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Modernes sensibel eingefügt

Neubau von fünf Reihenhäusern in Quedlinburg
Modernes sensibel eingefügt

Mitten im Flächendenkmal und Weltkulturerbe der Altstadt von Quedlinburg wird eine Baulücke mit zeitgemäßen Reihenhäusern geschlossen. Die Gestaltung greift Assoziationen an die in der Stadt dominierende Fachwerkarchitektur auf, ohne diese jedoch nachzuahmen. Konsequent modern wurden Sonnenschutz, Wärmeschutz und Gebäudeheizung geplant.

Markus Hoeft

Städte schrumpfen – nicht nur in Ostdeutschland, aber dort in verstärktem Umfang. Die betroffenen Kommunen kämpfen mit überdimensionierter Infrastruktur und ungenutzten Wohn- oder Gewerbeimmobilien auch in innerstädtischen Lagen.
Besonders schmerzlich ist dieser Prozess, wenn er ein architektonisches Kleinod wie Quedlinburg in Sachsen-Anhalt trifft. Hier blieb auf etwa 90 Hektar eine komplette mittelalterliche Stadtstruktur mit Fachwerkhäusern aus acht Jahrhunderten erhalten, die die UNESCO als eines der größten Flächendenkmale Deutschlands in die Welterbeliste aufgenommen hat.
Funktionalen Stadtumbau aktiv gestalten
Doch auch Denkmalwert und Erbestatus schützen nicht vor den harten Fakten der Demografie. Quedlinburgs Einwohnerzahl sank von rund 28 000 im Jahr 1990 auf knapp 23 000 im Jahr 2005. Bis zum Jahr 2020 wird ein weiteres Absinken auf rund 18 000 Einwohner prognostiziert. Es besteht die Gefahr, dass der damit einhergehende Leerstand bei Wohnhäusern die Attraktivität der Altstadt beeinträchtigt und die Zahl der bisher noch zahlreich strömenden Touristen deutlich reduziert. Denn am Flächendenkmal der Altstadt interessieren eben nicht nur die ehrwürdigen Steine und Fachwerke, sondern die authentische Lebendigkeit der überlieferten urbanen Struktur.
Quedlinburg will den Schrumpfungsprozess nicht passiv hinnehmen, sondern als funktionalen Stadtumbau aktiv gestalten. Die Stadt beteiligt sich deshalb an der Internationalen Bauausstellung Stadtumbau Sachsen-Anhalt 2010. Der Kern des historischen Ensembles soll nicht dem Abriss und Verfall preisgegeben werden, sondern im Gegenteil mit gezielten Lückenschließungen wieder hergestellt bzw. erhalten werden, damit das Wohnen und Leben in der Innenstadt eine nachhaltig hohe Qualität für die Bürger erhält. Wenn dies gelingt, lassen sich Einwohner zum Bleiben und sogar neue Interessenten zum Zuzug in die historische Stadtmitte bewegen.
Flexible Raumskulptur
Eines der IBA-Projekte ist die Schließung einer Baulücke in der Schmalen Straße in unmittelbarer Nähe des Marktplatzes, deren Umfeld von historischer Fachwerkarchitektur geprägt ist.
Es bestand von Anfang an Konsens darüber, dass die Neubebauung sowohl in der Gebäudeansicht als auch in der Wohnqualität heutigen Werten und Vorstellungen folgen sollte. Die Baulücke wird deshalb in der Verantwortung des Bremer Architekten Andreas Schneider in Form von fünf Reihenhäusern geschlossen, von denen das erste im Jahr 2007 fertig gestellt wurde. Andreas Schneider hatte bereits 1998 an anderer Stelle der Altstadt eine moderne Ergänzung sensibel in die bestehende Struktur eingefügt und sich damit für das jetzige Vorhaben empfohlen. Für die Schmale Straße entwarf der Architekt einen auf junge Familien und zukunftsorientierte Ansprüche zugeschnittenen Haustyp, der flexibel auf variierende Bedürfnisse reagieren kann.
„Jedes Haus“, beschreibt Andreas Schneider die Idee, „funktioniert als Einfamilienhaus, das sich je nach Bedarf in Einheiten unterteilen lässt, die separat funktionieren. So kann eine Einheit z. B. als Einliegerwohnung genutzt werden, die das Wohnen von mehreren Generationen unter einem Dach ermöglicht. Es ist aber auch möglich, dass man durch die Einrichtung einer Büroeinheit Arbeiten und Wohnen unter einem Dach vereint.“
Ähnlich einer Raumskulptur bietet jedes Haus eine Abfolge von unterschiedlichen Raumgrößen und Raumqualitäten. Unterschiedlichen Nutzungen werden unterschiedliche Qualitäten wie Dimension, Belichtung und Offenheit zugeordnet. Aufenthaltsräume haben beispielsweise eine größere Fläche und erhalten dementsprechend auch höhere Raumhöhen von bis zu 3,60 m. Höhenversätze zwischen den einzelnen Ebenen werden durch Stufen verbunden und ermöglichen eine unterschiedliche Belichtung.
Dialektik von Tradition und Moderne
Grundgerüst für die individuelle Variation der Räume ist die Holzrahmenbauweise, kombiniert mit Holzbalkendecken. Lediglich beim ersten, bereits fertigen Gebäude mussten aus Brandschutzgründen einige Teile der Konstruktion massiv hergestellt werden. Die folgenden Reihenhäuser lassen sich wegen der geringeren Höhe komplett im Holzbau ausführen.
Die Ausführung illustriert anschaulich Andreas Schneiders Verständnis für den besonderen Ort: Mit dem Konstruktionswerkstoff Holz greifen die Neubauten wesentliche Prinzipien der benachbarten historischen Fachwerkhäuser auf, jedoch wird das Fachwerk nicht einfach nachgeahmt, sondern mit der Rahmenbauweise eigenständig und modern interpretiert.
Noch deutlicher als an der letztendlich „versteckten“ Konstruktion ist die Dialektik der Assoziation ohne Imitation den Fassaden abzulesen. Die Reihenhäuser erhalten eindeutig der heutigen Zeit zuzuordnende vorgehängte hinterlüftete Fassaden aus großformatigen Eternit Structura-Tafeln. Die Platten für das erste Gebäude wurden im einheitlichen Grundton Safrangelb (RAL 1017) an der Fassade montiert und erhielten erst dort mit deckenden Farben ihr prägnantes, Ton-in-Ton abgestimmtes Muster. Die Fassaden der weiteren Gebäude werden in gleicher Weise, jedoch innerhalb anderer Farbfamilien ausgeführt, je nach Bauherrenwunsch beispielsweise im roten, blauen oder grünen Bereich.
Entwurf und Ausführung des Gestaltungskonzepts übernahm die Bremer Künstlerin Edeltraut Rath. Sie orientierte sich bei Farbwahl und Muster am traditionellen Schottenrock. Ähnlich wie dessen Muster die Zugehörigkeit zu bestimmten schottischen Familien signalisiert, erzeugt das Fassadenmuster in Quedlinburg eine Unverwechselbarkeit – oder wenn man so will: eine Familienzuordnung – der einzelnen Gebäude. Darüber hinaus erfüllt Edeltraut Raths Idee zwei weitere städtebauliche Funktionen. Denn mit den horizontalen und vertikalen Farbbalken greifen die modernen Fassaden die typische Linienführung der historischen Fachwerkstadt Quedlinburg auf, jedoch wiederum als zeitgemäße Interpretation, nicht als simple Nachbildung. Einen weiteren Aspekt schildert der Architekt:
„Nach unseren Beobachtungen stellen markante Bauwerksgestaltungen ein Element der Nachhaltigkeit dar. Wenn spätere Generationen einmal über die Erhaltungswürdigkeit unserer jetzigen Bauten entscheiden, werden sie zuerst die Gebäude mit einer markanten eigenständigen Architektur bewahren. Wir gehen schließlich ebenso an die heutigen Altbauten heran.“
Niedrigenergiehäuser mit Wärmepumpe
Die Neubebauung an der Schmalen Straße von Quedlinburg soll das Interesse am Leben in der Altstadt erhalten, was vor allem einen zeitgemäßen Wohnkomfort bei minimalem Energieverbrauch erfordert. In dieser Frage kann es keine Kompromisse und keine Dialektik von Tradition und Moderne geben.
Durch die hochwirksame Wärmedämmung aller Außenbauteile nach heutigen Vorstellungen gelang es, den Jahres-Primärenergiebedarf auf unter 60 kWh/m² und damit in den Bereich des Niedrigenergiehauses zu senken. Die gemauerten Giebel erhielten eine Außendämmung mit 120 mm Mineralwolle der WLG 035. Die Holzrahmen sind sogar mit 360 mm Mineralwolle WLG 035 gedämmt: Drei jeweils 120 mm dicke Schichten befinden sich innerhalb bzw. außen und innen vor der Tragkonstruktion. Die großflächigen Fenster erhielten Verglasungen mit Ug=1,2 W/m²K. Besondere Sorgfalt wurde außerdem auf die luftdichte Ausführung der Gebäudehülle gelegt. Mit diesen Maßnahmen wurde der im Vergleich zum Gebäudebestand außerordentlich kleine Energieverbrauch erreicht, der ohne konventionelle, auf der Verbrennung fossiler Energieträger basierender Heizung gedeckt werden kann. Stattdessen kommen Wärmepumpen zum Einsatz, die – je nach Bauherrenentscheidung – zusätzlich von solarthermischen Kollektoren auf den Dächern der hofseitigen Garagen unterstützt werden können.
Der bereits fertige erste Bau erhielt eine außen auf dem Hof aufgestellte Luft-Wasser-Wärmepumpe LW 80 MA von Alpha-InnoTec. Sie beheizt die 220 m² Wohnfläche mit einer Vorlauftemperatur von 38 °C und einer Heizleistung A2/W35 nach EN 255 von 8,1 kW/3,4. Im weitaus größten Teil des Jahres reicht allein die mit dem Strom aus der Außenluft gewonnene Wärme zur Hausheizung aus. Für sehr kalte Tage ist bereits werkseitig in das Aggregat der Wärmepumpe ein zusätzlicher Heizstab integriert. Für die noch folgenden vier Gebäude sind derzeit Sole-Wasser-Wärmepumpen der WZS-Serie von Alpha-InnoTec vorgesehen. Es handelt sich um kompakte Komplettgeräte für die Innenaufstellung, die die Wärme des Erdreichs über ein solegefülltes Rohrsystem in das Gebäude befördern.
Urbanität mit Anspruch erhalten
Die von den Wärmepumpen zur Verfügung gestellte Wärme wird mit Fußbodenheizungen in die Räume übertragen. Das innovative variable Raumkonzept der Reihenhäuser wird dadurch nicht durch konventionelle Heizkörper eingeschränkt.
Zeitgemäßer Wohnkomfort drückt sich nicht allein in der Energieeinsparung für die Gebäudeheizung aus, sondern auch im sommerlichen Wärmeschutz. Damit sich die Innenräume über die großen Fenster unter intensiver Sonneneinstrahlung nicht unangenehm aufheizen, wurden außenliegende und motorisierte Leichtmetall-Raffstores als Sonnenschutz eingebaut. Die Baureihe E80A6 von Warema ließ sich sehr unauffällig in die Fassade integrieren und ist in geöffnetem Zustand faktisch nicht zu erkennen. Per Knopfdruck können die Bewohner jederzeit die erforderliche Verschattung oder auch eine gewünschte Intimität herstellen. Gerade im innerstädtischen Bauen gehört die Möglichkeit des blickdichten Fensterabschlusses unbedingt zum modernen Wohnkomfort.
Und gerade dies ist schließlich das Ziel der Reihenhäuser an der Schmalen Straße von Quedlinburg: Die Lebendigkeit des urbanen Innenstadtraums erhalten, indem anspruchsvolle Bewohner mit Wohnkomfort und Lebensqualität zum Bleiben bzw. zum Herziehen angehalten werden. Damit setzt das Vorhaben ein deutliches Zeichen, dass Stadtumbau im Zeichen sinkender Einwohnerzahlen eben nicht nur aus Abriss bestehen muss.
bba-Infoservice Fassadentafeln Structura 602 Wärmedämmung (WLG 035) 603 Luft-Wasser-Wärmepumpe 604 Motorisierte Leichtmetall Raffstores 605 www.schneider-architekten.de/ buero/office.html
Architekt: Andreas Schneider Architekt BDA DWB, Bremen Künstlerischer Entwurf Fassade: Edeltraut Rath, Bremen
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