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Am Menschen orientiert

Erweiterung und Sanierung der Diözese Rottenburg
Am Menschen orientiert

Die Sanierung eines historischen Ensembles mit einem Gebäude aus der Renaissance und einem aus dem Barock, gepaart mit der Erweiterung durch einen Neubau – viele Herausforderungen für ein einzelnes Bauprojekt. Dem Architekturbüro Lederer Ragnarsdóttir Oei aus Stuttgart gelang es, diese Aufgabe zu bewältigen und mit dem Neubau für die Diözese Rottenburg eine neue Raumqualität zu schaffen.

Dipl. Ing. Architekt Marc Nagel | jo

Betritt man den Eugen-Bolz-Platz in Rottenburg, bemerkt man, wie sehr diese Stadt Geschichte atmet. Immerhin leben hier bereits seit rund 7 000 Jahren Menschen. Nicht ganz so alt, jedoch trotzdem prägend für die Stadt ist das ehemalige Jesuitenkolleg, der große Renaissance-Bau der Bischöflichen Diözese Rottenburg-Stuttgart. Er dominiert den Platz und erstreckt sich bis in die Obere Gasse hinauf. Von hier konnte man bisher in den Hof zwischen ehemaligem Jesuitenkolleg und Rohrhalder Hof blicken. Ein Anblick, der erst in der Neuzeit möglich war. Denn zuvor hatten hier immer Gebäude gestanden und der Gasse auf diese Weise eine klare Kante gegeben. Ein Zustand, der nun dank des Archiv- und Büroneubaus wieder hergestellt wurde. Er bildet mit dem Bestand ein neues Ensemble.
Nötig waren die Sanierung des Bestands und der Neubau, da Bauschäden im alten Archiv, Schäden an den historischen Bauten und ein mangelhafter Brandschutz behoben und verbessert werden mussten. Mit einem Investitionsvolumen von insgesamt rund 39 Millionen Euro konnte die Situation deutlich verbessert werden. So verfügt das Ensemble nun über ein modernes Archiv und ausreichende, zeitgemäße Büroräume. Zudem konnte mit der Baumaßnahme eine Konzentration der über ganz Rottenburg verteilten Dienststellen der Diözese erfolgen. Von den bisher 19 Stellen sind acht am Standort Eugen-Bolz-Platz/Obere Gasse zusammengefasst worden.
Lücke geschlossen
Die etwas gestiegene Bausumme, kalkuliert waren 36,5 Millionen Euro, kam zustande, da neben dem Neubau mit seinen vier Geschossen und zwei Untergeschossen auch die Sanierung des Bestands erfolgte. Bei Jesuitenkolleg und Rohrhalder Hof traten dabei einige unvorhergesehene Baustellen auf. So mussten viele der vorhandenen Deckenbalken-Köpfe in der historischen Bausubstanz ausgetauscht werden, da diese marode waren. Trotzdem ist der Um- und Neubau in Rottenburg ein Beispiel dafür, dass Baukosten nicht aus dem Ruder laufen müssen und auch Zeitvorgaben eingehalten werden können.
Besser planbar als die Sanierung der Altbauten war der Neubau. Dieser steht zwar auf historischem Grund, weswegen auch archäologische Ausgrabungen durchgeführt wurden, doch waren zumindest die Schritte nach der Freigabe des Geländes schneller umsetzbar. Entstanden ist ein Neubau, der als moderner Archiv- und Bürobau das bischöfliche Gelände an der Oberen Gasse bereichert. Zwischen dem barocken Rohrhalder Hof und dem ehemaligen Jesuitenkolleg gelegen, bindet er diese Bauten zu einer Einheit und schließt eine Lücke. Ursprünglich stand hier die St. Joseph-Kirche, die im 18. Jahrhundert abgerissen wurde. Sie war die letzte Kirche in einer langen Folge, die hier ihren Platz fand. Dieses Vorbild der Bebauung nahmen die Architekten von Lederer Ragnarsdóttir und Oei auf und orientierten sich bei ihren Planungen am Stadtgrundriss aus dem Barock. Damit, so Arno Lederer, wollte man dem räumlichen Stückwerk begegnen, das der Abriss der Kirche St. Joseph hinterlassen hatte.
Ziegelsteine als Bekenntnis zur Nachhaltigkeit
Der neue Baukörper selbst erinnert auch mit dezenten Zitaten daran, dass sich hier einmal eine Kirche befunden hat. Ob die Südfassade oder die Balkone in der großen Eingangshalle, die wie Apsiden geformt sind, immer wieder tauchen diese Zitate auf. Der eigentliche Baukörper aber lebt von seiner Eigenständigkeit – auch aufgrund seiner Ziegelfassade.
Die Ziegel stehen dabei für einen nachhaltigen Gedanken bei der Planung und Umsetzung des Projekts. So wurden die Dachziegel des Renaissance-Baus abgedeckt und wieder verwendet. Die Fassade des Neubaus besteht nicht aus neu gebrannten Ziegeln, sondern aus einer lebendigen Mischung aus alten und aufgearbeiteten. Geliefert wurden die Ziegel vom Ziegelwerk Klaus Huber aus Leuben-Schleinitz, einem Spezialisten für Ziegel für denkmalgeschützte Gebäude, und vom Backstein Kontor. Gemeinsam mit den Planern entstand so eine lebendige Ziegelfassade, die als teilweises Recyclingprodukt auf das Thema Nachhaltigkeit hinweist. Nachhaltigkeit spielte insgesamt eine wesentliche Rolle, weshalb beispielsweise weitestgehend auf Kunststoffe verzichtet wurde und man mit Beton, Ziegel, Holz, Kupfer und Naturstein Materialien einsetzte, die gut wiederverwertet werden können.
Der Neubau bildet mit seinem an der Oberen Gasse gelegenen Teil ein neues Eingangsportal und begleitet die Straße bis zum Anschluss an das Jesuitenkolleg. So entsteht eine Mauer, die laut Arno Lederer der Straße wieder ihren ehemaligen Charakter verleihe. Vervollständigt wird der Neubau durch den langen Büroriegel im Norden. Er wurde weiß verputzt und folgt der ehemaligen Stadtmauer, die er so als Zitat mit in den Neubau hinein nimmt. Auf diese Weise wurde das Ensemble mit seinem Innenhof klar gefasst, miteinander verbunden und zur Straßenseite hin abgegrenzt.
Archiv, Büro und Veranstaltungsort
Betritt man den Neubau durch die Spitzbögen und die großen, mit Kupfer beschlagenen Türen, fühlt man sich trotz der Höhe des Raums nicht verloren. Die in den Luftraum hinein ragenden, apsidenförmigen Balkone geben dem Foyer eine angenehme Dimension. Dazu tragen auch die großen Einbauten bei, die links und rechts den Raum begrenzen. Sie bestehen aus Beton, der auf Basis von Weißzement der Firma Dyckerhoff hergestellt wurde. Diese Raummöbel stammen von der Georg Reisch GmbH & Co. KG und wurden im Werk in Bad Saulgau hergestellt. Die für den Guss notwendigen Holzschalungen stellte das Unternehmen in der eigenen Schreinerei her. Ebenso wurde der Beton im eigenen Mischwerk produziert.
Das Ergebnis sind glatte und in einem Guss erstellte Betonmöbel, die mit ihrer angenehmen Haptik zum Anfassen einladen. Die helle, gleichmäßige Färbung aufgrund des Weißzements fügt die Möbel gut in die von Weiß geprägte Eingangshalle ein und kontrastiert mit dem roten Boden. Bei diesem handelt es sich um einen Rosso Verona von der Lauster Steinbau GmbH. Dieser Marmor wurde verwendet, weil er, man mag es kaum glauben, günstiger war als manch anderer Naturstein wie etwa Solnhofener Platten. Zudem bringt er mit der roten Färbung ebenso Abwechslung in den Eingangsraum wie die Kupfertüren am Aufzug und die Handläufe aus Kupfer, die sich an den Treppen zum Büroriegel befinden.
Gekonnte Materialwahl und klare Aufteilung
Auch wenn der Marmorboden im Verhältnis günstig war, wurden nicht alle Böden mit ihm ausgestattet. Aus praktischen Gründen wählten die Planer für die Flure und Bürobereiche einen Linoleum Uni Walton im Farbton Pompeji Red von DLW Armstrong. Dieser unifarbene Boden ist strapazierfähig und als Bahnenware kostengünstig zu verlegen. Neben den Bürobereichen wurde der Boden auch auf den Emporen in der Eingangshalle verlegt, wo er mit seinem kräftigen Rotton gut mit den weißen Wänden und Brüstungen in Kontrast tritt. Belichtet werden dieser Bereiche ebenso wie die Halle größtenteils über die sechs großen, runden Lichtkuppeln im Dach. Diese stammen von Börner Lichtkuppeln, Hans Börner GmbH & Co. KG, und bestehen aus Acrylglas. Sie lassen ausreichend Licht ins Innere und machen den großen Eingangsbereich auch für den Einsatz als Veranstaltungsort geeignet.
Doch nicht nur das Foyer weiß zu überzeugen. Insgesamt ist die Erweiterung und Sanierung des Ordinariats in Rottenburg gelungen. Die neuen Räume sind hell und großzügig, das Archiv modern und der Eingangsbereich offen und freundlich. Aber auch Details wie das Freiräumen der Flure im historischen Renaissance-Bau und die Fortführung dieser „einseitigen“ Nutzung mit Flur auf der einen und Büros auf der anderen Seite zeigen, dass hier Bauherr und Planer gemeinsam an einem sehr guten Ergebnis interessiert waren. Vielleicht ist es der Kirche vorbehalten, nicht nach dem Prinzip planen und bauen zu müssen, indem jeder Quadratzentimeter optimal ausgenutzt wird. Vielmehr sind hier Neubau und sanierter Altbau am Menschen orientiert. Vielleicht ist es aber auch der Verdienst von Planern wie dem Büro Lederer Ragnarsdóttir Oei, die sich schon mehrfach durch eine durchdachte Planung ausgezeichnet haben. Wie die Antwort auch lautet: Nachahmung empfohlen.
Generalvikar Clemens Stroppel: „Dieses Gebäude steht für den Dienst der Diözese an den Menschen. Es dient keinem Selbstzweck, sondern bedeutet Selbstverpflichtung.“
Prof. Arno Lederer: „Die Stadt ist schon vorhanden, wir durften nur an ihr weiter bauen. Das Schöne an diesem Gebäude ist, dass man durch ein Tor muss, um die Schönheit zu erkennen. Der Blick ist dabei nicht verstellt, sondern der Ort ist an sich geschlossen.“
Architekten: LRO Lederer Ragnarsdóttir Oei GmbH & Co. KG, Architekten BDA / AI, Stuttgart
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