Firmen im Artikel
Anforderung:
Umbau und Umnutzung zu modernem städtischem Raum mit historischer Lagerhallenatmosphäre
Lösung:
Freitragende, filigrane Stahlfassade mit wärmedämmendem Stahlprofil, Ansichtsbreite von nur 50 mm
Der Gare Maritime, zwischen 1902 und 1908 erbaut, besteht aus drei hohen und vier niedrigeren Hallen, die räumlich miteinander verbunden sind. Das Ensemble ist 280 m lang, 140 m breit und am höchsten Punkt 24 m hoch. Der ehemalige Güterbahnhof ist kein geschütztes Baudenkmal. Aber mit seinen imposanten Stützen, deren strenges Raster durch florale Ornamente im Jugendstil aufgelockert wird, ist er ein wertvolles Zeugnis der Industriearchitektur in Brüssel.
Er befindet sich in einer früheren Zollenklave, die der Lagerung und dem Umschlag von Waren diente. Mit der Abschaffung der Zölle innerhalb der Europäischen Union verlor das Gelände jedoch seine Funktion und wurde nach und nach aufgelassen.
Erhaltenswerte Atmosphäre
Die jetzige Umgestaltung mit Umnutzung zu einem zeitgemäßen städtischen Quartier erfolgte unter der Prämisse, die charakteristische Atmosphäre, ursprüngliche Monumentalität und Geräumigkeit der historischen Hallen nach Möglichkeit zu erhalten. Sie wurde in zwei Bereiche gegliedert, die sich teilweise sowohl in der Planung als auch in der Ausführung überschnitten – ein „work in progress“, was eine enge Abstimmung aller Beteiligten untereinander erforderte.
Die Renovierung der Bausubstanz – der Stahlkonstruktion, aller Außen- und Innenfassaden sowie der Regenwasserableitung – oblag dem Büro JDMA Jan de Moffarts Architecten, Brüssel, in Kooperation mit dem Bureau Bouwtechniek, Antwerpen. Den Ausbau der Hallen mit einer Nutzfläche von ca. 45 000 m2 verantworteten Neutelings Riedijk Architects, Rotterdam, gemeinsam mit dem Bureau Bouwtechniek.
Zeitgemäßes Konzept zur Umnutzung
Mit Rücksicht auf die historische Konstruktion blieben die Hallen in ihrer Grundstruktur erhalten: Arbeitsräume, Läden und Gastronomie beherbergen insgesamt zwölf Pavillons, die Neutelings Riedijk Architects einfügten – sofern man bei einem vierstöckigen Gebäude über einer Grundfläche von ca. 900 m² noch von einem „Pavillon“ sprechen kann. Jeweils fünf dieser Pavillons sind entlang der Ost- und Westfassaden der äußeren großen Hallen angeordnet und mit monumentalen Holztreppen miteinander verbunden. Zwei kleinere Pavillons befinden sich am südlichen Giebel.
Die mittlere der großen Hallen und die beiden benachbarten kleinen Hallen dagegen bleiben von Einbauten unberührt. Hier soll ein weitläufiger Boulevard entstehen, ähnlich der Ramblas von Barcelona, mit reichlich Platz für alle nur denkbaren Aktivitäten wie Ausstellungen, Märkte und kulturelle Veranstaltungen. So bleibt das geräumige Volumen trotz der Pavillons erlebbar.
Die in Holzbauweise konzipierten Pavillons wurden mit CLT (Cross Laminated Timber, mehrschichtige Massivholzplatten) errichtet. Im EG und im 1. OG sind auch Außentüren und Fenster aus Holz gefertigt. Ab dem 2. OG jedoch sind die Fassaden weitgehend verglast.
Freitragende Stahlfassaden in XXL ermöglichen Umnutzung
Während das 2. OG noch als Vollgeschoss ausgebildet ist, nimmt sich die dritte Etage zurück und gibt der Rundung der historischen Stahlträger Raum – ein „kreatives Mezzanin“, wie die Architekten es nennen. Durch diese Glasfassaden hindurch haben Nutzer den ungestörten Blick auf einen besonders stimmungsvollen Teil der tragenden Konstruktion, nämlich die mächtigen Stützen mit ihren floralen Ornamenten. Sie konnten glücklicherweise erhalten bleiben und wurden lediglich gereinigt sowie frisch gestrichen.
Die insgesamt 20 großflächigen Glasfassaden an den Giebelseiten der Pavillons, jeweils eine Fläche von 215 m², wurden als frei tragende Stahlleichtbaukonstruktion errichtet. Die Architekten entschieden sich für das hochwärmedämmende Stahlprofilsystem Jansen Viss, das teils in Kombination mit Viss Basic für trägerunabhängige Fassadenkonstruktionen zur Anwendung kam.
Da die historische Konstruktion unter keinen Umständen belastet werden durfte, ruht die Vorhangfassade auf den Deckenbalken des 2. OG. Im 3. OG ist sie an die Geschossdecke angebunden und darüber hinaus mittels Druckstäben an nur noch zwei Punkten des Pavillons befestigt. Für zusätzliche Stabilität sorgen Rücksprünge in den Eckbereichen und leicht nach innen versetzte Eingänge.
Stahl – früher wie heute erste Wahl
Entstanden ist eine freitragende Fassade nach dem Stand der Technik, wie sie nur mit Stahlprofilen möglich ist – und zudem den Vorstellungen der Architekten von einer leichten und filigranen Konstruktion voll und ganz entspricht. In diesem Fall wurde das wärmedämmende Stahlprofilsystem mit einer Ansichtsbreite von nur 50 mm verwendet.
Dass auch die Original-Fassaden mit Stahlprofilen errichtet worden waren, war ein zusätzliches Argument. Leider waren weite Teile dieser Industrieverglasungen im Lauf der Zeit durch Bleche ersetzt worden – ein Provisorium, dem de Moffarts nunmehr ein Ende setzte: Die Ost- und Westfassade der hohen Hallen wurde in den Bereichen, in denen die Pavillons an sie anschließen, ebenfalls mit dem Stahlprofilsystem Jansen Viss erneuert. Sensorgesteuert dimmbare Dreifach-Isoliergläser mit Low-e-Beschichtung schützen die Büros an der Westfassade vor allzu viel Sonneneinstrahlung. Öffenbare Flügel aus dem Türprofilsystem Janisol ermöglichen den Ausstieg auf die Dachfläche der niedrigeren Hallen.
Im September 2019 wurde der erste Pavillon bezogen, bis Ende 2020 wurden alle Pavillons fertiggestellt und die Bauarbeiten abgeschlossen. Historische Bausubstanz, gepaart mit einem innovativen Architekturkonzept, schafft Räume, die nicht nur bei Einheimischen gut ankommen. Auch für die unzähligen Touristen, die die europäische Hauptstadt alljährlich besuchen, dürfte der neue Gare Maritime als „eine Stadt, in der es niemals regnet“ ein attraktiver Anziehungspunkt werden.
Projekt: Umnutzung Güterbahnhof Brüssel, Belgien
Standort: Rue Picard 11, 1000 Bruxelles, Belgien
Bauherr: Extensa Group, Brüssel/BE
Architekten: Neutelings Riedijk Architects, Rotterdam/NL, mit JDMA Jan de Moffarts Architecten, Brüssel/BE, und Bureau Bouwtechniek, Antwerpen/BE
www.neutelings-riedijk.com
www.www.jandemoffarts.com
Pavillonfassaden: Lootens Deinze NV, Deinze
Ost- und Westfassaden: CS Raamconstructies, Weelde (Ravels) und Zuid Nederlandse Ramenfabriek (ZNR), Rucphen
Architekt Jan de Moffarts: „Wir haben uns für Stahlprofile entschieden, weil sie schmaler sind als Aluminium.“
Die Besonderheit der Pfosten-Riegelkonstruktion liegt in der Verbindung der Pfosten untereinander durch einhängbare Riegel: Sie sind teils geschweißt, teils gesteckt und verschraubt und teils nur gesteckt ausgeführt, um Dilatationen in den Riegelanschlüssen aufnehmen zu können. Diese sind aufgrund der großen, öffenbaren Oberlichter im Hallendach, an das die Pfosten-Riegelfassade mit einer EPDM-Dichtung anschließt, zu erwarten.