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Interview: "Leider kämpft der Holzbau immer noch gegen Vorbehalte"

Interview
„Leider kämpft der Holzbau immer noch gegen Vorbehalte“

Der Holzbau in Deutschland boomt. Im Interview sprechen die Geschäftsführer und Branchenkenner Eberhard Stegner (Graphisoft), Markus Gallenberger (Frilo) und Alexander Neuss (Sema) darüber, was der Baustoff Holz leisten kann und warum es im Hinblick auf urbanes Bauen wichtig ist, mit verbreiteten Vorurteilen aufzuräumen.

Holzbauwerke sind mitunter hochkomplexe und vielschichtige Ingenieurbauwerke. Welche Holzbau-Konstruktion hat Sie nachhaltig beeindruckt?

Stegner: Als Holzbau-Konstruktion hat mich  die Akademie Mont-Cenis in Herne nachhaltig beeindruckt. Wie die Glaswände mit dem Standgerüst aus Holz verschmelzen, ist aus Architektensicht absolut sehenswert.

Gallenberger: Ich war in der Vergangenheit häufiger in Norwegen unterwegs und mir ist die Akershus Universitätsklinik in Oslo als besondere Holzbaukonstruktion in Erinnerung geblieben. Vor allem im Haupteingang kommt der Baustoff Holz in Kombination mit den großen Glaswänden super zur Geltung. Die Holzlamellen umhüllen auch noch das Kinderkrankenhaus und bilden einen schönen Kontrast zu der dunkelgrauen Keramikfassade.

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Neuss: Ich bin im Allgemeinen fasziniert vom mehrgeschossigen Holzhausbau. Diesbezüglich ist das HoHo in Wien mit seinen 24 Stockwerken und einer Höhe von 84 Metern ein absolutes Vorzeigeprojekt in Hybridbauweise. Trotz der Bündelung mehrerer Baustoffe stand beim Bau des HoHo das Holz eindeutig im Vordergrund. Das Hochhaus macht anhand von plastischen Beispielen deutlich, warum der Holzhausbau in der heutigen Zeit und für zukünftige Generationen so wichtig ist.

Die da wären?

Neuss: Gegenüber einer Ausführung in Stahlbeton spart das HoHo 2.800 Tonnen CO2- Äquivalente   ein.   Das   entspricht   in   etwa   20 Millionen  PKW-Kilometern. Neben dem  Effekt der CO2-Speicherung hat das Holz als Baustoff aber viele weitere energetische und ökologische Vorteile. So wurde beispielsweise errechnet, dass das HoHo 300.000 Megastunden weniger Primärenergie verbraucht als eine Ausführung in Stahlbeton. Das ist in anderen Worten jene Energie,  die  benötigt  wird,  um  ein  Wohnhaus von  32 Wohneinheiten für eine Periode von 1.100 Jahren zu heizen. Dank seiner natürlichen Dämmeigenschaften trägt Holz zur Senkung des Energiebedarfs von Gebäuden bei.

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Holz überzeugt also als umwelt- und energieschonender Baustoff. Das ist ein Grund dafür, dass der Holzbau aktuell voll im Trend liegt. Welche Besonderheiten weist Holz als Baustoff darüber hinaus auf?

Stegner: Neben der Fähigkeit, CO2 zu speichern, ist Holz besonders klimaneutral und nachhaltig, weil es ein nachwachsender und langlebiger Rohstoff  ist. Zu den Themen Standfestigkeit und Tragfähigkeit von Holz als Baustoff denke man nur an die vielen Fachwerkhäuser, die in einigen Regionen seit Jahrhunderten stehen. Außerdem kann Holz aufgrund seiner Wandelbarkeit im Gebäudebereich als Baustoff für Tragwerke, Fassaden, Terrassen aber auch für die Innenbekleidung äußerst vielseitig eingesetzt werden.

Gallenberger: Studien in Krankenhäusern und Schulen haben gezeigt, dass Holz das Stresslevel reduziert und sich positiv auf das Wohlbefinden des Menschen auswirkt. Holz fördert den Heilungsprozess, die Gesundheit und die Erholung des Menschen. Neben dem Aspekt der Wohngesundheit vermittelt Holz in Innenräumen dank der behaglichen Optik auch Harmonie und Gemütlichkeit. Außerdem produziert  Holz keinen Abfall.  Am Ende der Lebensdauer werden einzelne Bauteile entweder wieder verwendet oder verbrannt und erzeugen so Wärmeenergie.

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Die Vielzahl der Vorteile von Holz als Baustoff liegt auf der Hand. Wie erklären Sie sich, dass Holzbauten und -konstruktionen im ländlichen und urbanen Raum dennoch unterrepräsentiert sind?

Stegner: Ich denke, die althergebrachte Vorstellung, dass Holz leichter brennt und im Falle eines Brandes weniger standfest ist als andere Baustoffe, ist dafür verantwortlich. Aber diese Vorstellung entspricht nicht der Realität. Tatsächlich hält ein richtiger Holzträger im Brandfall seine Standfestigkeit sehr lange aufrecht. Wenn es brennt, sind die Kunststoffe im Gebäude eher ein Problem als das Holz.

Neuss: Genau richtig. Leider kämpft der Holzbau heute immer noch gegen Vorbehalte in Bezug auf Haltbarkeit des Holzes, Statik, Brand- und Feuchteschutz. Dabei sind diese dank moderner, technischer Innovationen von Holzbauprodukten wie Cross Laminated Timber (Anmerkung der Redaktion: kurz CLT), den OSB- Platten und dem Konstruktionsvollholz völlig ungerechtfertigt. Aus meiner Sicht besteht  die größte Herausforderung allerdings darin, den Mangel an hochqualifizierten Fach- und Nachwuchskräften für die Planung und die Montage von Holzbau zu beheben. Sie werden dringend benötigt, um die Qualität im Holzbau zu gewährleisten.

Gallenberger: Holz ist ein „lebender“ Rohstoff, der stärker als andere Baustoffe der Witterung und sonstiger Gängigkeit ausgesetzt ist. Auch die richtige Standortwahl ist bei einem Bauvorhaben mit Holz entscheidend. Entsprechend wird die Herausforderung sein, die hohen Qualitätsanforderungen an den Holzbau zu erfüllen und verlässliche Partner für die Zusammenarbeit zu finden.

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Wie kann mit den Vorurteilen gegenüber dem Holzbau aufgeräumt werden?

Gallenberger: In vielen Bauämtern muss ein Umdenken stattfinden. Es fehlen aktuell einfach baurechtliche Grundlagen und Zulassungen, die zum Beispiel den mehrgeschossigen Bau in den Städten erst ermöglichen.

Neuss: Wir brauchen gezielte Lobbyarbeit. Die Politik, die Behörden und Kommunen müssen von der Sinnhaftigkeit und den Vorteilen des Holzbaus überzeugt werden. Am Bundesland Baden-Württemberg sollten sich andere ein Beispiel nehmen. Dort wurde der Einsatz von Holz beim Geschossbau per Landesbauordnung erleichtert. Auch Architekten sind viel eher mit dem Holzbau in Kontakt zu bringen. Nicht zuletzt muss Aufklärungsarbeit bei den Kunden betrieben werden, um ihnen klar zu machen, dass Brandschutz und Feuchtigkeit überhaupt keine Probleme mehr für den Holzbau darstellen. Wenn uns das gelingt, dann sind dem Siegeszug des Holzbaus keine Grenzen gesetzt.

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Auch im urbanen Raum?

Stegner: Gerade im urbanen Raum!  Ein großes Thema in Städten ist die Gewinnung von zusätzlichem Wohnraum. In diesem Zusammenhang macht insbesondere das Aufstocken von bestehenden Gebäuden auf Basis von Holz Sinn, da es schlicht und einfach leichter ist als eine Stahlkonstruktion. Außerdem stellt sich in Städten die praktische Frage nach der Bauzeit. Die ganzen Maschinen, Kräne und Baumaterialen auf den Baustellen stören doch erheblich im verdichteten städtischen Umfeld. Dank der modularen Fertigung gewährleistet Holz schnelle Bauzeiten.

Gallenberger: Exakt. Wenn man die verschiedenen Bauformen mit Holz mischt, könnte dank der heute bereits vorhandenen Techniken in kürzerer Zeit wesentlich mehr Wohnraum für alle zur Verfügung gestellt und zusätzlich die Preisspirale gebremst werden. Wegen der Knappheit im urbanen Lebensraum sollte der Holzbau in Zukunft eine viel größere Rolle im städtischen Wohnungsbau spielen.

Neuss: Die fortschreitende  Digitalisierung hat im Holzbau Maschinen, Tools und Softwares hervorgebracht, die einen hohen Vorfertigungsgrad ermöglichen und dank des hohen Automatisierungsgrades für große Effizienz in der  Produktion, Konstruktion und Montage sorgen. Diese Qualität und Präzision, die im konventionellen Bau nicht zu finden sind, führen zu eben jenen schnellen Bauzeiten. Außerdem haben die bereits erwähnten technischen Innovationen wie CLT den mehrgeschossigen Holzbau in bis dahin ungeahnte Dimensionen realisierbar gemacht.

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Gerade die  Digitalisierung  wird  also  für einen richtigen Aufschwung im urbanen Holzbauen sorgen. Auch weil sie die integrale Planung, Ausführung und Bewirtschaftung von Gebäuden unter Einbeziehung aller Baubeteiligten gewährleistet. Wie sieht ein möglichst reibungsloser BIM-Ablauf im Holzbau heute schon aus?

Gallenberger: Wegen des hohen Vorfertigungsgrades ist Holz ein besonderer Rohstoff, bei dem schon am Anfang des Prozesses die Weichen richtig  zu  stellen sind. Je später Fehler in der Prozesskette bemerkt werden,  desto  teurer  wird  es,  diese auszugleichen. Um die hohen Qualitätsstandards erfüllen zu können, ist der BIM-Ablauf im Holzbau heute schon von Anfang an digitalisiert und automatisiert. Durch die gemeinsame Kollaborationslösung profitieren alle Beteiligten vom Planer über den Architekten und den Statiker bis hin zum Bauherrn. Bei Graphisoft, Frilo und Sema bieten wir Lösungen, die eben diesen digitalen Austausch über die unterschiedlichen Disziplinen hinweg ermöglichen.

Neuss: Dank der digitalen Lösungen ist  gerade im Holzbau der BIM-Prozess weit ausgereift. Bereits heute findet ein bilateraler Datenaustausch zwischen unseren optimal abgestimmten Software-Tools im Sinne der BIM-Philosophie statt. So wird eine effiziente und präzise Prozesskette im Holzbau vom Design bis hin zur Bauteilfertigung geschlossen.

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Wie setzt sich der Workflow zwischen Graphisoft, Frilo und Sema konkret zusammen?

Stegner: Zunächst wird mit unserer Software- Lösung Archicad ein Architekturmodell entworfen. Von Archicad wird das designte Modell anschließend an die Frilo Software zur Tragwerksanalyse und -detaillierung über- geben. Möglich ist auch, das Architekturmodell zunächst in die Sema Software zur Erstellung einer ersten konstruktiven Entwurfsplanung zu importieren und erst im Anschluss die Bauteile an die Frilo-Programme zu transferieren.

Gallenberger: Mit unserer Frilo-Software stellen wir sicher, dass das Modell, das Graphisoft eingefallen ist, nachher nicht einfällt. Wir sorgen dafür, dass die Tragfähigkeit des besonderen Baustoffes Holz zur Geltung kommt. Dabei berechnen wir die Statik auch unter Berücksichtigung von standortspezifischen Einwirkungen. Die einzelnen Bauteile werden bemessen und die statisch ermittelten Parameter an Sema weiter- oder zurückgegeben.

Neuss: Sema  ist  der  konstruktive  Teil  in der Prozesskette. Wenn  von  Archicad  heraus vom User definierte parametrische Konstruktionsvarianten im Sema-Programm angesprochen werden, werden diese automatisch an die aktuelle Situation angepasst. Sind die Detailplanung und Elementierung in Sema sowie die statische Analyse in Frilo erledigt, kann das Modell zur finalen Visualisierung an Archicad übergeben werden. Die Prozesskette reduziert sich also auf den stark automatisierten, bidirektionalen Datenfluss zwischen den drei Partner-Softwares. Der Workflow verkörpert den BIM- Gedanken par excellence.

Das Interview führte Tim Kullmann


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