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Schimmerndes Ballkleid

Innenstadt-Ensemble-Eck-Bebauung in Den Haag
Schimmerndes Ballkleid

Robert Uhde

Mit rund 450 000 Einwohnern ist Den Haag zwar kleiner als Amsterdam, Rotterdam und Utrecht, nichtsdestotrotz sind hier aber sowohl die Niederländische Regierung und das Niederländische Königshaus als auch der Internationale Strafgerichtshof zu Hause. Das Zentrum der Stadt wird seit einigen Jahren durch eine dynamisch wachsende Skyline mit markant geschnittenen Hochhäusern im postmodernen Stil beherrscht – darunter die Bauten des nach einem Masterplan von Rob Krier aus Berlin errichteten Büroviertels „De Resident“.
Im Schatten der bunt verspielten Türme, in einem zuvor Jahre lang vernachlässigten Teil der Altstadt, wurde vor kurzem ein Ensemble mit acht historischen Wohn- und Geschäftshäusern revitalisiert.
Verbindend
Identität stiftendes Zeichen des nach Plänen des Haager Büros Archipelontwerpers erfolgten städtebaulichen Eingriffs ist der Neubau an der Ecke Kettingstraat/Achterom. Durch seine markant geschwungene Glasfassade und den davor liegenden „Schleier“ aus rostfreiem Stahl hat er schnell den Beinamen „Baljurk“ („Ballkleid“) erhalten.
Das Quartier um die Kettingstraat grenzt unmittelbar an den Sitz der Niederländischen Regierung im altehrwürdigen Binnenhof, dessen ältester Teil noch aus dem 13. Jahrhundert stammt, sowie an die prachtvollen, zwischen 1883 und 1886 im Stil der Neorenaissance errichteten Haager Passagen. Trotz dieser attraktiven Lage und der erhaltenswerten historischen Bausubstanz verwahrloste das Areal seit Ende der siebziger Jahre zusehends und entwickelte sich nach und nach zum Drogentreffpunkt.
Aufgehalten wurde der Verfall erst, nachdem der Projektentwickler Geste Groep Anfang 1999 einige der Gebäude aufgekauft und sich zu einer umfangreichen Revitalisierung des Viertels entschieden hatte. Neben einer grundlegenden Sanierung der historischen Passagen war dabei auch die Neuerrichtung der angrenzenden, in historisierendem Stil errichteten Geschäfts- und Flanierzeile „Haagsche Bluf“ vorgesehen. Das Ensemble der acht Gebäude in der Kettingstraat fungiert im Rahmen dieses umfangreichen städtebaulichen Konzeptes als attraktives Verbindungsglied zwischen beiden Bereichen.
Rekonstruiert
Ausgehend von dem Befund, dass der überwiegende Teil der dort vorgefundenen alten Bausubstanz baufällig war, mussten sämtliche Altbauten zunächst abgebrochen werden. Übrig blieben lediglich drei aufwändig gesicherte und anschließend sanierte Fassaden – darunter die Front eines ehemaligen Kaffeehauses aus dem Jahr 1906 und die eines Hauses von Hendrik Petrus Berlage, dem Altmeister der Niederländischen Moderne.
Die übrigen Fassaden – insgesamt finden sich zehn Fassaden vor acht neuen Wohnungen –, wurden weitgehend originalgetreu rekonstruiert. Das gesamte Projekt fügt sich auf diese Weise nahtlos ein in die in den Niederlanden seit einigen Jahren kontrovers geführte Debatte um den „New Urbanism“ und dessen „neo-romantischen“ Rückgriff auf reale oder imaginierte Typologien historischer Vorbilder. Ausdrücklich beziehen sich die Architekten dabei auf die ursprünglich hier vorhandene Architektur aus der Zeit vor dem Bau der Passagen, als die damals noch nicht begradigte Gasse Achterom eine der wenigen Achsen im Haager Zentrum war, die sich nicht in das ansonsten weitgehend quadratische Straßenraster der Stadt einfügte.
Das Eckgebäude bildet mit seiner modernen Detaillierung und seinem schillernden „Ballkleid“ dagegen ganz bewusst einen Sonderfall. Doch auch hier griffen die Architekten gezielt auf die Geschichte zurück, denn die verspielt-geschwungene Gestaltung des dekorativen Edelstahlgewebes auf der Frontseite stellt nach eigener Aussage ganz bewusst eine Hommage an die in der Umgebung vorhandenen Jugendstilbauten dar.
Individuell
Die innere Struktur sämtlicher Häuser wurde trotz des historisch scheinenden Äußeren komplett neu errichtet. Um dabei eine klare funktionale Trennung zwischen den Funktionen Wohnen und Arbeiten zu schaffen, wurde oberhalb des Erdgeschosses eine durchgehende Stahlbetonplatte eingezogen. Unterhalb dieser Platte entstand eine sich über die gesamte Grundfläche des Ensembles erstreckende doppelgeschossige Verkaufsfläche, oberhalb integrierten die Architekten acht unterschiedlich geschnittene, barrierefrei konzipierte Appartements. Die hochwertige und individuelle Ausstattung soll dabei eine neue attraktive Form urbanen Wohnens etablieren – „als Antwort auf den zunehmenden Leerstand in den Innenstädten und im Rückgriff auf die fünfziger und sechziger Jahre, als hier meist die Geschäftsinhaber lebten“, wie der mit der Planung beauftragte Projektarchitekt Eric Vreedenburgh das Konzept beschreibt. Die Erschließung sämtlicher Einheiten erfolgt dabei über eine rückwärtig gelegene, gemeinschaftlich zugängliche Terrasse oberhalb des zweiten Geschosses.
Funkelnd
Aufgrund der gelungenen städtebaulichen Aufwertung des Quartiers ist das gesamte Ensemble inzwischen mit dem „Nieuwe-Stad-Prijs“ der Stadt Den Haag ausgezeichnet worden. Zentraler Blickpunkt ist dabei natürlich das viel beachtete „Baljurk-Haus“ an der Ecke zwischen Kettingstraat und Achterom. Seine doppelschichtige Front setzt sich zusammen aus einer innen liegenden Glasfassade und einer davor montierten Hülle aus gewebtem Stahl, die neben ihrer Funktion als Imageträger auch als Sonnenschutz für das von Süden her einfallende Licht fungiert. Der Schleier selbst wurde durch die Firma Haven und Boecker aus Oelde bei Gütersloh produziert. Er setzt sich zusammen aus großen rechteckigen Elementen aus rostfreiem Stahl vom Typ Doka-Mono 1771. Um die einzelnen Gewebeelemente individuell der durch den Architekten vorgegebenen Form anpassen zu können, wurde die komplette Konstruktion zunächst im Werk errichtet.
Vor der Montage der einzelnen Module vor Ort wurde die Oberfläche der Edelstahlgewebe dann abschließend noch mit einer Schicht aus korrosions- und UV-beständigem Titaniumnitrit überzogen, um so den gewünschten, und nach Aussage des Herstellers mindestens 50 Jahre haltbaren, messingfarbenen Farbton zu erzielen. Ein nicht alltäglicher Blickfang. Vor allem dann, wenn das goldene Ballkleid brillant im Sonnenlicht funkelt.
Weitere Informationen
Metallgewebe bba 517
Planung: Archipelontwerpers, Den Haag Projektarchitekt: Eric Vreedenburgh Mitarbeiter: Jaap Baselmans, Coen Bouwmeester, Arjan Mulder, Niels Groeneveld
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