Das Phänomen Coworking ist aus den Metropolen dieser Welt mittlerweile nicht mehr wegzudenken. Doch auch jenseits der urbanen Ballungsräume entwickelt sich Coworking zum Trend – das zeigt eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung.
Gabriele Benitz, md Interior | Design | Architecture | vs
Coworking-Spaces bieten einige Vorteile gegenüber dem Homeoffice – etwa mehr soziale Kontakte, klarere Grenzen zwischen beruflichen und privaten Aktivitäten oder kaum Ablenkungen durch Familienmitglieder. Außerdem ist dort in der Regel eine bessere technische Infrastruktur vorhanden.
Beim Homeoffice auf dem Land kommt als weiterer Vorteil noch die Nähe zur Natur hinzu. Auf dem Land ist es ruhiger, der Erholungswert höher. „Workation“ nennt sich das mobile Arbeiten an touristischen Hotspots, das Arbeit und Freizeit verbinden. Und: Menschen, die üblicherweise aus der „Provinz“ jeden Arbeitstag ins Büro am Unternehmensstandort fahren, können Coworking-Räume in der Nähe des eigenen Wohnorts nutzen – und sparen so kostbare Zeit und Energie.
Breit gefächerte Geschäftsmodelle
Für die Studie „Coworking im ländlichen Raum“ der Bertelsmann Stiftung haben die Genossenschaft „CoworkLand“ und das Netzwerk „Zukunftsorte“ über 200 Tiefeninterviews mit Nutzern sowie Gründern von Coworking-Orten bundesweit geführt. Und die Studie zeigt: Von Anbieterseite gibt es breit gefächerte Geschäftsmodelle.
Coworking-Einrichtungen auf dem Land finden sich beispielsweise an beliebten Pendlerrouten, auf abgelegenen Landgütern, in leerstehenden Ladenlokalen in der Kleinstadt, inmitten beliebter Urlaubsregionen oder auf einem Bauernhof am Dorfrand.
Als „Pendlerhäfen“ werden beispielsweise Coworking Spaces bezeichnet, die entlang frequentierter Verkehrsstrecken liegen – wie etwa das „Ammersee Denkerhaus“ in Dießen bei München. Sogenannte „Retreats“ bieten zusätzlich zum Cowork-Arbeitsplatz auch einen Hotelbetrieb an. „Bottom Hubs“ sind eher kleine Coworking-Spaces mit wenig Fluktuation, die wie Bürogemeinschaften funktionieren.
Und natürlich gibt es auch beim Coworking auf dem Land den „Klassiker“ im Sinne des Metropolen-Modells, mit vielfältig nutzbaren Räumen, einer produktiven Arbeitsatmosphäre und dem Community-Gedanken.
Coworking als Netzwerk
Die Entwicklung eines tragfähigen Geschäftsmodells ist allerdings eine große Herausforderung – das zeigt die Bertelsmann-Studie ebenfalls. Anders als in den Ballungsgebieten ist deshalb das Agieren in lokalen Netzwerken aus Sicht vieler Befragter ein wichtiger Erfolgsfaktor, zumal es im ländlichen Raum noch keinen entwickelten Markt für die neuen Angebote gibt.
Die Zielgruppen, die Coworking auf dem Land nutzen, sind weitaus heterogener als in den Städten. Zum einen nutzen zunehmend nicht nur Selbstständige und Freelancer die neuen Arbeitsorte, sondern auch Angestellte. Zum anderen stammen die Nutzer aus sehr diversen Branchen und bilden damit die ganze Breite der Gesellschaft ab.
„Coworking auf dem Land bedeutet eine sehr viel größere Integrationskraft als in der Stadt. Es wird von all jenen nachgefragt, die ein Bedürfnis nach Gemeinschaft haben und sich ihren Arbeitsort frei auswählen können”, sagt Ulrich Bähr, Geschäftsführer von CoworkLand.
Gelungene Beispiele
Zu den gelungenen Beispielen für Coworking auf dem Land zählt das Projekt Coconat. Das Wort steht für Gemeinschaft und konzentriertes Arbeiten in der Natur (community and concentrated work in nature). Auf der Website des Anbieters im brandenburgischen Bad Belzig liest sich das so: „Wir sind ein wirkungsorientiertes Unternehmen. Positive gesellschaftliche Effekte haben für uns grundsätzlich einen höheren Stellenwert als Gewinnmaximierung. Ländliche Entwicklung fördern wir durch unser innovatives Tourismusmodell, das Workaktion, Coworking und Coliving vereint.“ Das Ziel ist ein inklusives und inspirierendes Umfeld für alle Menschen.
Ähnlich funktioniert der Hammerhof im fränkischen Neuhof an der Zenn. Michael O. Schmutzer, Gründer von Design Offices, einem Anbieter von Corporate-Coworking-Spaces, initiierte das Projekt im vorherigen Gasthaus der Familie Hammer. Heute ist die ehemalige Poststation aus dem 18. Jahrhundert und das daraus entstandene Gasthaus eine Offsite-Location mit Macherscheune, Gaststube und Eventküche. Das gesamte Areal mit Garten, Amphitheater, Schuppen und Outdoor-Arbeitsplätzen lädt zu vielfältigen Erlebnissen und Entdeckungen ein.
Beitrag zum Strukturwandel
Diese und weitere Projekte tragen zu einer größeren gesellschaftlichen Entwicklung bei. „Wir sind davon überzeugt, dass Coworking auf dem Land das Zeug zum Massenphänomen hat und für einen wirksamen Strukturwandel sorgen kann – vor allem, wenn sich auch festangestellte Pendler zunehmend dafür gewinnen lassen. In dieser Zielgruppe liegt noch ein großes, fast unberührtes Potenzial“, erläutert Bähr.
Und Alexandra Schmied, Studienleiterin und Projektmanagerin bei der Bertelsmann Stiftung, ergänzt: „Ländliche Regionen, die unter Abwanderung und Überalterung leiden, lassen sich durch den Zuzug junger Familien und die Modernisierung der Infrastruktur neu beleben.“
Auch die Unternehmen profitierten von einem größeren Einzugsgebiet für Fachkräfte. Nicht zuletzt könne Coworking eine Triebkraft für den Wandel hin zu einer nachhaltigen, klimafreundlichen und modernen Wirtschaftswelt sein.
Netzwerk CoWorkLand
Seit 2019 organisieren sich eine Reihe von Coworking Spaces, die außerhalb der Städte liegen, in dem Netzwerk CoWorkLand. Dieses hat gemeinsam mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft jüngst einen Leitfaden herausgebracht, wie Coworking auf dem Land gelingt und was es dafür braucht.
Der neue Leitfaden erklärt aber nicht nur die flexiblen Nutzungsmöglichkeiten, sondern gibt Ratschläge für die Gründung eines Coworking-Space, erklärt die Bedeutung des Community-Gedankens, die den eigentlichen Mehrwert über eine reine Bürogemeinschaft ausmacht.
zur Studie Coworking im ländlichen Raum der Bertelsmann Stiftung »
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