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Fahrtreppen und Fahrsteige: Bewegte Architektur

Komfortable und sichere Personenbeförderung
Fahrtreppen und Fahrsteige: Bewegte Architektur

Fahrtreppen und Fahrsteige sind einerseits rein funktionale Einbauten für die schnelle und komfortable Personenbeförderung. Andererseits sind sie aber auch ein überraschendes, weil bewegtes und aus der Orthogonalität abweichendes Architekturelement, das den Gedanken der repräsentativen Treppe zeitgemäß interpretiert.

Markus Hoeft

Architektur ist im weitesten Sinne immer auch Inszenierung, ganz allgemein: von Gedanken und Ideen, etwas konkreter: vom Bauherrn und seiner Stellung in der Gesellschaft. Besonders geeignete Bauteile für Inszenierungen sind Treppen, historisch etwa die Außentreppen von Stufenpyramiden, auf denen der Mensch einen schier unendlich langen Weg zum Sitz der Gottheit auf der Spitze zurücklegen musste. Schon etwas näher an unseren Denk- und Gestaltungsgewohnheiten liegen repräsentative Treppen in feudalen Schlössern, über die Majestäten sich huldvoll und mit einem leicht überirdisch wirkenden Gleiten zu den „Untertanen“ hinab begeben konnten. Auch der umgekehrte Weg kann eine tiefere Bedeutung ausdrücken, wie die bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts zum Beispiel in Gerichten oder Verwaltungsgebäuden zeigte: Monumentale Treppenhäuser sorgten dafür, dass der Staatsbürger sich ausreichend klein fühlte, ehe er vor die Repräsentanten von Recht und Ordnung trat.
Durch das markante Oben und Unten sind Treppen vor allem für die Visualisierung und Erlebbarkeit von Macht geeignet. Gerade darum konnte wohl unsere Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit ausdrucksstarken Treppen nichts mehr anfangen. Sie verschwanden im öffentlichen Bauen als „notwendige Treppen“ in dunklen, oft schwer zu findenden Treppenhäusern. Die Verkehrsfunktion übernahmen Aufzüge, die ebenfalls unsichtbar in Schächten verliefen, so dass die Relation von oben und unten samt allen dazugehörigen Assoziationen dem Blick weitgehend entzogen wurde.
Ein ausgesprochen modernes Bauelement nahm die alte Idee der repräsentativen Treppe jedoch wieder auf: die Fahrtreppe. Vordergründig geht es bei Fahrtreppen und den ihnen eng verwandten Fahrsteigen darum, größere Menschenmengen komfortabel und möglichst schnell von einem Ort zum anderen zu bringen. Gleichzeitig lassen sich mit den Einbauten jedoch auch eine Reihe verschiedener Ideen in Szene setzen.
Beispielsweise die der bewegten Architektur. Der frühere Grundsatz, wonach Architektur der fixierte Raum ist, in dem nur der Mensch Bewegung erzeugt, gilt nicht mehr uneingeschränkt. Dadurch bekommen Gebäude eine neue Form der Dynamik, die gerade in Kaufhäusern oder Bahnhöfen erwünscht ist. Oft geht damit eine Wiederentdeckung des Atriums einher: Der große lichtdurchflutete Innenhof und die sich zu ihm öffnenden Geschosse lassen sich ideal mit Fahrtreppen untereinander verbinden. Der Mensch muss den öffentlichen Raum nicht mehr verlassen und vermeidet das Unbehagen geschlossener Treppenhäuser oder Aufzüge. Stattdessen erlebt er die Architektur aktiv und ist jederzeit über seine eigene Position innerhalb des Gebäudes im Bilde.
Majestätisches Gleiten
Die Kenntnis des eigenen Aufenthalts verbindet sich mit einer deutlich verbesserten Orientierung, in Kaufhäusern und Einkaufszentren über das Warenangebot und seine Verteilung oder in Bahnhöfen und Flughäfen über die Anordnung der Bahn- bzw. Flugsteige.
Architektonisch besticht die Kombination von Fahrtreppe und Atrium vor allem durch die funktionale Geometrie der Fördertechnik. In einer gebauten Umwelt mit überwiegend horizontaler und vertikaler Linienbetonung gehören die geneigten Fahrtreppen zu den wenigen Bauteilen mit einer abweichenden optischen Ausrichtung. Dieser Kontrast zur allgemein vorherrschenden Orthogonalität wird vom Betrachter umso leichter akzeptiert, da sich die Schräge natur- und zweckgemäß aus der Funktion des Bauteils ergibt und nicht eine mehr oder minder überflüssige Verzierung darstellt. Auch wenn moderne Architekturszenen mit Atrium und Fahrtreppen nicht mehr auf das Treppenhaus als Machtmetapher setzen, hat sich eine Parallele übrigens doch erhalten: das majestätische, weil unangestrengte Gleiten, das vielleicht der Fahrsteig noch markanter ausdrücken kann als die Fahrtreppe.
Neigung, Breite und Geschwindigkeit
Maßgebliche Norm für Fahrtreppen und Fahrsteige ist die EN 115 Teil 1 Sicherheit von Fahrtreppen und Fahrsteigen – Konstruktion und Einbau. Die Landesbauordnungen widmen sich den Fahrtreppen meist nicht explizit, allerdings sind allgemeine LBO-Vorschriften zu Geländerhöhen in Abhängigkeit von der Absturzhöhe zu beachten. „Rolltreppen“, wie die Fahrtreppen in den LBO meist heißen, sind als notwendige Treppen unzulässig. Weitere Vorschriften können je nach Gebäudetyp in den dafür einschlägigen Regelwerken enthalten sein (Arbeitsstättenverordnung, Verkaufsstättenverordnung usw.).
Die gängige Neigung von Fahrtreppen liegt bei 30° und gewährleistet einen hohen Fahrkomfort mit gutem Sicherheitsgefühl. Bis 6 m Förderhöhe sind auch 35° möglich, was eine Platz sparendere und wirtschaftlichere Ausführung bedeutet, bei der Abwärtsfahrt allerdings schnell auch als zu steil empfunden werden kann. Für öffentliche Verkehrsanlagen sind 27,3° Neigungswinkel günstig, weil die Fahrtreppen dann parallel zu den festen Treppen verlaufen. Die Stufen sind typischerweise 800 oder 1 000 mm breit, maximal zulässig sind 110 cm.
Fahrsteige bestehen aus in einer Ebene fahrenden Paletten, bilden also während der Fahrt keine höhenversetzten Stufen aus. Unterschieden werden zum einen die geneigten Fahrsteige mit Neigungen von 10° bis 12°, wie sie in Einkaufszentren für den Geschosswechsel mit Einkaufswagen typisch sind. Zum anderen gibt es die in Flughäfen oder anderen weitläufigen Gebäuden eingesetzten horizontalen Fahrsteige mit 0° bis 6° Neigung – meist innerhalb ein und desselben Geschosses. Geneigte Fahrsteige sind wie Fahrtreppen in der Regel 800 oder 1 000 mm breit, horizontale können mit 1 000 bis 1 400 mm breiter ausgeführt werden. Diese Bauart lässt sich statt mit einzelnen Paletten auch mit kontinuierlichen Gummibändern ausgestatten.
Breite und Geschwindigkeit bestimmen gemeinsam die Förderkapazität, für die DIN EN 115–1 einige realitätsnahe Werte angibt. Denn es ist nicht so, wie man theoretisch denken könnte, dass mit mehr Breite und mehr Tempo linear auch die Kapazität ansteigt. Die Menschen besetzen einerseits nicht gleichmäßig und dicht gedrängt jede Stufe bzw. Palette. Andererseits zögern die Fahrgäste beim Betreten schnellerer Treppen etwas länger und nutzen auch dadurch die rechnerische Förderleistung nicht vollständig aus.
Als Standardgeschwindigkeit von Fahrtreppen und geneigten Fahrsteigen hat sich 0,5 m/s bewährt, für horizontale Fahrsteige auch 0,65 m/s. In Abhängigkeit von der Förderhöhe, der Breite und der Neigung kann mit höheren Geschwindigkeiten gearbeitet werden: Fahrtreppen mit 0,65 m/s eignen sich beispielsweise für den öffentlichen Personenverkehr in Bahnhöfen. Die maximal zulässigen 0,75 m/s für Treppen oder 0,9 m/s für Fahrsteige werden in der Literatur als „extreme“ und nur in Ausnahmen zu verwendende Geschwindigkeit beschrieben.
Neu interpretiertes Treppenauge
Eng mit den Kapazitätsberechnungen hängen Anzahl und Anordnung der Fahrtreppen zusammen. Speziell in Atrien sind überkreuzende Anordnungen mit überraschenden architektonischen Linienführungen möglich. Aber auch parallele oder scherenartige Verläufe sollten in ihrer Wirkung nicht unterschätzt werden, zumal sie die Renaissance für ein fast schon vergessenes Architekturdetail bedeuten: das Treppenauge, also den Durchblick zwischen den einzelnen Treppenläufen – im Idealfall bis nach ganz oben. Damit gewinnt die Unteransicht der Treppen an Bedeutung, die geschlossen und hell wie die Decken ausgeführt werden kann, aber ebenso transparent mit einem Durchblick auf die Fördertechnik oder mit hinterleuchteter Verglasung als Lichtdecke. Die Transparenz der Unteransicht lässt sich – vor allem im Handel und auf Flughäfen – in den gläsernen Balustraden der Treppen und Steige fortsetzen. Im öffentlichen Verkehr sind zum Schutz vor Vandalismus eher geschlossene Brüstungen aus Edelstahl geeignet.
Weitere Designelemente, die gleichzeitig auch die Erkennbarkeit und sichere Benutzung verbessern können, sind Beleuchtung und Farbe. Speziell die wenig Energie verbrauchenden LED können beispielsweise den Sockel oder den Kamm zusätzlich beleuchten und damit markieren. Auch die Beleuchtung des Stufenbands und/oder des Handlaufs erhöhen auf elegante Art die Benutzersicherheit. Wie die in der Realität ausgeführten Beispiele zeigen, wird Farbe eher sparsam für die Gestaltung eingesetzt, weil so der technisch-funktionale Charakter der Fahrtreppen und Fahrsteige unterstrichen werden kann. Neben den typischen metallfarbenen Stufen sind aber auch farbige Ausführungen möglich. Selbst das Endlosband des Handlaufs muss heutzutage nicht mehr schwarz sein.
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