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Volumen strukturiert

Neubau eines Wohn- und Kulturhauses in Nieuwkoop, Niederlande
Volumen strukturiert

In Nieuwkoop in den Niederlanden, zwischen Amsterdam, Den Haag und Utrecht, wurde nach den Plänen von LEVS architecten ein spannendes Gebäudekonzept realisiert. Mit einer Mischung aus Wohnraum für pflegebedürftige Menschen und öffentlichen Einrichtungen bildet der Neubau das Zentrum der Dorfgemeinschaft im Süden der Niederlande.

Dipl. Ing. Architekt Marc Nagel | jo

In den Niederlanden kennt man das Problem ebenso wie in Deutschland: Kleinere Ortschaften leiden unter einer mangelnden Nahversorgung und fehlenden öffentlichen Einrichtungen. Da oftmals leere kommunale Kassen und sinkende Bevölkerungszahlen schlechte Rahmenbedingungen für eine Verbesserung darstellen, bedarf es kreativer Konzepte.
Eine Idee ist das Kulturhus. Dieses dient als zentraler Ort für öffentliche Angebote wie Bibliothek, Theater, Kino oder Lesungen und wird meist mit einer zusätzlichen Nutzung verbunden. Auch die niederländische Ortschaft Nieuwkoop fand diese Idee gut und setzte sie für die eigene Dorfgemeinschaft mit dem „Kaleidoskoop“ um. So entstand ein Gebäudekomplex, der den Bürgern Raum für verschiedene kulturelle Angebote bietet und zugleich Heimat für pflegebedürftige Menschen ist. Dass dabei ein Ort der Gemeinschaft und nicht des Nebeneinanders entstand, unterstreicht die gelungene Umsetzung des Gedankens. Ein Ergebnis, das vor allem auch dank der gelungenen Architektur erzielt werden konnte.
Klare Gliederung für die Integration
Was bei der Gestaltung des Hauses besonders ins Auge fällt, ist die Fassadengestaltung. Statt eine einheitliche Fassade zu entwerfen, machten sich die Planer von LEVS architecten Gedanken, wie man den großen Gebäudekomplex von immerhin 10 000 m2 Nutzfläche in die kleinteilige Dorfumgebung integrieren kann. So lockern unterschiedliche Traufhöhen, leichte Vor- und Rücksprünge und vor allem die Fassadengestaltung den großen Baukörper auf. Die Integration in den Bestand gelang dabei so gut, wie dies eben trotz mächtigem Volumen wie dem des Kaleidoskoops gelingen kann.
Spannend dabei ist die dreiteilige Fassade. Sie ist in ihrer Materialität ebenso unterschiedlich wie in ihrer Farbigkeit. Während ein dunkler Klinker den Sockel und Teile der öffentlichen Bereiche markiert, verkleidet ein sich hin und wieder weitender Streifen mit horizontal verlaufenden Holzlatten aus Douglasie die Wohneinheiten. Ebenfalls entlang der Wohnungen ist die dritte Fassade geführt. Sie darf als Besonderheit des Gebäudes angesehen werden. Denn statt der üblichen Materialien verwendeten die Architekten hier Ried oder auch Reet. Das aus Schilf gewonnene Deckmaterial hat zum einen Tradition in diesem Teil der Niederlande und ist zudem ein direkt im moorigen Gebiet um Nieuwkoop vorkommendes Material.
Während die Planer beim Klinker und beim Holz auf Standardlösungen zurück greifen konnten, musste beim Reet eine Sonderlösung entwickelt werden. Der Klinker stammt von Den Daas und wurde als extrudierter Klinker in einem wilden Verband verwendet. Der Klinkertyp Cedarwood (Typ Nr. 5265) wirkt dabei sehr lebendig und passt zu den beiden anderen Fassadenmaterialien.
Das zweite Material, die Holzlattung aus Douglasie, lieferte der ebenfalls niederländische Holzverarbeiter Leegwater Houtbereiding bv. Das Holz wurde einer Vakuum-Druck-Behandlung unterzogen, um es gegen Verwitterung zu schützen. Zudem verwendeten die Planer zum zusätzlichen Schutz einen wasserbasierten Lack. Der Lack Colorseen Timberstain von Den Daas schützt das Holz und sorgt für eine beständige Färbung, da das Altern und damit das Vergrauen des Holzes verhindern soll. Diesen Schritt unternahm man seitens der Architekten auch, um später einen Kontrast zur Reetfassade herzustellen. Da diese wie die Douglasie mit der Zeit grau wird, sollte verhindert werden, dass die beiden Fassadenbereiche sich zu sehr angleichen. Ergänzt wird die Holzfassade mit eher untypischen Kunststofffenstern. Diese wurden jedoch mit einer Folie so gestaltet, dass sie wie Holzfenster wirken. Diese ungewöhnliche Lösung wurde gemeinsam mit dem Hersteller Kumij (Produkt K-Vision) umgesetzt und brachte dem Gebäude und LEVS den VKG Architektur-Preis 2012 ein, der speziell den ästhetischen Einsatz von Kunststoff-Elementen honoriert.
Reet und der Brandschutz
Anders als der Kunststoff der Fensterprofile ist das Material der dritten Fassadenart natürlich. Die Reetfassade stellte dabei alleine aufgrund ihrer Einzigartigkeit eine besondere Aufgabe dar. Dass man Reet für Dächer einsetzt ist nicht ungewöhnlich, doch eine Reetfassade dürfte nicht allzu häufig sein. Die Idee kam dabei auf, als man bei LEVS am Projekt Doggerji in Den Helder arbeitete. Dort baute man einen Hof mit Reetdach um, der als Ort für straffällige Jugendliche genutzt werden sollte. Aufgrund der hohen Brandschutzanforderungen bei diesem Gebäude hatte man sich also bereits intensiv mit diesem Material auseinander gesetzt.
Doch vor der Umsetzung stand eine Vielzahl von Überlegungen und Versuchen. Gemeinsam mit dem Verband der Rieddecker aus den Niederlanden, dem Vakfederatie Rietdekkers, dem Ingenieurbüro Cauberg-Huygen Raadgevende Ingenieurs, den Brandschutzexperten von Effectis Nederland sowie der örtlichen Feuerwehr gelang es schließlich, eine praktische, sichere und zudem optisch hochwertige Lösung zu finden. Die Besonderheit dabei: Es gab im Vorfeld kein vergleichbares Projekt, bei dem die Nutzung als Wohnhaus mit längeren Evakuierungszeiten für die Bewohner aufgrund der teilweisen Bettlägerigkeit vorlag, kombiniert mit einer Reetfassade umgesetzt wurde.
Die bekannten Projekte waren durchweg niedriger als 13 m und hatten aufgrund der Nutzung und Größe nur einen Brandabschnitt. Zudem wurden dort meist als Brandschutzmaßnahmen imprägniertes Reet auf einem Schraubdach (ohne Luftschicht) eingesetzt und der Mindestabstand von 15 m zur Grundstücksgrenze eingehalten. Dies war teilweise in Nieuwkoop nicht möglich oder wurde von der Feuerwehr und den übrigen Experten nicht als ausreichend angesehen.
Zielvorgabe war eine durchgehende Eingruppierung in die niederländische Brandschutzklasse B. Um dies zu erreichen, wurde der Aufbau um eine Fermacellplatte ergänzt, die zwischen dem Reet und der Holzständerkonstruktion des Gebäudeteils angebracht wurde. Eine Vliesfolie schützt die Platte gegen Feuchte. Zudem setzten die Planer als Füll- und Dämmmaterial Mineralwolle in die Zwischenräume der Holzständerkonstruktion ein.
Mit diesen Methoden gelang es, die Zulassung zu erhalten. Ursprünglich sollte das Reet als weitere Maßnahme und wie üblich imprägniert werden. Das beratende Ingenieurbüro wies jedoch nach, dass dies keine Verbesserung beim Brandschutz mit sich bringen würde. Eine Einschätzung, der dann auch die örtliche Feuerwehr folgte.
Zusätzliche Brandschutzmaßnahmen
Da das Kaleidoskoop nicht nur Wohnhaus, sondern ein Ort für die Pflege und Betreuung von teils nicht mobilen Menschen ist, war die Unterteilung der Fassade in Brandabschnitte nötig. Dies vor allem auch, da Reet im Brandfall durchaus oberflächlich als gelöscht angesehen werden kann, es aber im Inneren der Deckung weiter schwelt. Als Lösung wurde die Fassade so konstruiert, dass die Feuerwehr im Brandfall ganze Reetstreifen rund um den Brandherd schnell entfernen kann. Zudem wurden die Brandabschnitte mit vertikalen Stahl-Profilen (L 200 x 100 x 12) abgegrenzt, die durch die 288 mm dicken Reetpakete von außen nicht sichtbar sind. Alle Maßnahmen zusammen wurden als „gleichwertig wie Brandschutzklasse B“ anerkannt und durch zusätzliche Feuerwehrschlauchhaspeln, einen Feuerwehraufzug und Feuerlöschleitungen ergänzt.
Die Fassade umschließt immerhin 10 000 m2 Nutzfläche, was ist mit dieser? Ein Großteil wird von einer Einrichtung belegt, die kranken und pflegebedürftigen Menschen ein Zuhause bietet. Auf rund 8 000 m2 haben diese Bewohner zwei Vorteile: Sie sind mitten im Dorf und damit in der Dorfgemeinschaft und sie leben in einer sicheren und modernen Unterkunft. Gerade auf die Sicherheit der teilweise auch dementen Patienten wurde Wert gelegt. So verfügt das Gebäude über einen geschützten und begrünten Innenhof.
Neben den vielen Wohnungen für betreutes Wohnen und den Zimmern für die Intensivpflege, die sich im Kaleidoskoop befinden, wird das Raumprogramm noch durch die öffentlich zugänglichen Bereiche ergänzt. Diese befinden sich, für die Nutzung als Treffpunkt der Dorfgemeinschaft sinnvoll, fast ausschließlich im Erdgeschoss. Um auch den Kontext zur Dorflandschaft herzustellen, verfügt dieser Bereich über eine große Glasfront. Durch sie sind Blickbeziehungen zwischen innen und außen möglich. Die 14,2 m x 7,1 m große Fassade wurde mit Aluminiumprofilen von Alcoa umgesetzt.
Marianne Loof, Projektarchitektin und Partner LEVS architecten: „Ried altert im Laufe der Zeit und wird grau. Wir haben darum für die Holzfassade eine Farbe gewählt, die jetzt im Einklang mit dem Ried ist, und die dann bald auch eine schöne, frische Trennung zwischen der Klinker- und der grauen Riedfassade formt.“
Architekten:
LEVS architecten, Amsterdam
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