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Künftig realitätsnäher

Anforderungen und Regeln bei Schallschutz im Umbruch
Künftig realitätsnäher

Schallschutz nimmt einen immer höheren Stellenwert ein. Stand früher nur Schallschutz zwischen fremden Wohn- und Arbeitsbereichen im Fokus, so haben Nutzer inzwischen auch hohe Erwartungen an Schallschutz im eigenen Wohn- und Arbeitsbereich. Entsprechende Lösungen stellen massive Gips-Wandbauplatten als entkoppelte Trennwandkonstruktion dar.

V-Prof. Dipl.-Ing. Guido Dietze, HAWK Hildesheim FB Bauingenieurwesen | be

Das individuelle Ruhebedürfnis in den eigenen vier Wänden korreliert zumeist sehr deutlich mit der persönlichen Lebenssituation jedes Einzelnen. Hohe Erwartungen stehen jedoch diffuse Vorstellungen gegenüber, was moderne Baustoffe schalltechnisch zu leisten in der Lage sind. Häufig werden diese Erwartungen enttäuscht, wenn Bewohner einer Neubauwohnung feststellen, dass sehr wohl Geräusche aus der Nachbarwohnung zu hören sind oder dass die Schalldämmung zwischen Kinder- und Elternzimmer nicht den subjektiven Wünschen entsprechen.
Die derzeitige DIN 4109 (1989) sieht vor, dass baurechtliche Mindestanforderungen an den Schallschutz einzuhalten sind. Diese dienen jedoch – wie in der DIN formuliert ist – lediglich dazu, „die Menschen in Aufenthaltsräumen gegen unzumutbare Belästigungen durch Schallübertragung zu schützen“. Der BGH führte im Jahr 1998 in einem Urteil zum Schallschutz von Eigentumswohnungen aus, dass „die bloße Beachtung der DIN-Normen nicht besagt, dass damit den anerkannten Regeln der Technik genügt ist“ (AZ VII ZR 184/97). Im Jahr 2009 wurde, unter Bezugnahme auf das Urteil von 1998, in einer weiteren Urteilsbegründung ergänzend ausgeführt, dass „die Schalldämm-Maße der DIN 4109 von vornherein nicht geeignet [sind], als anerkannte Regeln der Technik zu gelten“ (AZ VII ZR 54/07). Es darf also keinesfalls erwartet werden, dass die baurechtlichen Mindestanforderungen bereits ausreichend sind, um einen Zustand herzustellen, „in dem die Bewohner im Allgemeinen Ruhe finden“ (BGH 2009).
Bei der Festlegung von Zielwerten für einen über den baurechtlichen Mindestanforderungen liegenden Schallschutz können beispielsweise das Beiblatt 2 zur DIN 4109 (1989) oder die VDI 4100 dienen. Darauf weist der BGH in einer Urteilsbegründung zum Schallschutz von Doppelhäusern aus dem Jahr 2007 hin (AZ VII ZR 45/06). Er bezieht sich dabei auf die VDI 4100 aus dem Jahr 1994, die auch in ihrer derzeitigen Ausgabe als Maßstab geeignet ist.
Der Kunde kann von einem Bauteil außerdem die Schalldämm-Eigenschaften erwarten, die zum Zeitpunkt der Abnahme (nicht der Planung!) den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprachen. Der BGH führte bereits 1998 hierzu aus: „Der Besteller kann redlicherweise erwarten, dass das Werk zum Zeitpunkt der Fertigstellung und Abnahme diejenigen Qualitäts- und Komfortstandards erfüllt, die auch vergleichbare andere zeitgleich fertig gestellte und abgenommene Bauwerke erfüllen“ (AZ VII ZR 184/97). Letztlich bedeutet das für die derzeitige Baupraxis, dass Schallschutz gemäß den allgemein anerkannten Regeln der Technik zahlenmäßig weitgehend im Bereich der Empfehlungen für einen erhöhten Schallschutz nach Beiblatt 2 zu DIN 4109 bzw. Schallschutzstufe (SSt) 2 nach VDI 4100 anzusiedeln ist. Die dort genannten Werte können mit heute üblichen Baukonstruktionen bei mangelfreier Ausführung erreicht werden.
Grundsätzlich besteht nach §633 BGB immer auch der Anspruch auf die Ablieferung eines mangelfreien Gewerks. Dies gilt selbstverständlich genauso für den Schallschutz. Daraus lässt sich wiederum ableiten, dass der Unternehmer auch dann, wenn auf vertraglicher Grundlage prinzipiell nur die Mindestanforderungen an den Schallschutz eingehalten werden müssten, einen Schallschutz von der Qualität schuldet, die die verwendeten Baustoffe und Konstruktionen bei mangelfreier Ausführung erwarten lassen. Auch hier ist es nicht möglich, sich auf den Standpunkt der lediglich erforderlichen Erbringung des Mindest-Schallschutzes zurückzuziehen. In seinem Urteil aus dem Jahr 2007 führt der BGH hierzu aus: „Können durch die vereinbarte Bauweise bei einwandfreier, den anerkannten Regeln der Technik entsprechender Bauausführung höhere Schallschutzwerte erreicht werden als sie sich aus den Anforderungen der DIN 4109 ergeben, sind diese Werte unabhängig davon geschuldet, welche Bedeutung den Schalldämm-Maßen der DIN 4109 sonst zukommt“ (AZ VII ZR 45/06). Zu erbringen sind damit also grundsätzlich solche Schalldämm-Eigenschaften, die sich bei einer rechnerischen Prognose des Schallschutzes nach anerkannten Rechenverfahren ergäben bzw. darüber hinausgehend regelmäßig von identischen mangelfreien Konstruktionen erreicht werden.
Wird vom Kunden ein über den Mindestanforderungen liegender Schallschutz gewünscht, so sollte dieser nach Möglichkeit immer in einem privatrechtlichen Zusatzvertrag zwischen den Parteien vereinbart werden.
Dies liegt darin begründet, dass weder das Beiblatt 2 zu DIN 4109 noch die VDI 4100 baurechtlich eingeführt sind. Damit haben beide keinen rechtlich bindenden Charakter. Beide Normen/Richtlinien weisen Werte für erhöhten Schallschutz zwischen fremden Wohn- und Arbeitsbereichen aus, wobei das Schema der VDI 4100 nachvollziehbar drei Schallschutzstufen unterscheidet, die häufig zur Festlegung eines erhöhten Schallschutzes herangezogen werden. Die SSt 1 kennzeichnet den baurechtlich erforderlichen Schallschutz, die SSt 2 und SSt 3 sind als Empfehlungen für bessere Schalldämmungen anzusehen. Anzuraten ist eine Anwendung der VDI 4100 schon aus dem Grund, dass der BGH in seinem Urteil von 2007 ausführt: „Ein die Mindestanforderungen überschreitender Schallschutz muss deutlich wahrnehmbar einen höheren Schutz verwirklichen“ (AZ VII ZR 45/06). Dies ist bei Empfehlungen für erhöhten Schallschutz nach Beiblatt 2 zu DIN 4109 allerdings in einigen Fällen wegen der im Vergleich zum baurechtlich erforderlichen Schallschutz nur geringfügig höheren Zahlenwerte nicht zu erwarten.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass unter Berücksichtigung heute üblicher Materialien und Konstruktionsweisen für Schallschutz gemäß den allgemein anerkannten Regeln der Technik prinzipiell ein Niveau im Bereich der SSt 2 der VDI 4100 bzw. des Beiblatts 2 zu DIN 4109 erwartet werden kann.
Die SSt 3 hingegen bietet einen Anhaltswert für den Schallschutz im Komfortbereich, lässt sich jedoch oft nur mit erheblichem baulichem Mehraufwand erreichen. Allein die Mindestanforderungen der DIN 4109 einzuhalten, genügt heute meist nicht mehr.
Künftige DIN 4109
Die schalltechnische Planung von Gebäuden, an die Schallschutz-Anforderungen gestellt werden, wird derzeit nach Beiblatt 1 zu DIN 4109 durchgeführt. Im Rahmen der Überarbeitung der DIN 4109 werden aber die Rechenverfahren der DIN EN 12354–1 in DIN 4109 einfließen. Es sind dann wesentlich komplexere Berechnungen mit neuen akustischen Parametern erforderlich, um die zu erwartende Schalldämmung zwischen zwei Räumen unter Berücksichtigung flankierender Schallübertragung zu prognostizieren. Diese stark material- und einbauabhängigen Parameter, wie z. B. Stoßstellen- oder Flankendämm-Maße, lassen sich häufig nur durch Bauteilmessungen in Prüfständen bestimmen. Sie sind für die rechnerische Prognose der Schalldämmung jedoch unabdingbar. Eine pauschale Berücksichtigung von flankierenden Bauteilen mit dem bisherigen Bonus-Malus-Verfahren wird dann nicht mehr möglich sein.
Wird bislang in DIN 4109 die Luft- und Trittschalldämmung von Massivbauteilen ohne Berücksichtigung der Bauteil- und Raumabmessungen berechnet, so sieht die kommende DIN 4109 vor, dass die Trennwandfläche und die gemeinsamen Kantenlängen von Trennwand und flankierenden Bauteilen in die Berechnung einfließen. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass die Bauteilabmessungen einen nicht unerheblichen Einfluss auf die flankierende Schallübertragung haben können. Die Anforderungswerte der bisherigen DIN 4109 (Bau-Schalldämm-Maß R’w bzw. Norm-Trittschallpegel L’n,w) werden nach derzeitigem Informationsstand allerdings doch nicht – wie ursprünglich vorgesehen – auf nachhallzeitbezogene Anforderungswerte umgestellt.
Eine wesentliche Erhöhung der baurechtlichen Mindestanforderungen ist im Zuge der Novellierung der DIN 4109 nicht zu erwarten. Empfehlungen für den erhöhten Schallschutz wird die neue DIN 4109 ebenfalls nicht mehr enthalten. Hier soll nach momentan vorliegenden Informationen auf die VDI 4100 verwiesen werden. Diese liegt derzeit mit nachhallzeitbezogenen Kenngrößen im Entwurf aus dem Jahr 2010 vor. Es ist jedoch zu erwarten, dass die Kenngrößen vor der eigentlichen Veröffentlichung der VDI 4100 an die Kenngrößen der künftigen DIN 4109 angepasst werden.
Lösung für nichttragende Trennwände
Künftig wird also eine schalltechnische Berechnung mit einer Vielzahl von Eingangsdaten durchgeführt, die von den Baustoffherstellern zur Verfügung gestellt werden müssen. Für Gips-Wandbauplatten existieren diese Daten bereits. Sie wurden von der Hochschule für Technik unter Leitung von Prof. Dr. Heinz-Martin Fischer in Prüfstandsmessungen ermittelt und auf Baustellen überprüft. Daraus hervorgegangen ist ein belastbarer Eingangsdatensatz, der bereits heute zur Berechnung und Prognose des Schallschutzes nach den Rechenverfahren der DIN EN 12354–1 herangezogen wird.
Es hat sich gezeigt, dass durch die Anwendung des neuen Rechenverfahrens deutlich realistischere Schalldämm-Maße bzw. Standard-Schallpegeldifferenzen berechnet werden können, als dies bislang der Fall war.
Im Vergleich zu anderen massiven Wandbaustoffen stellen Gips-Wandbauplatten eine alternative – und gleichzeitig schalltechnisch optimale – Konstruktionsweise zur Verfügung: Der Anschluss der Wandbildner erfolgt nicht biegesteif, wie im Massivbau üblich, sondern diese werden stattdessen mittels elastischer Randanschlussstreifen von der übrigen Baukonstruktion entkoppelt. Der Vorteil dieser Konstruktionsweise ist ein hohes Schall-Längsdämm-Maß, das sich mit ähnlich leichten, jedoch biegesteif verbundenen Konstruktionen nicht erreichen lässt. Gleichzeitig wird von den Wänden ein Direkt-Schalldämm-Maß erreicht, das ebenfalls über dem aus der flächenbezogenen Masse resultierenden zu erwartenden Maß liegt.
Zusätzliche Vorteile ergeben sich aus der geringen Masse der Wandbauplatten insofern, als diese bei der Deckenbemessung nach Eurocode 1 nicht als Einzellast angesetzt werden. Für Gips-Wandbauplatten ist die Berücksichtigung mit einem pauschalen Trennwandzuschlag nach nationalem Anhang EC 1–1–1 zulässig. Daraus resultiert höchstmögliche Flexibilität bei der Planung von Trennwänden, weil diese auch lange nach dem Rohbau nach Wunsch und Erfordernis des Nutzers erstellt werden können. Auch spätere Grundriss-Umgestaltung ist aufgrund des statischen Berechnungsansatzes meist problemlos möglich. Die Wände können entfernt und mittels der einfachen, aber wirkungsvoll abgelösten Randanschlüsse an beliebiger Stelle neu errichtet werden. Bei anderen massiven Wandbildnern sind hier aus statischen und konstruktiven Gründen (ggf. erforderliche weiche Anschlussprofile, die in die flankierende Wand einbinden müssten, Probleme bei der Stoßstellen-Ausbildung) unter Umständen Grenzen gesetzt.
Von einigen Bauträgern wird dieses Prinzip heute schon umgesetzt. Sie bieten den Erwerbern von Eigentumswohnungen an, die Grundrisse aktiv zu gestalten und erst zu einem späten Ausführungszeitpunkt festzulegen.
Literatur: DIN 4109 Schallschutz im Hochbau – Beiblatt 2 Vorschläge für einen erhöhten Schallschutz, 1989–11 Richtlinie VDI 4100 Schallschutz von Wohnungen – Kriterien für Planung und Beurteilung, 2007–08 DIN EN 12354–1 Berechnung der akustischen Eigenschaften von Gebäuden aus den Bauteileigenschaften – Teil 1: Luftschalldämmung zwischen Räumen, 2000–12 DIN EN 1991–1–1/NA Nationaler Anhang – National festgelegte Parameter – Eurocode 1: Einwirkung auf Tragwerke – Teil 1–1 Allgemeine Einwirkungen auf Tragwerke – Wichten, Eigengewicht und Nutzlasten im Hochbau, 2010–12
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