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Deutlich andere Sprache

Neubau eines Wohnhauses in Sinzig
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Zunächst einmal eine Sache: Warum müssen Konzerne wie Telekom, RWE und Co. unbedingt riesige graue Kästen auf die Gehwege dieses Landes stellen? Und warum müssen sie dies unbedingt vor ein wirklich sehr gelungenes Wohnhaus und dessen Grundstücksmauer setzen? So geschehen in Sinzig, wo hertweck devernois architectes um den Architekten Florian Hertweck ein neues Wohnhaus entwarfen und umsetzten. Übrigens ist es das erste Gebäude der deutsch-französischen Architekten in Deutschland.

Dipl. Ing. Marc Nagel / jo

Umgeben vom typischen Einfamilienhaus-Chic aus Sattel-, Zelt- und Walmdächern befindet sich an einem Hanggrundstück das AK3, so der Projektname eines Einfamilienhauses, das die Bauherrenfamilie beim Architekten Florian Hertweck in Auftrag gegeben hat. Eine Umgebung, die wie geschaffen dafür scheint, dass Florian Hertweck hier ein Haus entwerfen konnte, das seine Antwort auf die sonstigen Wohnbauten darstellt. Diese lehnt er ab und wollte hierzu einen Kontrast schaffen. Einen Kontrast zu Häusern, von denen er sagt, dass sie teilweise schon als Neubauten eine veraltete Architektur darstellen. Denn den neuen Lebens-, Arbeits- und Wohnformen würde mit althergebrachten Lösungen begegnet, statt mit neuen Ideen darauf zu reagieren. Und so steht an der Sinziger Straße hinter einer mittelhohen Betonmauer die Antwort von hertweck devernois architectes auf diese neuen Umstände und die damit verbundenen Lebenswelten.
Eine Antwort, die in das idyllische Wohngebiet wie ein Fremdkörper eindringen könnte, wenn sie nicht so gut umgesetzt wäre. Denn trotzt der deutlich anderen Architektursprache und trotzt der zeitgemäßen Interpretation des Wohnens mit viel Glas und anderen alternativen Materialien an der Fassade, wirkt das Gebäude mit seiner Baumasse, seinen Maßen und Traufhöhen nicht störend, sondern gut eingebettet – was wahrscheinlich der eine oder andere Nachbar anders sehen könnte.
Fassade
Nähert man sich dem Gebäude, fällt zunächst die Abgrenzung zur Straße auf. Sie ist in Form einer mittelhohen Sichtbeton-Mauer ausgeführt, die durch quadratische Öffnungen aufgelockert ist. Dahinter türmt sich das Wohnhaus auf, bei dem vor allem drei Dinge ins Auge fallen. Zum einen ist es das einzige Gebäude in diesem Wohngebiet, das mit einem Flachdach ausgeführt wurde. Zudem wirkt das Sockelgeschoss sehr offen, da hier sehr viel Glas verwendet wurde. Und als Drittes besteht die übrige Fassade aus unterschiedlichen Materialien, die dem Bau eine besondere Anmutung verleihen. Was dabei von der Straße nicht zu sehen ist, ist der Sockel oder wie es Florian Hertweck nennt, das Podium. Dieses ist in den Hang, der von der Straße abfällt, eingelassen und öffnet sich somit nur zum Rheintal, auf das man einen sehr schönen Ausblick hat. In diesem Podium, das in WU-Beton erstellt wurde, befinden sich teilweise die privaten Räume der Familie.
Anders im Erdgeschoss, das auf dem Podium ruht. Es ist ganz seiner Nutzung entsprechend sehr offen gestaltet. Rings herum verglast, ermöglicht es freie Ein- und Ausblicke. Ausgeführt wurde die Fassade an dieser Stelle mit einer Pfosten-Riegel-Konstruktion des Typs Classik in gebeizter Fichte und Tanne. In sie wurden die Gläser Activ Suncool von Pilkington mit einem U-Wert von 1,0 W/m2K eingelassen. Die Gläser dienen zudem als begrenzter Sonnenschutz, da sie einen Reflexionsgrad von 60 % haben.
Über dem Erdgeschoss erhebt sich das introvertierte Obergeschoss. An der eher verschlossenen Fassade in diesem Bereich des Gebäudes kann man auch das Grundkonzept ablesen, das Florian Hertweck konzipiert hat: Eine klare Trennung der privaten und der halböffentlichen Bereiche. Sogar die Bereiche für Eltern und Kinder sind voneinander getrennt.
Ganz im Gegensatz zur Einheitlichkeit des verglasten Erdgeschosses ist an der Fassade des Obergeschosses eine Teilung erkennbar, die in drei Hauptbereiche erfolgt: Zum einen in die Sanitärräume der Eltern, die hinter einer brauner Fassade versteckt sind, die zur Straße keine Öffnung hat. Betrachtet man diesen Abschnitt genauer, dann wird auch klar, dass es sich lediglich um ein Staffelgeschoss und um kein Vollgeschoss handelt, und man erkennt den zweiten Bereich: die Dachterrasse. Die Hülle der Sanitärräume nimmt dabei die Verkleidung von Boden und Decke des Erdgeschosses auf. Hierbei handelt es sich um eine Kunststoff-Fassade mit Trespa-Platten, die auf eine Holzunterkonstruktion montiert wurden. Eine 16 cm dicke Flachsdämmschicht sorgt für ausreichend Dämmung. Zum anderen erkennt man im Obergeschoss einen von der Fassadenkante nach hinten versetzten, golden schimmernden Kasten. Er bildet den dritten Bereich und versteckt das Schlafzimmer der Eltern. Das golden schimmernde Material ist dabei ein Kupferblech des Typs Tecu Gold von KME. Ebenso wie das Bad ist der goldene Kasten auf dem Dach zur Straße hin geschlossen und öffnet sich mit einem großen Panoramafenster zur Aussicht ins Tal und zur 100 m2 großen Dachterrasse.
Klare Dreiteilung
Wie bereits erwähnt, wurde bei diesem Wohnhaus eine Dreiteilung in der Nutzung vorgenommen. Ein Konzept, das in seiner Konsequenz wohl nicht besonders gewöhnlich sein dürfte. Im Prinzip bildet dabei das verglaste Erdgeschoss den Ausgangspunkt für alles. Es ist, ganz nach den Wünschen der Bauherren, ein völlig offener, frei zugänglicher Raum mit Bereichen für Wohnen, Essen, Kochen, Spielen oder für andere Freizeitaktivitäten. Hier findet das gemeinschaftliche Leben statt und hier werden Gäste empfangen. Diesem extrovertierten Auftreten werden zwei völlig introvertierte Einheiten gegenübergesetzt. Vom Erdgeschoss führt eine Treppe ins Kellergeschoss oder Podium, wo sich das Reich der Kinder befindet. Es öffnet sich zum Tal und zum Garten hin und ist von der Straße her nicht einsehbar, da es sich dort im ansteigenden Hang befindet. Es beherbergt neben zwei Zimmern ein WC sowie ein Badezimmer.
Der zweite introvertierte Bereich betont die mit ihm verbundene Privatheit noch zusätzlich in der Art seiner Erschießung. Denn während die Treppe zum Kellergeschoss direkt einsehbar ist und von hier auch eine Treppe hinauf auf die Dachterrasse führt, können die Elternräume neben dem Weg über die Dachterrasse nur über einen versteckten Zugang erreicht werden. Damit wurde der Wunsch nach Intimität in die Tat umgesetzt. Befindet man sich im Wohnraum im Bereich des Essplatzes, blickt man auf eine Schrankwand mit Büchern. Erst beim näheren Betrachten erkennt man die Tür, die sich hinter einem der Regale verbirgt und über die man zur Treppe kommt, die sowohl nach oben als auch nach unten führt. Folgt man dieser nach unten, kommt man ins das Büro der Eltern, das hier auch eine Verbindung zum Kinderbereich hat. Folgt man der Treppe nach oben, erreicht man das großzügige Badezimmer sowie das Schlafzimmer der Eltern. Somit durchstößt der Privatbereich der Eltern das eine Horizontale bildende Erdgeschoss in einer vertikalen Linie.
Großzügig dimensioniert
Was neben der klaren Trennung von privaten Bereichen und Bereichen für Gäste und Gemeinschaftsaktivitäten auffällt, ist die großzügige Dimensionierung der Räume. Auf insgesamt 275 m2 gibt es genügend Platz für eine große Familie und jede Menge Gäste. Vor allem der Wohnraum im Erdgeschoss ist ein gebautes Bekenntnis für Gemeinschaft – neben allen Anzeichen für den Wunsch nach Rückzugsräumen. Denn als einzelner Raum, der zugleich Wohnen, Essen und Kochen miteinander vereint, hat er einen Loftcharakter und interpretiert die Ideen und Visionen eines Mies van der Rohe.
Natürlich wird der Gedanke des fließenden Raums durch die Trennung der Nutzungen in introvertierte und extrovertierte Bereiche unterbrochen, trotzdem entsteht im Erdgeschoss eine freizügige Atmosphäre, die vor allem auch durch den Naturbezug unterstrichen wird. Aufgrund der großzügigen und raumhohen Verglasung leben die Bewohner, nach eigenen Angaben, bewusster mit und in der Natur. Ein Effekt, der mit Sicherheit nicht nur durch die Vollverglasung des Wohn- und Lebensraums entsteht, sondern auch durch die Öffnungen von Kinder- und Elternbereich zum Rheintal hin unterstützt wird.
Bei der Materialität wurde beim Innenleben des Hauses auf einen gekonnten Mix zurückgegriffen. Während im Erdgeschoss Sichtbetonwände dominieren und so auf die Konstruktion des Hauses als Stahlbetonkonstruktion verweisen, wurden in den privaten Räumen die Wände verputzt und weiß gestrichen. Ergänzt wird das Ganze durch Holzböden mit Fischgrätenparkett in Eiche und Einbaumöbel mit Teak-Holz-Furnier.
Zeitgemäßes Energiekonzept
Ebenso wenig wie beim Nutzungs- und Erschließungskonzept und der Gestaltung der Fassade der Zufall entschied, wurde auch beim Energiekonzept darauf geachtet, dass man moderne und damit zeitgemäße Lösungen findet. Hierzu wurden drei Erdbohrungen mit einer Tiefe von 86 m vorgenommen, die dafür sorgen, dass die im Erdreich verfügbare Energie genutzt werden kann – im Sommer zum Kühlen und im Winter zum Heizen. Verbunden mit einer Wärmepumpe des Typs Junkers Sole-Wasser-Wärmepume mit einer Leistung von 16 kW und Leitungen, die nicht länger als 30 m sind, ergibt dies eine sehr effiziente Heizung. Zusätzlich wurde eine Luft-Wasser-Wärmepumpe von Junkers mit 2,5 kW für die Warmwasseraufbereitung installiert.
Um für eine gute Zirkulation der Luft im Haus zu sorgen, wurde das gesamte AK3 als sogenannter persischer Windturm konzipiert. Dieses Konzept sorgt dafür, dass die warme Luft von unten nach oben durchs Haus strömt und dann durch öffenbare Luken an der Decke des Obergeschosses entweichen kann.
Ein anderes Konzept fürs Wohnen
Insgesamt stecken im AK3 mit dem Energiekonzept und der Gestaltung des Hauses keine absoluten Innovationen. Was das Haus aber besonders macht, ist zweifelsohne die ungewöhnliche und innovative Gestaltung des Grundrisses. Eine solch konsequente Trennung zwischen offenen und gut einsehbaren und verschlossenen und optisch schwer einsehbaren Bereichen sieht man in einem Wohnhaus selten. Das mag im Falle der räumlich starken Trennung zwischen Eltern- und Kinderbereich befremdlich wirken und im Falle der Trennung zwischen Gäste- und Allgemeinräumen sowie privaten Rückzugsoasen nachvollziehbar erscheinen.
Alles in allem hat der Architekt die Wünsche der Bauherren umgesetzt und ihnen so das Wohnhaus entworfen, das sie sich wünschten. Und auf der anderen Seite vertraute die Bauherrenschaft dem Architekten, was heute leider nicht mehr allzu häufig vorkommt. So kann man das Wohnhaus in Sinzig durchaus als gelungene Kooperation zwischen Architekt und Bauherren bezeichnen und das Fazit ziehen, dass es sich um ein gelungenes Exemplar der Gattung Einfamilienhaus handelt – vor allem, weil es nicht konventionell und beliebig ist.
Architekt Florian Hertweck: „Unser Anspruch in Sinzig war es, etwas Außergewöhnliches zu bauen, ein Haus, dass sich von dem konventionellen Wohnungsbau bewusst absetzt, dabei aber dem historischen Landschaftsbild des Rheinlands entspricht.“
Architekten: Florian Hertweck hertweck devernois architectes, Remagen/Paris
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