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Autarke Schutzhütte in Island

Prototyp für eine Schutzhütte in Island
Autark in der Einöde

Die Popularität Islands als Reiseziel hat in den letzten Jahren zu einem enormen Zuwachs des Massentourismus geführt. Deshalb erhielt die isländische Architektin Audur Hreidarsdottir den Auftrag, den Prototyp für eine netzunabhängige Schutzhütte zu entwerfen, die in der isländischen Wildnis auf nachhaltige Weise und unter Verwendung langlebiger Materialien gebaut werden kann. Ergebnis ist das modulare »House for the Heart«.

Anforderung:

Entwicklung eines Prototyps für eine nachhaltige und autarke Schutzhütte in Island

Lösung:

Modulares System für drei autarke und vollständig demontierbare Haustypen, errichtet in Holzbauweise mit lokalen Materialien 


Durch den zunehmenden Massentourismus stehen beliebte Reiseziele im ländlichen Island unter großem Druck. Einige Orte haben bereits ihre Toleranzgrenze erreicht. Doch anstatt die Kapazitäten der dort vorhandenen Unterkünfte zu erweitern, möchte Island einen anderen Weg beschreiten: Touristen sollen besser über das ganze Land verteilt werden. Dazu bedarf es allerdings mehr nachhaltig gebauter Unterkünfte in der isländischen Wildnis fernab der beliebten Hotspots. 

Gegengewicht zu Touristencamps

Aus diesem Grund beauftragte der »Icelandic Technology Development Fund« im Frühjahr 2020 die isländische Architektin Audur Hreidarsdottir – Gründerin des Büros ESJA Architecture Studio mit Sitz in Reykjavik und Kopenhagen –, an einem Projekt mit dem Arbeitstitel »Off-Grid Architecture in Iceland« zu arbeiten. Ziel war es, eine netzunabhängige Schutzhütte zu entwerfen, die in der isländischen Wildnis auf nachhaltige Weise errichtet werden kann und die ein Gegengewicht bildet zu den größeren Touristencamps an den beliebten touristischen Zielen im isländischen Hochland. 

Das Projekt sollte energie-, wasser- und abwassertechnisch autark sein und weder der Natur etwas wegnehmen noch Dinge in ihr belassen, die sie verschmutzen oder schädigen könnten. Entsprechend sollte das Gebäude ohne Betonfundamente oder andere unnötige Eingriffe in den Boden auskommen. Es sollte möglich sein, das Gebäude zu demontieren, die Baumaterialien wiederzuverwenden oder zu recyceln und die Umgebung nach dem Abbau des Hauses wieder in ihren ursprünglichen Zustand zu bringen. Das Haus sollte zudem per Hubschrauber an Orte transportiert werden können, die weit entfernt von Städten, Straßen und Häfen liegen.

Autarke Schutzhütte auf dunklem Felsgestein in Island
Bild: ESJA Architecture Studio

Drei Häuser in einem 

Gemeinsam mit dem dänisch-japanischen Ingenieurbüro Structured Environment hat Audur Hreidarsdottir schließlich das Konzept für ein modulares Haus entwickelt, das in drei Größen und mit unterschiedlichem Komfort gebaut werden kann.

Das »House for the Heart« besteht aus drei Modulen und bietet Platz für sechs bis acht Besucher. Das Gebäude hat einen L-förmigen Grundriss, der eine geschützte Ecke für den Eingang bietet. Zentrum des Hauses ist der Essbereich im Erdgeschoss, in dem die Besucher zusammenkommen. Die Schlafplätze sind minimalistisch gestaltet und befinden sich auf einem Zwischengeschoss. Das Haus verfügt über fließendes Wasser, eine Dusche und eine Toilette. Im Eingangsbereich gibt es einen Platz zum Wäschetrocknen und schließlich einen Technikraum für Wasser und Energie. 

Die einfache, reizvolle und bescheidene Geometrie der Schutzhütte ist eine Anspielung auf die traditionellen isländischen Häuser. Betrachtet man das Haus von der Seite, ähnelt es einem traditionellen isländischen Bauernhaus mit zwei Giebeln. Von der anderen Seite aus betrachtet hat das Haus die Form eines Herzens – daher auch der Name »House for the Heart«.

Es ist möglich, die Module einzeln zu verwenden und ein halbes Haus aus zwei Modulen für drei bis vier Besucher zu realisieren oder alternativ das sogenannte »Diamond House«, das aus nur einem Modul besteht und als einfacher und primitiver Unterschlupf für maximal drei Übernachtungsgäste konzipiert ist.

Konzept für eine modulare Schutzhütte
Bild: ESJA Architecture Studio

Lokale Materialien 

Die Häuser können an verschiedene Landschaften und Geländeformen angepasst werden. Sie sind auf Pfahlfundamenten gebaut und berühren den Boden so wenig wie möglich. Die verwendeten Materialien stammen hauptsächlich aus der Region. Für die Konstruktion kommt beispielsweise isländisches Fichtenholz zum Einsatz. Der Holzrahmenbau wird in Reykjavik vorgefertigt und in Modulen gebaut, die dann vor Ort auf einfache Weise zusammengesetzt werden. Die Innenverkleidung besteht aus isländischer Pappel, zur Isolierung wird isländische Schafwolle verwendet. 

Es gibt drei Fassadenoptionen, die je nach ästhetischen Vorlieben, Standort und Wetterbedingungen gewählt werden können: wiederverwendeter Kunststoff aus der örtlichen Fischindustrie (Fischtanks), isländische Lärche oder wiederverwendetes Wellblech. Alle Verkleidungsoptionen sind wartungsarm bis wartungsfrei, was für die abgelegenen Standorte und die extremen Witterungsbedingungen unerlässlich ist. Die Fenster sind doppelt verglast. Zur Vereinfachung gibt es insgesamt nur drei Fenstergrößen und ein bis zwei Fenstertypen pro Haus.

Die Schutzhütten sind für die Demontage konzipiert, d. h. die Gebäude können abgebaut und die Materialien wiederverwendet oder recycelt werden. Aus diesem Grund werden die Bauteile mechanisch und nicht mit Klebstoffen zusammengefügt. So ist gewährleistet, dass die Materialien beim Abbau des Hauses nicht beschädigt oder zerstört werden und auf einer Mülldeponie landen.

Gelbe Fassade aus wiederverwendetem Kunststoff an einer Schutzhütte in Island
Bild: ESJA Architecture Studio

Autark mit Sonne, Wind und Regen

Ziel des Projektes war es herauszufinden, wie man in Island am besten netzunabhängig bauen kann – ohne Anschluss an das Energie-, Wasser- oder Abwassernetz. Obwohl saubere Energie in Island im Überfluss vorhanden ist, ist es nicht immer möglich oder praktisch, Gebäude an das Stromnetz anzuschließen, insbesondere wenn sie in abgelegenen Gebieten stehen. In alten Berghütten werden oft Energiequellen wie Propan, Diesel und Erdöl verwendet – was heutzutage beim Bau neuer Gebäude natürlich nicht mehr akzeptabel ist. Der Unterhalt der Gebäude ist umweltschädlich und erfordert zudem ein ständiges Nachfüllen der Vorräte.

Das Projekt »House for the Heart« nutzt deshalb Wind, Regen und Sonne, um netzunabhängig und autark zu sein. Anstatt nach Wasser zu bohren oder Rohrleitungen zu verlegen, wird das Regenwasser vom Dach gesammelt und für die Verwendung im Haus gefiltert. Das Wasser wird erhitzt und zirkuliert dann im Haus, um die gesamte Wärme des Wassers zu nutzen. Das heiße Wasser wird zum Reinigen und Baden verwendet, während das Abwasser zum Heizen des Hauses und zum Warmhalten des Komposttanks genutzt wird. Windenergie ist die Hauptenergiequelle der Schutzhütte, aber es können auch Sonnenkollektoren hinzugefügt werden, um mehr Komfort und ein zuverlässigeres Warmwassersystem zu gewährleisten. Bei der Toilette handelt es sich um eine Trockenkomposttoilette mit einem Komposttank, in dem der Schlamm in Erde umgewandelt wird, so dass keine Sickergrube erforderlich ist.

Konzept zur Nutzung von Wind, Regen und Sonne
Bild: ESJA Architecture Studio

Montage und Ausrichtung

„Es ist ziemlich kompliziert, ein Gebäude mitten im Nirgendwo zu errichten“, erklärt Audur Hreidarsdottir. Deshalb ist das »House for the Heart« so konzipiert, dass es in einzelnen Modulen gefertigt wird und per Hubschrauber transportiert werden kann. „Dieser Prozess ist teuer und energieaufwendig, daher ist es unbedingt erforderlich, den Bau gründlich zu organisieren, um die Effizienz zu maximieren“, so die Architektin. Wenn die Umstände es zulassen und geeignete Straßenverbindungen vorhanden sind, können die Module auch per Lkw transportiert werden.

Für die Schutzhütte muss kein Fundament ausgehoben werden, vielmehr wird das Haus auf Stahlfüßen montiert, die direkt auf dem Gelände befestigt werden. Bei der Entscheidung, wie das Gebäude ausgerichtet wird, spielen drei Elemente eine wichtige Rolle: Wind, Sonne und Aussicht. Vorzugsweise ist der untere geschlossene Teil der stärksten Windrichtung zugewandt. Auf diese Weise ist der Eingang des Hauses in der inneren Ecke geschützt. Die beste Aussicht sollte man vom Esszimmer aus haben, wo man am großen Fenster sitzt und sein Essen genießt. Vorzugsweise sollte dieser Bereich nicht direkt nach Norden ausgerichtet sein, um von der Sonneneinstrahlung zu profitieren. Falls es für die Ausrichtung des Gebäudes von Vorteil ist, kann die Platzierung von WC/Technikraum und Esszimmer getauscht werden. 

„Ich hoffe, dass das Projekt in einen wichtigen Dialog darüber einfließen kann, welche Art von Architektur wir in der isländischen Natur sehen wollen und wie wir mit den lokal verfügbaren Materialien in Island arbeiten können“, so das Fazit von Architektin Audur Hreidarsdottir.

Essbereich in einer Schutzhütte in Island mit Blick auf die Berglandschaft
Bild: ESJA Architecture Studio

Projekt: Prototyp für eine autarke Schutzhütte »House for the Heart«

Standort: an ausgewählten Orten in Island

Bauherr: Icelandic Technology Development Fund

Architekten: _ESJA Architecture Studio, Reykjavik/Kopenhagen
www.esjaarchitecture.com

Ingenieure: Structured Environment, London
www.structuredenvironment.com


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