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Lebendiges Sich-Verweben

Michaelisquartier in Hamburg
Lebendiges Sich-Verweben

Das historisch bürgerliche Quartier um den Michel (St. Michaeliskirche) in Hamburg hat in der Vergangenheit durch großmaßstäbliche verkehrstechnische und bauliche Eingriffe eine heterogene großstädtische Veränderung erfahren.

Mit dem Neubau des Michaelisquartiers zwischen Ludwig-Erhard-Straße und Gerstäcker Straße haben sich die Architekten Prof. O. Steidle mit S. Geiger und J. Spengler, München, für die Fortschreibung der spezifischen geschichtlichen und kulturellen hanseatischen Prägung entschieden, um so diese wichtige Ost-West-Verbindung langfristig mit einem Boulevard-Charakter wieder zu stabilisieren.
Diesem Ansatz wird städtebaulich mit einer Bürobebauung entlang der Ludwig-Erhard-Straße mit dahinter angegliederten Wohngebäuden entsprochen; ein Mix von Lochfassaden, ausgeführt in Ziegel zur Straßenseite hin sowie als farbige Putzfassaden an der abgewandten Hofseite.
Das Klinkermauerwerk der Bürohäuser leitet sich dabei aus hamburgischer Tradition ab, im wesentlichen jedoch aus dem grundsätzlichen Anliegen, Architektur zu machen, die einfach städtisch ist.
„Ich suchte ein stabiles Material, das für eine größere Dauerhaftigkeit des städtischen Gefüges steht; da war mir der Ziegel ganz recht“, erläutert Prof. Otto Steidle.
Italienische Farbigkeit im hohen Norden
Ziegel ja, aber nicht die rotblau-bunt gebrannten traditionellen Klinker aus der Umgebung, wie sie in Hamburg seit Jahrhunderten verwendet wurden.
Das Verblendmauerwerk der Bürogebäude des neuen Michaelisquartiers ist bunt und durchbricht damit die oft eher finster wirkende Stimmung alt-hamburgischer Bauweise.
Die 11,5 cm dicke Klinker-Vorsatzschale im Normalformat wurde aus vier Farben komponiert: Rot, Anthrazit, Rosarot und einem hellen Grau. Der gewollte Eindruck des vorgehängten Screens wird durch die massiven Stützen der Arkaden teilweise wieder aufgehoben, was ihn gleichzeitig jedoch noch offensichtlicher macht.
Mit diesen Pfeilern wird deutlich statische Sicherheit signalisiert und durch ein besonderes Farbmuster in Verlängerung der Säulen über alle Geschosse hinweg zusätzlich betont.
Überlagert dazu verläuft eine Diagonalbewegung verschiedener Farbbänder in horizontaler Richtung parallel zur Ludwig-Erhard-Straße.
Klar strukturierte Muster
Ein lebendiges Sich-Verweben statischer und dynamischer Linien ist das Ergebnis, vergleichbar mit einem Tweedstoff: klar strukturierte Muster, die im Zusammenwirken dennoch ein homogenes Bild ergeben, ohne es im einzelnen zu definieren. So entstand ein traditionelles Klinkermauerwerk, interpretiert jedoch in einer neuen Form der Vielfältigkeit und Leichtigkeit nach italienischem Vorbild.
„Ich wollte den Ziegel nicht so verwenden, wie er immer verwendet wurde, sondern meine anderen Erfahrungen mit keramischen Oberflächen, die aus Italien kommen, nach Hamburg transportieren“, erklärt Prof. Steidle.
Da ist es gar nicht so abwegig, dass gerade ein süddeutsches Klinkerwerk, nämlich die Firma Girnghuber im niederbayerischen Marklkofen, die Ziegel für das Michaelisquartier produziert hat, zusammengestellt nach einem Farbkonzept von Erich Wiesner, Berlin.
Klinker in den genannten vier Farben im NF-Sonderformat, d. h. die Länge wurde auf 23,5 cm reduziert, mit Rücksicht auf die Ablesbarkeit des inneren Bürorasters, das bereits mit 1,4 m festgelegt worden war, bevor feststand, dass die Fassaden mit Ziegeln verblendet werden.
Markanter Auftakt führt in die Stadt
Das 150 m lange Bürogebäude an der Ludwig-Erhard-Straße ist in Einzelhäuser gegliedert, dann jedoch durch die durchlaufende Struktur des ersten Obergeschosses wieder zusammengefasst: ein einheitliches Fensterraster, das nur in diesem Geschoss gegeben ist, unten und oben eingefasst zwischen ausgeprägten Klinkerbändern, die auch den das übrige Gebäude um fünf Geschosse überragenden Turm im Osten miteinbinden.
Dieses herausragende Bauteil, das den Büroriegel zum Zeughausmarkt begrenzt, übernimmt quasi Stadttorfunktion und signalisiert den Auftakt der Ost-West-Verbindung in die Stadt hinein.
Zur Betonung dieser solitären Eigenschaft ist die der Ludwig-Erhard-Straße zugewandte Fassade des Turms zwischen dem 2. und 9. OG als schwarze Scheibe ausgebildet.
Der Charakter des Screens als äußere Haut wird auch hier wieder in besonderer Weise betont, indem der verwendete, anthrazitfarbene Klinker im Mauerverband um die Ecke herum geführt ist und sich dort wieder in das Farbmuster der dem Zeughausmarkt zugewandten Westfassade einfügt. Eine schwarze Kante im Eckbereich wird damit vermieden.
Anders als man vermuten wird, liegt der Eingang des gesamten Bürogebäudes nicht in diesem herausgehobenen Turmbau, sondern in der Mitte des langgestreckten Riegels.
Großzügig ausgestattet, erlaubt er von hier aus eine günstige Vernetzung innerhalb des Gebäudes zu den übergeordneten Allgemeinfunktionen im Erdgeschoss, wie beispielsweise Konferenzbereich, Postverteilung, Kopier- und Druckzentrum sowie zu den oberen Geschossen, die ausschließlich Büroräume in verschiedener Größenordnung enthalten.
Belüftung und Belichtung
Die stringenten, zur Ludwig-Erhard-Straße und zum Zeughausmarkt gerichteten Bürofassaden nehmen ihre Klarheit aus dem durchlaufenden Achsrhythmus von 1,4 m, in den sich die französischen Fenster konsequent einfügen: einheitlich in gleichem Raster und gleicher Ausbildung als Kastenfenster innerhalb des ersten Obergeschosses, wechselnd zwischen breiten Kastenfenstern und nach hinten gesetzten schmalen Einfachfenstern in den darüber liegenden Stockwerken.
Die Kastenfenster, besonders wirksam in ihren Leibungen und durch eine fassadenbündig davorgesetzte luftoffene Glasscheibe gegen Schall gedämmt, sind für eine Dauerlüftung geeignet. Die schmalen Dreh-/Kippfenster, ebenfalls hoch schallisoliert, dienen dagegen eher zur kurzfristigen Stoßlüftung und tragen außerdem dem Wunsch Rechnung, aus einem geöffneten Fenster in die belebte Straße schauen zu können.
Auf der Südseite können zur Nachtauskühlung die großen Fenster einbruch- bzw. regen- und windsicher gekippt werden.
Zusammen mit einer Raffstore-Sonnenschutzanlage und insbesondere in Verbindung mit den verwendeten massiven Bauteilen wird so, auch ohne mechanische Klimatisierung, ein angenehmes sommerliches Raumklima erreicht.
Angegliederte Wohnbebauung
Über einen kontinuierlich gestaffelten Funktionsteil leitet das Bürogebäude nach Süden zu einer Wohnbebauung über und schützt es gleichermaßen gegen die Hektik der vielbefahrenen Ost/West-Straße. Die Struktur der Wohnhäuser ist kleinteilig und reagiert damit auf die weitere angrenzende städtebauliche Situation.
Ähnliche Elemente der Bürohäuser kehren auch bei den Wohnbauten wieder und signalisieren die Verwandtschaft der Häuser: – so beispielsweise die französischen Fenster, die aus dem Wohnbereich in das Büroleben übernommen wurden.
Auf diese Weise entsteht eine identische Welt von Büro und Wohnen und begegnet damit der Schizophrenie eines täglichen Wechsels zwischen privater und öffentlicher Umgebungssituation.
Die Farben der hofseitigen Putzfassaden finden sich in den farblich differenzierten Fensterleibungen der Bürogebäude wieder.
Verhältnis von Architektur und Stadt
Zusammenfassend nochmals ein Statement von Prof. Otto Steidle: „Ein Aspekt, der mich u. a. schon immer interessiert hat, ist das Verhältnis von Architektur und Stadt. Ich möchte eine Architektur machen, die städtisch ist. Ich meine eine Architektur, die unterschiedliche Räume ausbildet – Gassen, Höfe, Straßen – und gleichzeitig Zwischenzonen.“
Das entsprechende Ergebnis in Hamburg: kleingliedrige Wohnbebauung hinter dem Schutzwall eines großmaßstäblichen langgestreckten Büroriegels an der Ludwig-Erhard-Straße, dessen bunte Ziegelfassaden, durch italienische Baukunst inspiriert, heute bereits einen heiteren Boulevard-Charakter vermitteln.
• Vierfarbige Klinker-Vorsatzschale
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Architekten: Prof. O. Steidle, Steidle & Partner, München
Mitarbeiter: S. Geiger und J. Spengler
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