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Großroboter für die flexible Vorfertigung vor Ort

Bauen der Zukunft
Großroboter für die flexible Vorfertigung vor Ort

An der Universität Stuttgart werden derzeit vier neue Großroboter für die automatisierte Herstellung von Holz- und Faserbauelementen erprobt. Die Anlagen sind ein Meilenstein für die Erforschung der mobilen, flexiblen Vorfertigung und sollen das Bauen der Zukunft nachhaltiger und effizienter machen.

In einer schmucklosen Fabrikhalle in Neustadt-Hohenacker bei Waiblingen entsteht derzeit die weltweit erste Gesamtplattform für cyber-physikalisches Bauen: das Large-Scale Construction Robotics Laboratory, kurz LCRL – ein Großraum-Robotiklabor und Flaggschiff des Exzellenzclusters »Integratives computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur« (IntCDC) der Universität Stuttgart.

Kernstück des Labs sind vier containerbasierte Roboter-Plattformen, von denen zunächst zwei für die mobile, flexible Vorfertigung von Holz- und zwei für Faserbauteile ausgelegt sind. Zukünftig sollen sie auch gemeinsam als rekonfigurierbare, digitale Baufertigungseinheit genutzt werden können.

Beachtliches Arsenal an Werkzeugen

Gleich im Eingangsbereich der Fabrikhalle gleitet ein tonnenschwerer Roboterarm entlang einer über 10 m langen Linearachse, senkt langsam den Kopf zu einem Holzteil herab und fräst daraus ein Kassettenelement für einen Holzpavillon. „Der kann auch schneller, bis zu zwei Meter pro Sekunde“, sagt Hans Jakob Wagner, Doktorand am IntCDC. Und er kann auch kooperativ: Wenige Meter weiter ist auf einer parallelen Achse ein Zwillingsroboter montiert, beide können ein Bauteil gemeinsam bearbeiten.

Die hohe Steifigkeit ermöglicht sowohl additive als auch subtraktive Fabrikationsschritte mit höchster Präzision und das Arsenal an Werkzeugen, über das die Roboter verfügen, ist beachtlich: Fräs- und Sägespindel, verschiedene Greifer, Nagelpistolen, Schraubautomaten, Klebstoffapplikatoren wie auch zahlreiche Kamera- und Sensorsysteme. „Dadurch können wir eine Vielzahl unterschiedlicher Arbeitsschritte durchführen“, sagt Postdoc Dr. Felix Amtsberg, der die Holzplattform koordiniert.

Mega-Wickler für Faserverbundteile

Ähnliche Dimensionen gelten für die Faserplattform ein paar Meter weiter, auf der in Harz getränkte Carbonfasern zu transparenten Leichtbauelementen gewickelt werden. Auch diese Anlage besteht aus zwei Roboterarmen, die an der Achse eines 4 x 10,5 m großen Bauraums entlangfahren und miteinander kooperieren können. Dies ermöglicht es, weitaus größere und komplexere Strukturen anzufertigen als bisher.

„10-Meter-Träger sind locker machbar, ebenso weitgespannte Strukturen“, sagt IntCDC-Doktorand Christoph Zechmeister, der gemeinsam mit Forschenden der Institute für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen (ISW) und für Flugzeugbau (IFB) die Fertigung neuartiger, extrem leichter, leistungsfähiger und materialeffzienter Faserverbundgroßbauteile untersucht.

Robotisch gewickeltes Naturfaser-Gebäude

Robotische Vorfertigung auf der Baustelle

Beide Anlagen lassen sich schnell umprogrammieren, die Werkzeuge im Handumdrehen wechseln. Zudem können sie in einem normalen Überseecontainer und mit Standardtransporten zu Fertigungsbetrieben oder direkt auf die Baustelle gebracht werden, vor Ort sind nur ein Strom- und ein Druckluftanschluss erforderlich.

Die robotische Vorfertigung nahe oder auf der Baustelle ist ein Novum – und eine wichtige Voraussetzung für mehr Effizienz im Bauwesen. „Architektur unterscheidet sich grundsätzlich von anderen Produktionsbereichen, weil hier letztendlich immer Einzelstücke mit projektspezifischen Anforderungen entstehen. Einer Automatisierung, die schon aus Produktivitätsgründen und wegen dem erheblichen Fachkräftemangel auch am Bau dringend erforderlich wäre, steht dies zunächst einmal entgegen“, erklärt Prof. Achim Menges, der Direktor des IntCDC.

Einen Ausweg aus diesem Dilemma sucht die Branche bisher in standardisierten Bauteilen, wie sie in ihrer Extremform aus dem Plattenbau bekannt sind. „Der Modulbau führt häufig zu Monotonie und mangelnder Passgenauigkeit gerade im urbanen Kontext und wird dem grundsätzlichen Anspruch, dass jedes Gebäude seinem soziokulturellen Umfeld und geographischen Standort angepasst sein sollte, nicht gerecht“, sagt Menges. Zudem produziere der Transport von Bauteilen auf der Straße Abgas- und Lärmemissionen und begrenze die mögliche Größe der Bauteile. „Daher modularisieren wir nicht das Bausystem, sondern die Vorfertigungsfabrik, indem wir diese rekonfiguierbar und transportabel machen.“

Programmierung erfordert Übersetzung

Eine Herausforderung besteht allerdings darin, dass die in der Architektur gebräuchlichen Entwurfswerkzeuge und Industrieroboter nicht dieselbe Sprache sprechen. Um die Roboter programmieren zu können, müssen die Beschreibungen der Architekten daher in Datenmodelle übersetzt werden. Hierfür sei Interdisziplinarität gefragt, erklärt Prof. Alexander Verl, Leiter des Instituts für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen (ISW) der Universität Stuttgart. „Wenn der Entwurf zum Beispiel an einer Stelle eine Vertiefung vorsieht, dann müssen wir eine Bahn programmieren und genau parametrieren, wieviel Material der Roboter abtragen soll, in welcher Form und wie oft.“

Die Crux dabei: Die »neue Architektur« mit ihren ausdifferenzierten und komplexen Baukörpern kennt keine Gleichteile, da jedes Element genau an seine spezifischen Anforderungen angepasst ist, um möglichst leicht und ressourcensparend zu sein. Jedes Kastenbauteil einer Holzkonstruktion, jedes Faserelement einer Tragstruktur hat eine andere Geometrie. „Unsere Maxime ist es, dass die Hardware gleichbleibt und die Anpassung an die unterschiedlichen Bauformen durch Umprogrammierung eines digitalen Zwillings erfolgt – und das in einem hochkomplexen Steuerungs- und Regelungsumfeld“, sagt Verl. Dabei sei nicht nur künstliche, sondern vor allem auch menschliche Intelligenz gefragt. „Wir müssen deterministisch überlegen, was genau gebraucht wird und in welcher Stellung des Roboters ein Arbeitsschritt sinnvoll ausgeführt werden kann.“

Mobile Roboter für die Baustelle

Zusammenspiel von Mensch und Maschine

Trotz aller Automatisierung: Im Produktionsprozess sollen nicht Menschen durch die Maschine ersetzt werden. Es geht vielmehr um neuartige Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Digital- und Handwerk. „Ein erheblicher Teil unserer Forschung im Exzellenzcluster befasst sich daher mit neuen Formen der Mensch-Maschine-Interaktion“, erklärt Achim Menges. Zum Einsatz kommen dabei zum einen Methoden der Augmented und Mixed Reality, sei es visuell durch das Visualisierungsinstitut VISUS der Universität Stuttgart, oder sei es durch haptische Ansätze, die Dr. Katherine Kuchenbecker vom Max Planck Institut für Intelligente Systeme vorantreibt. Zum anderen setzen die Forschenden auf die bereits angesprochenen digitalen Zwillinge, mit denen man durchspielen kann, wie ein Mensch mit den Robotern in verschiedenen Situationen interagiert. „Letztendlich geht es darum, die spezifischen Skills des Roboters und des Menschen auf zielführende Weise zusammenzubringen“, so Menges.

Plattform wird zum Kernstück des künftigen Clustergebäudes

Die neuen Roboterplattformen ergänzen den schon bisher beeindruckenden Gerätepark des Large-Scale Construction Robotics Laboratory, zu dem unter anderem auch zwei Spinnen- und ein Turmkran zur Erforschung der robotischen Kranführung sowie Anlagen für die Betonforschung gehören. Bald soll auch ein autonomes Vehikel zum Lab hinzukommen, das die Werkstücke von Plattform zu Plattform transportiert.

Neustadt-Hohenacker wird nicht der endgültige Standort der Roboterplattformen sein: Bis 2025 soll das LCRL in das neue Clustergebäude auf dem Campus Vaihingen der Universität Stuttgart umziehen. Das Labor wird dort als zentrale Plattform fungieren, die die drei Hauptziele des IntCDC vereint: die Erforschung integrativer und digitaler Planungs- und Ingenieursmethoden, die Entwicklung neuartiger Verfahren für die cyber-physische Vorfertigung und das robotergestützte Bauen vor Ort und die damit verbundene Entstehung intelligenter und nachhaltiger Bausysteme.

Die neuen Roboter sollen dabei zunächst beim Bau des Demonstratorgebäudes eingesetzt werden und dann als Forschungsinfrastruktur darin ihren Platz finden, so Menges. „Das IntCDC-Gebäude wird der gebaute Beweis sein, dass Co-Design, also die digitale Vernetzung von Planungsmethoden, Bauprozessen und Bausystemen, funktioniert und attraktivere wie auch nachhaltigere Gebäude ermöglicht.“


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