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Purismus mit Emotionen

Spielbudenplatz in Hamburg
Purismus mit Emotionen

Als sündige Meile und Geburtsort der Beatles haben St. Pauli und die Hamburger Reeperbahn weltweiten Kultstatus. Ein eigenwilliger Mix aus Rotlichtviertel, alternativen und traditionellen Kultureinrichtungen, modernem Wohnen und Arbeiten prägt den pulsierenden Stadtteil.

Mehr als zwanzig Jahre lag der Spielbudenplatz als Mittelpunkt dieses Schmelztiegels brach. Nach dem Abriss der in den sechziger Jahren hier errichteten Glaspavillons verkam der bereits Ende des 18. Jahrhunderts entstandene Vergnügungsplatz zu einem städtebaulichen Schandfleck. Seit jeher Ort der Identifikation des Stadtteils, wurde seine Neugestaltung zum Gegenstand langjähriger kontroverser Diskussionen.
Im Dezember 2004 erhielten die Berliner Landschaftsarchitekten Lützow 7 und die Hamburger Architekten Spengler Wiescholek den Zuschlag für ihren Gemeinschaftsentwurf, den sie zuvor zu einem international ausgelobten Realisierungswettbewerb eingereicht hatten.
Wandelbar
Als multifunktionale Veranstaltungsfläche macht der Spielbudenplatz den Wandel des Stadtteils zur Bühne erfahrbar und verleiht urbanem Erleben ein neues Gesicht. Zwei mobile, rundum mit Spiralgewebe aus Edelstahl umhüllte, streng geometrisch geformte Bühnen stehen sich an den Kopfseiten des 300 Meter langen Platzes gegenüber.
Auf Schienen verschiebbar, nehmen sie je nach Bedarf jede beliebige Position bis hin zur Bildung eines geschlossenen Raumkörpers ein. Durch diese Wandelbarkeit dienen sie mit unterschiedlichen Raumgrößen und Raumerlebnissen als Plattform für ein breites Spektrum an kulturellen Veranstaltungen und Events. Zugleich sind sie trotz ihrer Beweglichkeit als dauerhafte Wahrzeichen des Platzes installiert.
210 Meter lange Schienen verbinden die je 16 Meter langen, 16 m breiten und zehn Meter hohen Bühnen miteinander. Je vier Dieselmotoren bewegen die 55 Tonnen schweren Stahlbauten im Schritttempo. In die Felder der kantigen, klammerförmigen Stahlrahmenkonstruktion wurden Glasfelder mit dahinter liegenden LED-Körpern im Rastermaß von 0,5 Meter eingelassen. Mit 7 cm Abstand zum Glas wurde das Edelstahlspiralgewebe vom Typ Escale als optisch nahtlose Verkleidung von Außenwänden, Bühnenrückwand, Decke und Sockel gespannt. 1 250 Quadratmeter Escale 7×1 und Escale 8×2 bilden so eine weithin sichtbare schimmernde Hülle.
Robuste Lichtmembran
Die Wahl des Spiralgewebes der GKD – Gebr. Kufferath AG erfolgte vor dem Hintergrund anspruchsvoller ästhetischer und funktionaler Vorgaben. Die Hightech-Anmutung des Materials gab offenbar den ersten Anstoß für den Einsatz. Transparenz und Reflexion der textilen Struktur macht die Bühnenhülle zur Lichtmembran, die – bei Tageslicht und LED-Lichtgestaltung gleichermaßen – die statische Konstruktion der Bühnenwände auflöst und emotionalisiert. Robuste Widerstandskraft bei Vandalismus, sicherer Schutz der Glasfassade, Pflegeleichtigkeit, Lebensdauer und Recyclingfähigkeit des Materials überzeugten als funktionale Eigenschaften.
Die Spielbuden stellten einige besondere Herausforderungen an die Metallweber: Um die normalerweise bei seitlicher Konfektionierung übliche Zackenlinie zu vermeiden, wurden die einzelnen Gewebeelemente im so genannten „Palme-Tanne-Prinzip“ mit abwechselnd nach oben und unten verlaufenden Zacken gefertigt. Die abstrahierte Palmen- und Tannenform bewirkt die Verzahnung der benachbarten Gewebekanten, wodurch die Fuge optisch unauffälliger wird.
Massive Kabel für die Stromversorgung der mobilen Bühnen von außen mussten durch die Gewebehülle angeschlossen werden. Türen und Klappen, die zu dem für die auftretenden Künstler notwendigen Backstage-Bereich führen, galt es, Tapetentüren gleich, fugenlos aus Escalegewebe einzupassen.
Montagetechnisch war der horizontale Über-Kopf-Einbau der zwölf Meter langen, vier Meter breiten und 430 Kilogramm schweren Deckenelemente ein Kraftakt der besonderen Art: Die durch das Eigengewicht der Gewebebahnen entstehende Durchhängung erzeugte eine derart große Spannung im Gewebe, dass eine nachträgliche Justierung verschobener Spiralen nur unter großem Aufwand möglich war.
Um die puristische Form der Bühnen zu unterstreichen, lautete die Vorgabe, dem Baukörper optisch möglichst scharfe Kanten zu geben. Augenschrauben oder Spannfedern hätten diese Prägnanz in der Wahrnehmung gestört. Durch in das Gewebe eingeschobene Flachprofile, auf Spannböcken hinter dem Gewebe aufgeschraubt, wurde dies technisch und optisch elegant gelöst. Auch die Zwischenbefestigungen der Gewebeelemente erfolgten über nach hinten verschraubte, eingeschobene Flachprofile. Die hinter der milchigen Verglasung installierten 2 560 LED-Punkte lösen nachts durch dynamische Lichtgestaltung die konstruktive Geschlossenheit der Bühnen auf und setzen einen atmosphärischen Kontrapunkt zu den kommerziellen Leuchtreklamen der Umgebung.
Die Bänder der Edelstahlspiralen unterstützen die Wirkung durch subtile Spiegelungs- und Lichtbrechungseffekte.
Paradigmenwechsel
In nur sechzehn Monaten von der ersten Projektberatung bis zur offiziellen Einweihung im Juni 2006 entstanden so medialisierte, mobile Bühnenskulpturen, die einen Paradigmenwechsel im Bewusstsein von Stadtplanern und Gestaltern zeigen.
Mit neuen gestalterischen Werten wie Transparenz, Offenheit und Modularität folgt Hamburg der Tendenz, überlieferte städtische Strukturen in artikulierte Individualität zu wandeln.
So reflektiert der Spielbudenplatz in seiner neuen Erscheinungsform die gesellschaftlichen Prozesse, wird zum Interface des gestalteten Raums und der Umwelt.
Durch diese Besinnung auf die identitätsstiftende Rolle städtebaulicher Planung hat St. Pauli seinen leuchtenden Mittelpunkt und Hamburg eine neue Visitenkarte erhalten.
Weitere Informationen
Edelstahlgewebe bba 530
Architektur Entwurf: Landschaftsarchitekten Lüt- zow 7, Berlin, und Architekten Spengler Wiescholek, Hamburg
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