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Schillernde Schlange

Umweltbundesamt in Dessau
Schillernde Schlange

Im Jahr 1996 beschloss der Deutsche Bundestag, das Umweltbundesamt nach Sachsen-Anhalt zu verlegen, um die neuen Länder bei der Ansiedlung von Bundesbehörden zu berücksichtigen.

Die Ansprüche, die das Amt als Bauherr an das neue Gebäude stellte, waren hoch. Mit dem Neubau sollte ein Modellvorhaben für ökologisches Bauen verwirklicht werden.
Kurt Schmidt, damaliger Vizepräsident der Behörde:„Es ist … auch eine Frage der Glaubwürdigkeit, diesen Ansprüchen mit dem eigenen Neubau gerecht zu werden.“
Bereits die Standortwahl, ein brachliegendes Gewerbegelände in Bahnhofsnähe, hatte Vorbildcharakter. Anstatt auf der grünen Wiese der Zersiedelung Vorschub zu leisten, wurden kontaminierte innerstädtische Flächen saniert.
Es galt, Platz für 780 Mitarbeiter zu schaffen, einen Hörsaal, eine Bibliothek, Ausstellungs- und Seminarräume und eine Kantine unterzubringen. Wichtige Vorgabe war, mindestens 15 Prozent des Gesamtenergiebedarfs durch erneuerbare Energien zu decken.
Mehrfach geschwungen
Der Entwurf für das Amtsgebäude stammt von den Berliner Architekten Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton.
Wie eine Schlange windet sich ein flacher Baukörper mehrfach geschwungen über das Gelände und umschließt in seiner Mitte ein überdachtes Atrium.
Die bunt schillernde Bandfassade erinnert ein wenig an eine Reptilienhaut. Während die Brüstungen eine horizontale Lärchenholzschalung tragen, wechseln im Fensterbereich verglaste Flächen mit geschlossenen, farbig lackierten Feldern und erzeugen einen lebhaften, unregelmäßigen Rhythmus.
Das Farbkonzept unterstützt die städtebauliche Absicht, das Gebäude niemals in seiner Gänze zu zeigen, sondern nur in Teilen – Stück für Stück, so dass nicht jener Eindruck einschüchternder Größe entsteht, der vor allem historischen Behördenbauten zu eigen ist.
Die Fassadenfarben reagieren immer auf die jeweilige räumliche Situation: Die Blautöne des Foyers sind ein Widerhall des Teichs im Außenraum und des Himmels, den man durch das Glasdach erblickt.
Die in der Nähe stehenden Bäume spiegeln sich in den Grüntönen anderer Teile der Gebäudeansicht wider.
Die Fassadenabschnitte, die vorhandenen Altbauten gegenüberliegen, nehmen die dunkleren Rottöne des Mauerwerks dieser Bauwerke auf.
Holz prägt nicht nur das äußere Erscheinungsbild des Gebäudes, es wurde auch als Konstruktionsmaterial eingesetzt.
Die Fassade besteht aus vorgefertigten Holzelementen, die vom Boden bis zum Dach als durchgehende Schicht vor dem Betonmassivbau hängen und damit Wärmebrücken im Bereich der Geschossdecken vermeiden.
Viergeschossige Holzfassade
Mit der viergeschossigen Holzfassade beschritten die Architekten Neuland, denn im Normalfall sind Holzkonstruktionen nur bis zu zweieinhalb Geschossen zulässig. Für das Baugenehmigungsverfahren wurde im Rahmen des Brandschutzkonzeptes daher eine objektbezogene brandschutztechnische Beurteilung für die Holzfassade erarbeitet. Eine Reihe konstruktiver Maßnahmen sorgt für die nötige Sicherheit.
Zunächst ist die Hinterlüftung der Lärchenholzschalung geschossweise getrennt, um einen Brandüberschlag zwischen den einzelnen Stockwerken zu verhindern. Zudem trägt die Holzverkleidung auf der Rückseite einen Brandschutzanstrich.
Vor allem aber sind die tragenden Teile komplett mit nichtbrennbaren Bekleidungen eingepackt, die eine entsprechende kapselnde Wirkung übernehmen: Den Raumabschluss zu den Büros bilden zwei übereinanderliegende Gipsplatten. Sie verbergen eine innere Dämmschicht, gefolgt von den vorgefertigten, wärmegedämmten Fassadenelementen. Diese sind auf der Innenseite mit einer Holzzementfaserplatte beplankt, nach außen, also zur Hinterlüftungsebene hin, dagegen mit einer Fermacell Gipsfaser-Platte von 15 Millimetern Dicke.
Gemäß allgemeiner bauaufsichtlicher Zulassung vom Institut für Bautechnik, Berlin, werden Fermacell Gipsfaser-Platten als nicht brennbarer Baustoff eingestuft.
Prüfzeugnisse von deutschen und europäischen Materialprüfämtern bescheinigen Feuerwiderstandsklassen F 30 bis F 120.
Erst die Summe all dieser Maßnahmen ermöglichte die Realisierung einer Holzfassade über vier Geschosse.
Ein weiterer Vorteil der eingesetzten Gipsfaser-Platte ist ihre Luftdichtheit. Sie lässt sich auf einer Holzrippe stumpf stoßen, ohne dass eine weitere Dichtung nötig ist.
So konnte bei der Fassadenkonstruktion auf eine Windschutzfolie verzichtet werden.
Dass die Gebäudehülle komplett elementiert ist, sieht man dem Bau nicht an. Von der üblichen Wiederholung immer gleicher Bauteile ist nichts zu sehen.
Stattdessen sorgen die unterschiedlichen Farben und die unregelmäßig gegeneinander verschobenen Fensteröffnungen für ein abwechslungsreiches Bild.
Belichtung und Klimatisierung
Das Fassadenkonzept trägt auch zur Belichtung und Klimatisierung der Arbeitsplätze bei. Alle Schreibtische erhalten natürliches Licht – durch Kastenfenster, bei denen vor den innen liegenden Fensterflügeln mit ihrer Doppelverglasung mit Abstand eine dritte Glasscheibe liegt.
Im Zwischenraum bewegt sich ein Sonnenschutz aus perforierten Horizontallamellen, dessen untere zwei Drittel als Blendschutz fungieren, während das obere Drittel das Tageslicht zur Decke lenkt, so dass auch bei geschlossenem Sonnenschutz kein Kunstlicht zugeschaltet werden muss.
Ihre Frischluft erhalten die Räume nicht, wie ursprünglich geplant, über die Fenster, weil der Lärm der nahe gelegenen Bahntrasse zu groß ist. Stattdessen verfügen die Büros über eine maschinelle Lüftung, wobei eine Wärmetauschanlage die Zuluft vortemperiert.
Etwa fünf Kilometer misst das Rohrsystem, das in der Erde verlegt ist, um im Sommer die angesaugte Außenluft zu kühlen und im Winter zu wärmen.
Die Luft wird in Rohren über der abgehängten Flurdecke geführt, um dann in die Büros, deren Rohdecken unverkleidet blieben, eingeblasen zu werden.
Um den Nutzern nicht das Gefühl zu geben, der Technik ausgeliefert zu sein, lassen sich die Fenster dennoch öffnen.
Damit sich behagliche Temperaturen im Sommer sicherstellen lassen, erfolgt eine Nachtauskühlung des Gebäudes über zentral gesteuerte, einbruchsichere Lüftungsklappen neben den Fenstern.
Die unverkleideten Betondecken speichern die Kühle der Nacht und geben sie tagsüber wieder an den Raum ab.
Ein ganzes Bündel weiterer Maßnahmen trägt dazu bei, den Energiebedarf des Gebäudes zu senken: Nach den Berechnungen der Klimaplaner liegt er um 30 Prozent unter dem Wert, der für vergleichbare Bauten vorgeschriebenen ist.
Mit seinem Neubau nimmt das Umweltbundesamt also eine Vorbildrolle für energiebewusstes Bauen ein.
Doch auch in anderer Hinsicht ist es wegweisend: Seine Architekten führen vor, dass staatliche Behörden keineswegs immer in steinern schweren Gebäuden von monumentaler Erhabenheit untergebracht werden müssen, die viele der neueren Berliner Bundesbauten kennzeichnet.
Mit deren ehrfurchtsgebietender Strenge haben Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton nichts am Hut. Stattdessen entwarfen sie ein leichtes, buntes, heiteres Bauwerk, das in Dessau ein Zeichen des Aufbruchs setzten soll.
Weitere Informationen
Gipsfaserplatten bba 551
Planung: Sauerbruch Hutton Architekten, Berlin
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