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Freigelegt und aufgewertet

Sanierung und Umnutzung einer Klinik zum Institutsgebäude in Tübingen
Freigelegt und aufgewertet

Große Gebäude, zumal unter Denkmalschutz, werden leider oft zu rasch als lästiges Problem abgewertet – vor allem und meist dann, wenn die aktuelle Nutzung nicht mehr besteht. Wie nutzt man die großen Flächen weiter? Auf welche verborgene Bausubstanz trifft man? Ein gelungenes Beispiel wurde im Frühjahr 2012 seiner neuen Nutzung übergeben: Die Alte Frauenklinik in Tübingen. Kister scheithauer gross Architekten aus Köln gelang hier eine sanfte und moderne Neuausrichtung.

Dipl. Ing. Marc Nagel | jo

Denkmalschutz – manchmal hat man den Eindruck, dass dieses Wort mehr Bedenken und Ängste als positive Assoziationen auslöst. Dabei darf man bei all den Bauaufgaben rund um denkmalgeschützte Häuser nicht vergessen, dass manches Schmuckstück heute nicht mehr oder zumindest nicht mehr in der originalen Qualität bestehen würde, gäbe es diese Regelung in Deutschland nicht. Erinnert sei nur an die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, als zwischen Garmisch und Flensburg so manches baugeschichtlich wichtige Gebäude fallen musste, statt erhalten zu werden – ob Kronprinzenbau und Kaufhaus Schocken in Stuttgart oder weite Teile der Altstadt in Frankfurt, wo jetzt erneut ein zu hinterfragendes Projekt stattfindet. Wie man es auch wendet: Der Denkmalschutz dient der Baukultur, sofern er ernst genommen wird und mit Verstand ausgeführt wird.
Wie Planer, Bauherr, zukünftige Nutzer und Denkmalschutz gemeinsam zu einem sehr zufriedenstellenden Ergebnis kommen können, zeigt die Alte Frauenklinik in Tübingen. Die ehemals zur Uni-Klinik gehörende, klassizistisch-historistische Anlage wurde seit 2002 nicht mehr genutzt und ist nun einer neuen Funktion zugeführt worden.
Nach wie vor ein vertrautes Bild
Wo ehemals Kinder zur Welt kamen, finden sich heute zwei Einrichtungen unter einem Dach. Das Psychologische Institut der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät und das Leibniz-Institut für Wissensmedien nutzen nun gemeinsam die rund 15 400 m2 Bruttogeschossfläche, wobei auf das Leibniz-Institut rund 6 300 m2 entfallen (inklusive ehemaliger Direktoren-Villa). Für beide Nutzer von wesentlichem Vorteil: Mitten in der Tübinger Innenstadt und in direkter Nähe zu weiteren universitären Einrichtungen profitieren sie vom neuen Standort. Vor allem das Leibniz-Institut für Wissensmedien konnte sich dabei mit dem Umzug von der Tübinger Südstadt in die Alte Frauenklinik wesentlich verbessern. So befinden sich in direkter Nachbarschaft ebenfalls historische Gebäude, die von Instituten der Universität und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen genutzt werden.
Die verantwortlichen Architekten von kister scheithauer gross (ksg) stiegen bei diesem Projekt zur Leistungsphase 1 ein. Sie übernahmen die Vorplanung vom Bauherren, dem Tübinger Amt des Landesbetriebs Vermögen und Bau Baden-Württemberg. Im April 2007 konnten sie mit der Umsetzung beginnen, für das eine Gesamtinvestition von 19 Millionen Euro veranschlagt war. Die 15 400 m2 Bruttogeschossfläche wurde dabei auf den historischen Hauptbau, einen Anbau aus dem Jahr 1911 sowie den neuen Anbau mit 2 500 m2 Fläche verteilt.
Gute Substanz als solide Grundlage
Aus den Vorplanungen und der Analyse des Gebäudes ging hervor, dass die Bausubstanz sehr solide war. Zudem konnten die Planer bei der Umsetzung einige schöne Details freilegen. Allen voran ist hier der elegante und in einem sehr guten Zustand befindliche Boden im Eingangsbereich zu nennen, den man saniert, teilweise ergänzt und rundum aufgerichtet hat. Da es sich beim ornamentalen Fliesenboden um kein Standardprodukt handelte, arbeiteten die Planer von ksg eng mit den Handwerkern zusammen. So auch bei den Böden in den Fluren, bei denen nach dem Entfernen der dort verlegten PVC-Böden im Erdgeschoss und im ersten Geschoss pflegeleichte und sehr gut erhaltene Terrazzo-Böden zum Vorschein kamen, die man komplett freilegte, von Resten des alten Bodens befreite und ebenfalls aufrichtete. Wo dies nicht möglich war, setzen die Planer einen farblich an das rötliche Terrazzo angepasste Linoleum-Boden des Typs Marmorette LPX von Armstrong DLW ein.
Auch die Innenputze, Friese und Säulen wurden sorgfältig aufgearbeitet und nach den Vorgaben von Planern und Denkmalschützern bearbeitet. Bei den Fenstern arbeiteten die Denkmalschützer des Regierungspräsidiums Tübingen mit Planern und Handwerkern ebenfalls Hand in Hand. Die Braband Fensterbau GmbH rekonstruierte die Fensterrahmen im Bau von 1899 und stattete diese mit einer der energetisch optimierten Verglasung Thermoplus S3 (Flachglas Markenkreis) von Glas Wiedmann aus.
Die verwendeten Profile IV 68 wurden vom Unternehmen Braband selbst hergestellt und aus Red Meranti-Holz gefertigt. Von diesem Unternehmen wurden auch die Fenster im Neubau geliefert, die wie die Fenster des Altbaus eigens angefertigt wurden. Alle Fenster im Anbau von 1911 konnten erhalten bleiben beziehungsweise wurden aufgearbeitet. Neben den Fenstern wurden zudem die Türen überarbeitet. Teilweise standen Türrahmen im Innern, rund 30 Stück, unter Denkmalschutz. Hier brachte die Firma H. Schmid Fensterbau aus Tübingen ihr Fachwissen ein und restaurierte die weiß lackierten Türen. Ebenso wurde die Eingangstüre aus Holz von diesem Unternehmen restauriert. Dies gelang so gut, dass man auf den ersten Blick den Eindruck gewinnen könnte, man habe neue, sprich rekonstruierte Türrahmen und Türen verwendet.
Neuer Glanz – außen wie innen
Mit all diesen Maßnahmen gelang es, den Bau zu einem echten Schmuckstück aufzuwerten und die ehemalige Frauenklinik, die in den letzten Jahren ihrer Nutzung sehr große Mängel aufwies, wieder mit neuem Leben zu füllen. Dass neben der Aufwertung der Innenräume auch eine Erweiterung der Grundfläche durch den Anbau, der sich bei Geschosshöhen, Raumvolumen und Materialität an den historischen Hauptbau anpasst, erreicht wurde, macht den Umbau zusätzlich funktionaler.
Auch der Umgang mit der Außenfassade zeigt, dass man Wert auf die Details legte. Sowohl die Klinkerfassade beim Hauptbau, die Natursteinsockel sowie die Putzfassaden wurden gereinigt und, wo notwendig, saniert. Beim Anbau setze man eine moderne Formensprache so ein, dass sie zum Bestand passt. Das verwendete WDVS Thermo Classic von Sto wurde so verbaut, dass keine Fassadensprünge auftreten und ohne den Anbau als wärmegedämmten Neubau ersichtlich zu machen.
Zahlreiche Einzelschritte, mit denen Bauherr, Planer und Nutzer zeigen, dass man den Vorgaben des Denkmalschutzes durchaus folgen kann und trotzdem ein funktionales, zeitgemäßes und zudem repräsentatives Gebäude realisiert. Ein Gebäude, das zudem eine Geschichte zu erzählen hat und nicht wie so mancher Investorenbau unserer Zeit einfach nur eine tote Hülle ist.
Prof. Susanne Gross: „Obwohl das Projekt mit großem zeitlichen Druck und vielen Herausforderungen verbunden war, stand doch immer die Freude über die beeindruckend schönes Substanz im Vordergrund.”“
Architekten: kister scheithauer gross architekten und stadtplaner GmbH, Köln Verantwortliche Partnerin: Prof. Susanne Gross Projektleiter: Grzegorz Rybacki
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