Startseite » Allgemein »

Farbwirkung und Farbtreue

Schlosskirche Wittenberg: „Denkmal der Reformation“
Farbwirkung und Farbtreue

Dipl.-Ing. Gerard Halama, Bremen / r.

Die Schlosskirche in der Lutherstadt Wittenberg gehört heute zum Weltkulturerbe. Hier begann im Jahre 1517 die Reformation. Das neue Dach zeigt sich im repräsentativen Farbenkleid. Im Vordergrund bei der Neueindeckung mit glasierten Biberschwanzziegeln stand neben der Farbtreue auch die Farbwirkung.
Es wäre vielleicht eine Kirche wie viele andere, wenn nicht Dr. Martinus Luther hier am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen an die Tür geschlagen hätte. Mit diesem Papier forderte er zur „Disputation über den Zustand der Kirche“ auf.
Die Reformation begann. Heute wird die Schlosskirche in der Lutherstadt Wittenberg als „Denkmal der Reformation“ saniert. Die UNESCO nahm 1997 u.a. die Schlosskirche in die Weltkulturerbeliste auf.
Bau, Brand und Wiederaufbau
1503 wurde die Schlosskirche eingeweiht. Im Siebenjährigen Krieg brannte 1760 das Dach aus, die Gewölbe stürzten ein, der Innenraum und auch die Thesentür wurden ein Opfer der Flammen.
In den Folgejahren wurde die Kirche wieder aufgebaut. 1813 folgten erneute Beschädigungen durch Kriegseinwirkung. 1892 wurde die Kirche im Sinne des gründerzeitlichen Historismus nach dem Willen des Herrscherhauses prächtig umgestaltet. Ferdinand von Quast wirkte hier als „amtlicher“ preußischer Denkmalpfleger.
Architekt der Baumaßnahmen war Friedlich Adler. Ziel der Sanierung: Hier sollte, im kaiserlichen Auftrag, ein Denkmal der Reformation und auch ein Nationaldenkmal des protestantischen Deutschlands entstehen.
Historisches Dach
Die überwiegende Zahl der Gebäude im 15. Jahrhundert bestand aus Fachwerk und war mit Stroh oder Holzschindeln gedeckt.
Nur Bauwerke von besonderer Bedeutung waren aus Stein gebaut. Die Schlosskirche des mächtigsten deutschen Kurfürsten war solch ein Bauwerk und erhielt eine Ziegeldeckung aus Handstrich-Segmentbibern.
Als 1892 die Neueindeckung anstand, wurde die Dachdeckung als Erinnerung an die „Kirche der Reformation“ veredelt. Schmückende Dacheindeckungen waren in der Gründerzeit weit verbreitet.
Das Dach der Schlosskirche wurde Ende 1891 entworfen.
Eine Zeichnung mit Bleistift, Feder und Aquarell auf Pappe belegt den Willen zur herausragenden Gestaltung.
Interessant sind die Erkenntnisse rund um die Farben der glasierten Biber. Das alte Dach präsentiert sich als schwarze Fläche. Grund dafür ist unter vielen anderen Faktoren, wie z.B. die Braunkohleverbrennung, das naheliegende Stickstoffwerk in Piesteritz, das zu DDR-Zeiten die Umwelt verschmutzte. Die Abgase haben sich so weit in die Glasur der Biberschwanzziegel hineingefressen, dass eine Reinigung der alten Deckung kaum möglich war.
Auf der Suche nach den ursprünglichen Farben und Mustern der Dachfläche erwies sich die Nordseite des Steildaches als die bessere Fläche. Entgegen weitläufiger Meinung, so Architekt Sand, waren die Glasuren auf der Südseite stärker patiniert, verblasst oder von den Industrieabgasen angegriffen, als die auf der Nordseite.
Farbproben entnahm der Architekt auch aus dem Dachraum. Hier lagen viele Biber, die so schief oder beschädigt waren, dass die Dachdecker sie seinerzeit offensichtlich nicht eindeckten.
Die vorliegenden Musterbiber waren von stark unterschiedlicher Substanz. Schief und krumm, die lebhaften Farbglasuren vom Handauftrag geprägt, ergab sich aus dieser Bibersammlung ein überaus bewegtes Bild.
Dieses lebhafte Bild wollte die Denkmalpflege im ersten Ansatz erhalten, zumal sich die Dachfläche nach über 100 Jahren, trotz vieler technischer Unzulänglichkeiten, zu rund Dreiviertel in einem optisch passablen Zustand befand.
Nachbrennen funktionierte nur bedingt
Es entstand die Idee des „Nachbrennens“. Dazu sollte die Deckung sorgfältig abgenommen und die Ziegel nochmals gebrannt werden. Der Ziegelscherben und die Glasuren sollten sich dabei säubern. Bei den wenigen Dachziegeln, die brauchbar erschienen, führte dieses Verfahren zu einem guten Ergebnis.
Das Gros der Dachziegel war aber von dem zum Teil unlösbaren schwarzen Chemiedreck bedeckt.
Die Hoffnung, dass bei einem Nachbrennen die Schwärze wie Schmutz abfällt, hatte sich nur bedingt bewahrheitet.
Einvernehmlich mit dem Landesamt für Denkmalpflege Sachsen-Anhalt wurde eine Neueindeckung in Betracht gezogen.
Erste Bemusterungen zeigten schnell die Problematik einer Neueindeckung auf. Die alten, historischen Glasuren wurden in zwei Arbeitsgängen hergestellt. Der getrocknete Scherben (Rohling) wurde im ersten Arbeitsgang mit den farbgebenden Mineralien von Hand bepinselt (quasi eine Engobe) und dann gebrannt.
Erst im zweiten Brand wurde die transparente Glasur aufgetragen. Aus den vielen handgemachten Ungenauigkeiten des Schichtenaufbaues ergibt sich eine ganz bestimmte, für diese alte Glasuren typische, zurückhaltende Farbwirkung.
Im Vordergrund steht die schützende, einer leicht getönten Scheibe ähnliche, Glasuroberfläche. Erst darunter befindet sich die Farbe.
Heutige Glasuren sind perfekter, höherwertiger, aber vor allem anders zusammengestellt.
Die glasige Masse und die farbig brennenden mineralischen Pigmente werden in einem Arbeitsgang aufgetragen und gebrannt.
Diese Vorgehensweise hat den Vorteil, dass Glasur und Scherben beim Brand miteinander verschmelzen. Abplatzungen oder Ablösungen von Glasuren oder Glasurschichten sind bei diesem Verfahren weitgehend ausgeschlossen.
Heutige Biberschwanzziegel sind dazu perfekt glatt, die Glasuren gleichmäßig und vollflächig aufgeschleudert. Die hohe Ziegelqualität bringt in Verbindung mit den glatten Oberflächen eine intensivere, brillantere Farbwirkung hervor.
Vergleichbare Farbwirkung
Als die Entscheidung für eine Neueindeckung des Hauptdaches fiel, stand fest, dass die neuen Dachziegel – bedingt durch den anderen Produktionsprozess – nicht unbedingt die gleiche Farbe wie die alten Dachziegel haben sollten, aber eine vergleichbare Farbwirkung.
Nun besteht die Dachdeckung aber aus sieben verschiedenen Farben, deren Farbwirkung nicht nur einzeln – Farbe zu Farbe – sondern auch in der Gesamtwirkung des Rautenmusters harmonisch und vergleichbar mit der alten Deckung sein sollte.
Deshalb entstand im ersten Arbeitsschritt ein Musterständer in den Maßen 4×4 Meter. Hier konnte eine komplette Raute in den entsprechenden Farben eingedeckt werden.
Anhand dieses ersten Musters galt es nun, die Farben im direkten Vergleich zueinander und die Farbharmonien insgesamt abzustimmen.
So wurde z.B. bei der ersten Bemusterung die schwierige Farbe Lila auf Anhieb getroffen. Doch die Gesamtharmonie, so Architekt Sand, ließ sich nur als unbefriedigend bezeichnen. Grund für diese harte Beurteilung ist die enorm hohe Präsenz eines glatten, vollflächigen Glasurauftrages.
Nicht nur die Farbe Lila musste in der Folge abgeschwächt und milder eingestellt werden. Begriffe wie warm, etwas heller, tick dunkler oder tick milchiger machten die Runde.
Harmonie der Farben
Im Mittelpunkt stand die Harmonie der Farben. Die F.v. Müller Dachziegelwerke aus Eisenberg /Pfalz lieferten in der Folgezeit verschiedene Farbnuancen, vor allem der kritischen Farben Lila, Braun und Grün.
Von Anfang an wurden bei der Bemusterung nicht nur die Farben im direkten Augenschein beurteilt, sondern auch der Widerschein des Himmels mit einbezogen.
Nur auf diese Weise kann die spätere farbliche Wirkung des hohen Daches – vom Boden aus betrachtet – vorhergesehen werden. Hier bewährte sich zum wiederholten Male die eigene Engoben- und Glasurenabteilung des in der Denkmalpflege renommierten Dachziegelwerkes.
Alle Glasuren wurden in dem auf historische Farbzusammenstellungen spezialisierten Labor gemischt und gebrannt. Nach mehreren Anläufen wurde dann ein der historischen Vorgabe weitgehend ähnlich erscheinendes Bild erzielt.
Wirkt das Dach aus gleicher Höhe „recht bunt“, so muss doch davon ausgegangen werden, dass vom Boden aus betrachtet, die Farb- und Glanzwirkung, vom blauen oder grauen Himmel überlagert, stets geschwächt wird. Und so präsentiert sich heute dieses Dach als ein gelungener Kompromiss zwischen der tatsächlichen historischen Bausubstanz und neuzeitlichen Herstellungstechniken.
Freilich kann sich heute kaum noch jemand erinnern, welchen Farb- oder Mustereindruck dieses Dach einst bot. „Auf alten Schwarz-Weiß-Postkarten“, so Architekt Sand, „sind die Muster und auch die erzeugten Kontraste jedoch gut zu erkennen“.
Nach Abschluss der Bemusterung durch Denkmalpfleger und Architekt lieferte die F.v. Müller Dachziegelwerke
rund 3000 m² Biberschwanzziegel 38×16,5 cm, 1,8 cm dick, 38° Spitzschnitt, in den Farben Gelb, Weiß, Braun, Grün, Schwarz, Violett und Transparent.
• Glasierte Biberschwanzziegel
Weitere Informationen bba 505
………………………
Architekt:
Architekturbüro Sand, Wörlitz
Statik:
Ing.- Büro Dr. Lidig, Dessau
Denkmalpflege:
Landesamt für Denkmalpflege Sachsen-Anhalt in Halle
Tags
Unsere Top-3-Projekte des Monats
MeistgelesenNeueste Artikel
Denkmalgerechte Fassadensanierung des Kulturamtes Rottenburg am Neckar
Neue „Alte Welt“

Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der bba-Infoservice? Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum bba-Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des bba-Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de