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Mit Energieüberschuss

Neubau eines schwimmenden Einfamilienhauses in Kalkar am Niederrhein
Mit Energieüberschuss

Im Gegensatz zum nie in Betrieb gegangenen „schnellen Brüters“ in Kalkar wird ganz in der Nähe ein völlig risikofreies und ressourcenschonendes Wohnmodell umgesetzt. Ein schwimmendes Einfamilienhaus mit einer Sole/Wasser-Wärmepumpe, deren Wärmetauscher die Energie aus dem Seewasser bezieht.

Martin Schellhorn | jo

Das auf dem Kiesbaggersee Birgelfeld eingeweihte, auf Pontons schwimmende Einfamilienhaus nimmt eine Vorreiterrolle ein: Zum einen steht es als „Plus-Energiehaus“ mit seiner intelligenten Gebäudetechnik für das Potenzial, das heute schon für energiesparendes und damit ressourcenschonendes Wohnen genutzt werden kann. Zum anderen steht das Haus auf dem See aber auch für ein neues Kapitel der Siedlungsentwicklung am Niederrhein, denn hier hat die Stadt Kalkar erstmals privatwirtschaftliche Interessen – die Erweiterung der Kiesgrube – mit gesamtgesellschaftlichem Mehrwert und der Erschließung eines umweltfreundlichen Wohnquartiers verbunden.
Vier Bebauungszonen
Wohnen im Außenbereich wird in aller Regel nicht mehr genehmigt, um die Zersiedelung der Landschaft zu verhindern. In Kalkar jedoch wurde die angestrebte weitere Ausbeutung einer Kiesgrube dazu genutzt, nach einer neuen, umweltverträglichen Siedlungsvariante zu suchen. Entwickelt hat den Masterplan für dieses Quartier das Architekturbüro Hülsmann & Thieme aus Kleve. Die Architekten planten auf und um den See vier konzentrische Bebauungszonen mit zweigeschossigen Objekten für den äußersten Ring, nach innen dann abstufend über die Ufer-Randbebauung bis zu den schwimmenden Bungalows auf dem See.
Dipl. Ing. Architekt Friedhelm Hülsmann: „Die architektonische Gestaltung war die eine Herausforderung, die Lösung der technischen Infrastruktur aber eine viel größere.“
Eine der durchaus gewollten Ableitungen daraus: Die Gebäude sollen nicht nur energieautark sein, sondern als Ausgleich zum Eingriff in die Natur sogar einen Energieüberschuss erwirtschaften. Dafür kooperierte das Kieswerk Maas-Roeloffs bei dem jetzt eröffneten „Musterhaus“ mit der RWE Effizienz GmbH und dem Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme (ISE) und realisierte einen architektonisch gradlinig-schlichten Kubus, der über die Nutzung der Wärme von Sonne und Wasser tatsächlich mehr Energie erzeugt, als er künftig verbraucht.
Zusammenspiel: Dämmung und Technik
Voraussetzung dafür war im ersten Schritt die mustergültige Dämmung der Gebäudehülle (U-Wert: 0,086 W/m²K) bis hin zu den großflächigen Fenstern mit Dreifachverglasung (Ug-Wert: 0,65 W/m²K):
„Wo es wenig Transmissionswärmeverluste gibt“, sagt Architekt Hülsmann, „muss im Vorfeld weniger Wärme erzeugt werden. Deswegen ist auch der Kubus als Grundform das Ideal energiesparenden Bauens, der hier durch Stilelemente im Eingangsbereich und an den Fenstern zwar optisch aufgebrochen wird, ohne aber die Umfassungsfläche negativ zu beeinflussen.“
Das Resultat: Das 100 m² große „Einfamilienhaus“ mit großzügigem Lebensraum, Küche, Bad und Haustechnikzentrale hat einen Heizwärmebedarf von nur noch knapp 14 kWh/m²a. Um diesen Heizwärmebedarf abzudecken, wurde eine Sole/Wasser-Wärmepumpe des Typs geoTherm plus von Vaillant installiert – mit nur 3 kW Leistung. Zum Vergleich: Serienmäßig hat die kleinste Ausführung dieser Wärmepumpen eine Heizleistung von etwa 6 kW. Für Fachplaner Dipl.Ing. Andreas Schwalger von Bascon Engineering aus Goch war das jedoch immer noch zu viel:
„Bei einem zu erwartenden Bedarf von ohnehin nur 2 kW war mir der Umbau der Serien-Wärmepumpe auf die Hälfte der Leistung wichtig, um die Wettbewerbsfähigkeit dieser Technik im Vergleich zu den sonst üblichen Gas-Heizgeräten als Wärmequelle aufzuzeigen.“
Versorgt wird die Wärmepumpe über einen in etwa 4 m Tiefe im Baggersee befindlichen Wärmekorb mit einer rund 150 m langen Rohrwendel aus PE-Rohr. Ganzjährige Temperaturmessungen haben ergeben, dass die spezielle Temperaturschichtung des Sees in dieser Tiefe das konstanteste Temperaturniveau mit der höchsten Entzugsleistung bietet: Abgestimmt ist das System auf eine Wassertemperatur von mindestens 7 °C, als Höchstwert kann man von etwa 10 °C ausgehen, was dann auch in etwa die maximale Leistungsausbeute definiert.
Hilfreich ist dabei die Verbindung des Baggersees mit dem in der Nähe vorbei fließenden Rhein, denn dadurch kann das Temperaturniveau des Seewassers auch in kalten Wintern kaum unter die 7 °C-Marke absinken. Gepuffert wird die Wärme aus dem See in einem 500 l Multifunktionsspeicher, über den auch die Trinkwarmwasserversorgung erfolgt.
Sollte sich das schwimmende Gebäude im Sommer zu stark aufheizen, wird der Kältekreislauf der Wärmepumpe automatisch umgangen. So kann das Haus direkt mit der Kälte aus der Quelle, hier: dem See, mit minimalem Energieaufwand passiv gekühlt werden. Der Wärmekorb gibt dann also die überschüssige Wärme direkt an das Seewasser ab. Damit während der Kühlung im Haus kein Tauwasserproblem entsteht, sorgt die in der Wärmepumpe integrierte Regelung im Heizsystem für eine Mindest-Vorlauftemperatur von 18 °C.
Umfangreiche Messreihen
Komplettiert wird das Haustechnik-Paket rund um die Wärmepumpe als Energielieferant in der Wärmeverteilung durch ein Flächentemperiersystem sowie spezielle Wärmepumpen-Heizkörper. Ansonsten wie konventionelle Konvektoren aufgebaut, verfügen sie zusätzlich über kleine Ventilatoren, um trotz der geringen Vorlauftemperaturen die für die Wärmeverteilung notwendige Konvektion sicherzustellen. Die Beheizung wahlweise mit den Konvektoren-Heizkörpern oder mit der Flächentemperierung zu fahren, ist im schwimmenden Musterhaus auf dem See bei Kalkar gewollt: Über entsprechende Messreihen soll hier untersucht werden, welche Variante der Wärmeverteilung in solchen Objekten die effizienteste ist.
Aus ähnlichen Gründen ist das „Haus auf dem See“ auch mit drei verschiedenen Photovoltaik-Systemen (insgesamt 40 m²) ausgerüstet worden, die für die autarke Stromversorgung stehen: Neben klassischen PV-Modulen an Land bzw. aufgeständert auf dem Dach werden auch Kollektoren eingesetzt, die automatisch der Sonnenbewegung folgen. Dazu kommen senkrecht an der Terrasse installierte Module. An ihnen wird erforscht, ob sich der Wirkungsgrad zusätzlich durch die Lichtreflexion der Seewasseroberfläche erhöht. „Weltweit gibt es dazu keine einzige Untersuchung“, unterstreicht Architekt Hülsmann die Bedeutung dieser Installationen, für die sich – wie für das gesamte Projekt – mittlerweile Fachleute aus ganz Europa interessieren. In den erschöpften und gefluteten Braunkohle-Tagebaugebieten der Lausitz sollen die in Kalkar gewonnenen Erkenntnisse beispielsweise unmittelbar in das Projekt „Schwimmende Bauten“ einfließen.
Komplett vernetzt
Ob dann auch die dortigen Häuser möglicherweise mit einer Sole/Wasser-Wärmepumpe ausgestattet werden, sei dahingestellt. Denn aus Herstellersicht ist diese Anlagentechnik eigentlich für Einfamilienhäuser konzipiert, in denen auf Niedrigenergiehausniveau ein hoher Warmwasserkomfort geboten werden soll. Für die künftige Weiterentwicklung gerade im Hinblick auf die Einbindung in Objekte mit äußerst geringer Heizlast dürften die in Kalkar gesammelten Erfahrungen aber trotzdem überaus wertvoll sein: RWE hat in dem Musterhaus über die Hausautomation SmartHome alles vernetzt, was direkt oder indirekt mit energetischen Lasten zu tun hat. Heizkörper, Beleuchtung und Haushaltsgeräte, Bewegungsmelder und Fensterkontakte – alles ist vernetzt und zentral gesteuert. Zudem greift das System direkt auf den ebenfalls vorgesehenen Smart Meter zu. Diese elektronischen Zähler bilden den individuellen Stromverbrauch – beispielsweise direkt beim Einschalten eines Elektrogerätes oder auch der Wärmepumpe – genau ab. So lassen sich dann nicht nur die Verbrauchswerte über die Haussteuerung darstellen, sondern auch Wechselwirkungen aufzeigen, die dann möglicherweise wieder in die Entwicklung der Steuerungs- und Regeltechnik der Wärmeerzeuger einfließen.
Architekten: Hülsmann & Thieme, Kleve Fachplanung: BASCON Engineering GmbH, Goch
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