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Welle über der Stadt

Sanierung und Aufstockung eines Kultur- und Bürogebäudes in Rotterdam
Welle über der Stadt

Das Rotterdamer Hafengebiet „Kop van Zuid“ gehört zu den spannendsten Architektur- Laboratorien der Niederlande. Zuletzt wurde dort das 1953 errichtete ehemalige Werkstattgebäude „Las Palmas“ saniert und zum multifunktionalen Kultur- und Bürogebäude um- genutzt. Markanter Blickfang des Projekts ist die in runden Formen gestaltete Penthouse- Aufstockung mit zwei zusätzlichen Büroebenen.

Robert Uhde

Der Wilhelminapier im ehemaligen Rotterdamer Hafengebiet „Kop van Zuid“ blickt auf eine bewegte Vergangenheit zurück: Von hier aus wanderten seit 1873 Hunderttausende von Passagieren auf Schiffen der „Holland-America Line“ von Europa in die USA und nach Kanada aus. Nach der Einstellung des Linienbetriebes der HAL in den 1970er-Jahren hat die schmale Landzunge am südlichen Maasufer inzwischen ein völlig neues Gesicht erhalten. Auf Basis der 1994 vorgestellten Masterplanung des britischen Architekten Norman Foster sind in den vergangenen Jahren mehrere, bis zu 150 m hohe Neubauten entstanden, die den Pier regelrecht zu einem „Manhattan an der Maas“ verwandelt haben.
Zu den wenigen noch vorhandenen historischen Zeitzeugen auf dem langgestreckten Pier gehört das, 1920 mit prachtvollen Motiven des Art Noveau fertiggestellte ehemalige Verwaltungsgebäude der HAL, das seit rund zehn Jahren als „Hotel New York“ offen steht. Nur einen Steinwurf entfernt liegt das zwischen 1937 und 1953 durch die Architekten Brinkman, Van den Broek & Bakema errichtete Schifffahrtsterminal. Das lange Zeit leer stehende Gebäude wurde auf Basis der städtebaulichen Planung 1994 durch ein Meeresforschungszentrum von Norman Foster flankiert und wird heute unter anderem als „Café Rotterdam“ genutzt.
Architektonische Zeitzeugen
Direkt gegenüber dem Terminal schließt sich das seit 1953 nach Plänen von Van den Broek & Bakema für die HAL errichtete Werkstattgebäude „Las Palmas“ an. Das Gebäude war bereits seit längerem durch die Stadt Rotterdam als provisorischer Veranstaltungsort genutzt worden. Aufgrund seiner Identität stiftenden Funktion für den Kop van Zuid und seiner hohen architektonischen Bedeutung hatte die Stadt jedoch bereits seit längerem nach langfristigen Nutzungskonzepten für das Gebäude gesucht. Immerhin gehört das 1951 aus dem Duo Brinkman Van der Vlugt hervor gegangene Büro Van den Broek & Bakema (heute Broekbakema) zu den bedeutendsten Architekturbüros der niederländischen Nachkriegsmoderne, das mit Projekten wie der europaweit ersten Fußgängerzone „De Lijnbaan“ (1949 – 1953) vor allem das Gesicht der Stadt Rotterdam nachhaltig geprägt hat.
Nach langjähriger Vorlaufzeit entschied die Stadt schließlich, das grundlegend zu sanierende Gebäude zu einem Kulturzentrum mit integrierten Büroeinheiten und Appartements umzuwandeln und dann an einen Investor zu verkaufen. Mit der Planung des ambitionierten Projekts wurde das renommierte Büro Benthem Crouwel beauftragt, das neben seinen vielfältigen Planungen für den Amsterdamer Flughafen Schiphol auch zahlreiche Umbauprojekte realisiert hat – darunter die Renovierung und Erweiterung des Amsterdamer Anne-Frank-Hauses oder den Umbau einer ehemaligen Textilfabrik in Tilburg zum Kunstmuseum „De Pont“. Auf Basis der Planungen der Architekten gelang es der Stadt schließlich, das Gebäude an den Projektentwickler OVG zu verkaufen. Von Beginn an war dabei ganz bewusst ein multifunktionales Nutzungskonzept vorgesehen. In die beiden unteren Ebenen zog entsprechend dieser Vorgabe das Niederländische Fotomuseum mit großen Ausstellungsräumen, einer Bibliothek sowie zusätzlichen Archivräumen ein. Zu den weiteren Mietern des Gebäudes zählen zwei Architekturbüros, ein Verlag, ein Marktforschungsinstitut sowie die „Beeldfabriek“ als Veranstalter für Kurse in den Bereichen Fotografie und Neue Medien. In der zweigeschossigen Aufstockung auf dem Dach des Gebäudes wurde schließlich der Hauptsitz von OVG angesiedelt.
Respektvolle Sanierung
Der viergeschossige Las-Palmas-Bau wurde von Van den Broek & Bakema in der Tradition des Neuen Bauens in Stahlbetonskelett-Bauweise mit einer streng gerasterten Vorhangfassade aus Stahl und Glas fertig gestellt. Um die Charakteristika des Gebäudes mit seiner beeindruckenden räumlichen Großzügigkeit so weit wie möglich zu erhalten, verfolgten Benthem Crouwel den Anspruch, sämtliche Eingriffe auf ein Minimum zu reduzieren. Sowohl die Fassade als auch die Tragkonstruktion des Gebäudes mit ihren mächtigen achteckigen Pilzstützen wurden weitgehend im vorgefunden Zustand belassen und brauchten lediglich ausgebessert und gereinigt bzw. in strahlendem Weiß sowie Korallenrot neu gestrichen zu werden.
„Als problematisch erwies sich jedoch die Wärmedämmung des Gebäudes mit seinen einfach verglasten und lediglich mit einfachem Kitt abgedichteten großen Fensterflächen“, so Projektarchitekt Marten Wassmann. „In Absprache mit dem Denkmalschutz haben wir die Scheiben daher durch eine hochwertige Isolierverglasung ersetzt, die direkt in die Betonleibung eingeleimt wurden. Auf der Innenseite wurden auf Brüstungshöhe außerdem neue Elemente aus Polyesterbeton integriert, die sämtliche Versorgungsleitungen abdecken und gleichzeitig als zusätzlicher Wärmeschutz fungieren. In sensiblen Bereichen wie dem Fotomuseum im Erdgeschoss wurde zusätzlich eine doppelte Fassade neu errichtet.“
Parallel dazu mussten sämtliche bestehenden Anlagen für Lüftung, Heizung, Sanitär und Elektrik ausgetauscht und durch neue Anlagen ersetzt werden. „Aufgrund der großen Brandabschnitte innerhalb des Gebäudes haben wir dabei auf sämtlichen Ebenen sowie in der Parkgarage neue Sprinklervorrichtungen integriert, um die hohen Brandschutzauflagen der Stadt zu erfüllen“, so Marten Wassmann. Als weitere Maßnahme wurden zwei zusätzliche Treppenhäuser an der Nordostfassade und vor der Südwestfassade hinzugefügt, die im Brandfall als Fluchtweg dienen.
Bei der Umgestaltung der Innenräume erwies es sich als großer Vorteil, dass Van den Broek & Bakema seinerzeit den größten Teil der vertikalen Erschließung sowie die Toiletten gebündelt im Kern des Gebäudes platziert hatten. Auf diese Weise war ein durchgehendes Raumkontinuum entstanden, das heute wie damals ein hohes Maß an Flexibilität bei der Grundriss-Einteilung bietet. Ohne größere Eingriffe in die vorhandene Bausubstanz vornehmen zu müssen, brauchten die Planer somit lediglich an verschiedenen Stellen (transparente) Trennwände neu einzufügen, um die Anforderungen der verschiedenen Nutzer umzusetzen. Der Zugang zum Gebäude erfolgt über den grundlegend sanierten und modernisierten Eingangsbereich. Zur vertikalen Erschließung steht zusätzlich ein verglaster Lift zur Verfügung. Als weiterer wichtiger baulicher Eingriff in die vorhandene Architektur wurde die Decke oberhalb des dritten Obergeschosses durch mehrere große Lichtkuppeln geöffnet, um so einen optimierten Tageslichteinfall für die hier gelegenen Büros zu erhalten.
Geschwungen aufgestockt
Zusätzliche Nutzfläche bietet die zweigeschossige, auf dem Dach des Gebäudes aufgesattelte Erweiterung „Penthouse Las Palmas“. Nach Nordwesten und Südosten, also in Richtung Wasser, wurde die organisch gerundete Aufstockung mit einer durchgehenden Glasfront gestaltet. An den Seitenfassaden integrierten die Planer schmale vertikale, ebenfalls abgerundete Sichtschlitze, um zusätzlich auch Blicke auf den Wilhelminapier zu ermöglichen. Bei der Gestaltung der Aufstockung orientierten sich die Planer ganz bewusst am industriellen Charakter des Gebäudes und der ehemals maritimen Nutzung des Kop van Zuid. Die geschwungene Form schafft einen sinnfälligen Bezug zu den Wellen der vorbeiziehenden Maas und verweist gleichzeitig auf die 1960er Jahre, als das Werkstattgebäude noch entsprechend seiner ursprünglichen Bestimmung genutzt wurde. Besonders imposant erscheint der Aufbau bei Nacht, wenn er als eindrucksvoller Lichtring illuminiert wird.
„Aus statischer Perspektive konnten wir die Erweiterung ohne größere Eingriffe realisieren, da Van den Broek & Bakema bei ihrer Planung bereits eine mögliche Aufstockung des Gebäudes um zwei zusätzliche Geschosse vorgesehen und eingeplant hatten“, beschreibt Marten Wassmann die Ausgangslage.
Der scheinbar schwebende Aufbau wird durch 21 schlanke Stützen getragen, die auf den mächtigen Pilzstützen des Gebäudes ruhen. Durch die Integration der Lichtkuppeln konnte das Dach aus statischen Gründen jedoch nicht komplett überbaut werden. Auf der frei gebliebenen Fläche realisierten die Planer einen begrünten Dachgarten. Die Grünfläche bietet nicht nur angenehme Ausblicke, sondern ermöglicht vor allem eine natürliche Isolation des Gebäudes sowie die Speicherung von Feuchtigkeit, die dann über das Abflusssystem abgeleitet wird.
Die in luftiger Höhe errichtete Aufstockung war nach der ursprünglichen Planung zunächst für ein Restaurant oder alternativ für Luxusappartements vorgesehen. Erst im weiteren Projektverlauf entschied sich OVG dazu, die Erweiterung stattdessen als neuen Standort für die eigene Unternehmenszentrale zu nutzen. Um dabei einen bequemen Zugang zu den Büros zu ermöglichen, wurde ein eigenes Parkdeck im vierten Obergeschoss direkt unter dem Penthouse neu errichtet. Ein wahrlich erhebendes Erlebnis ist dabei die Erschließung der Parkebene: Denn die „Auffahrt“ von der unterirdischen Tiefgarage bis unters Dach erfolgt über den sanierten Lastenaufzug.
Architekten: Benthem Crouwel Architekten BV bna
Projektteam: Jan Benthem, Marten Wassmann, Annette van Baren, Marcel de Goede, Jeroen Jonk, Peter Kropp, Roy van Rijk, Daphne Tempelman, Daniël van der Voort, Nico de Waard, Marcel Wassenaar, Joep Windhausen
Projektmanagement: Gemeentewerken Rotterdam
Projektmanagement Penthouse: C2N Construction Consultants Network, Zoetermeer
Tragwerksplanung: DHV B.V., Den Haag
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