sodass Personen im Gebäude rechtzeitig gewarnt werden und die Selbstrettungsphase frühzeitig beginnen kann.

Flucht- und Rettungswege

Durchdachte Rettungswege

Eine übersichtliche Rettungswegführung und klare Strukturen ermöglichen im Balinger Wohnprojekt eine schnelle Selbstrettung der Bewohner. Die Haupterschließung des Gebäudes erfolgt im UG sowie EG über mehrere direkte Zugänge in das Gebäude. Die vertikale Erschließung erfolgt im UG über eine interne Verbindungstreppe zwischen dem Untergeschoss und dem Erdgeschoss. Die vertikale Erschließung der Obergeschosse erfolgt über Außentreppen, die gegenüberliegend angeordnet wurden. Die Treppen sind als notwendige Außentreppen in Stahl ausgeführt und bieten ausreichend lange gesicherte Rettungswege. Die horizontale Erschließung erfolgt über Flure und allgemeine Verkehrsflächen sowie die umlaufenden Gänge innerhalb des Atriums.

Dadurch entstehen für alle Bereiche sehr kurze Rettungswege, die unmittelbar ins Freie zu den Außentreppen führen. Zusätzlich wurde innerhalb des Atriums eine interne Erschließungstreppe zwischen den Geschossen eingeplant – diese dient jedoch nicht als Rettungsweg. Der zweite Rettungsweg wird für die beiden Obergeschosse durch die Rettungsgeräte der Feuerwehr über die Loggien und Fenster sichergestellt.

Sichtbare Holzkonstruktion, gegliederte Fassade

Massivholzkonstruktionen liegen nicht im Anwendungsbereich der »Richtlinie über brandschutztechnische Anforderungen an hochfeuerhemmende Bauteile in Holzbauweise – HFHHolzR«. Deshalb mussten die Planer hier ein schutzzielbezogenes Konzept entwickeln. Die Wohnungswände, die ans Atrium grenzen, wurden mit nichtbrennbaren Platten verkleidet. Die Decken sowie die Stützen konnten „holzsichtig“ bleiben, da diese mit einer Lasur für Schwerentflammbarkeit behandelt wurden.

Der Brandschutz hatte Auswirkungen auf die Fassadengestaltung. So musste eine geschossweise Unterteilung der Holz-Außenwände sichergestellt werden. Dies erfolgte durch die Integration von Fenstersimsen und Balkonplatten in die umlaufende Brandsperre aus Stahlblech, wodurch die Hinterlüftungsebene unterbrochen wird. Die nichttragenden Außenwände in Holzbauweise sind raumabschließend hochfeuerhemmend ausgeführt, so dass eine normalentflammbare Unterkonstruktion und Außenwandbekleidung realisiert werden konnte.

Damit eine Brandweiterleitung im Bereich der Außenwände aus Holz unterbunden werden kann, sind die horizontal verlegten massiven Holzbauteile der Decke bis nach außen geführt. Durch die in die Fassade integrierten Stahlstützen als Auflager der Balkonplatten wird die Fassade auch vertikal unterteilt, so dass die Fassade in Verbindung mit den geschossweisen horizontalen Brandsperren in kleine Flächen gegliedert und somit eine Brandausbreitung verhindert wird.

Brandschutz für Holzbauten

Enge Abstimmung mit der Feuerwehr

Zum Brandschutz-Konzept beim Balinger Mehrgenerationen-Wohnhaus gehört auch, dass das Gebäude in viele kleine Nutzungseinheiten mit Flächen von 40 m² bis 100 m² unterteilt wurde. Im Brandfall wird der Schaden somit auf einen überschaubaren Bereich und eine geringe Fläche begrenzt, die mittels eines Löschangriffes durch die Feuerwehr gut beherrschbar ist.

Teil des Brandschutz-Konzeptes ist zudem eine sehr gute Zugänglichkeit zum Grundstück bzw. Gebäude für die Rettungskräfte. So kann auch der zweite Rettungsweg über anleiterbare Stellen und die Rettungsgeräte der Feuerwehr sichergestellt werden. Entsprechende Zugänge und Stellflächen wurden auf dem Gelände vorgesehen.

Zur Optimierung der Brandbekämpfung durch die zuständige Feuerwehr war es außerdem notwendig, einsatztaktische Vorgaben sowie Objekt- und Einsatzinformationen zu erarbeiten, damit die Feuerwehr im Einsatzfall die richtigen Maßnahmen ergreifen und die Gefahrenschwerpunkte sofort erkennen kann. Die Brandschutzingenieure von Sinfiro fertigten deshalb – in Abstimmung mit der zuständigen Feuerwehr bzw. Brandschutzdienststelle – einen Feuerwehrplan an. Dieser gewährleistet, dass z. B. die Angriffs- und Bewegungsflächen der Feuerwehr schnell aufgefunden werden und ortsspezifische Anforderungen – z. B. der Rauchabzug im Atrium – für die Einsatzkräfte bekannt sind.

Fazit

Der moderne Holzbau ist dem klassischen Massivbau bereits in weiten Teilen ebenbürtig. Es bedarf jedoch eines intensiven Austauschs, um die noch vorhandenen Vorbehalte im Brandschutz gegenüber dem Baustoff Holz auszuräumen. Dazu ist von den Projektbeteiligten Offenheit auch gegenüber alternativen Nachweisverfahren und – auf den ersten Blick – unkonventionellen Ansätzen erforderlich.

Das gemeinsame Erarbeiten von projektbezogenen Regeldetails wird zukünftig im Planungsprozess an Relevanz gewinnen. Die Fertigungsmethoden im Holzbau erfordern ein hohes Maß an Planungstiefe und Sorgfalt, bieten aber im Gegenzug eine hohe Genauigkeit. Dies sollte sich auch der Brandschutz zunutze machen – beispielsweise im Bereich der Bauteilfügungen, wo exakte Fugenausbildungen den Übertrag von Feuer und Rauch verhindern können.

„Wenn – wie im Fall des Balinger Mehrgenerationenhauses – alle Beteiligten, einschließlich der Genehmigungsbehörde und Brandschutzdienststelle, an einem Strang ziehen und als Ziel ein gutes Projekt haben, dann führt dies zum Erfolg“, so Sinfiro.

www.sinfiro.de


Mehr zum Thema

Unsere Top-3-Projekte des Monats
MeistgelesenNeueste Artikel
Denkmalgerechte Fassadensanierung des Kulturamtes Rottenburg am Neckar
Neue „Alte Welt“

Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der bba-Infoservice? Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum bba-Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des bba-Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de