Startseite » Allgemein »

Sehr monolithisch

Neubau der Stadtbibliothek in Stuttgart
Sehr monolithisch

Jetzt ist sie also fertig – und hat schon so manchen Spitznamen in der Stadt, in der sie steht. Die Rede ist von der neuen Stadtbibliothek in Stuttgart, die mal als Bücherknast, mal als Stammheim II, in Anlehnung an das berühmte Gefängnis, oder als Bücherbunker verspottet wird. Doch was ist sie wirklich, die neue Bibliothek nach den Plänen des Architekten Eun Young Yi?

Dipl. Ing. Marc Nagel

Nähert man sich dem Neubau auf einem der bereits frei gewordenen Teilgebiete des viel betitelten und viel diskutierten Geländes, das durch den Bahnhofsneubau und das Städtebauprojekt Stuttgart 21 eventuell einmal zur Verfügung stehen wird, dann wird eines klar: Die Spitznamen, die an Gefängnisse oder Hoch-Bunker erinnern, kommen nicht von ungefähr. Denn als offen und transparent kann man dieses Gebäude nicht bezeichnen. In der Stadt des Günther Behnisch und des Neuen Bauens, Stichwort Weißenhofsiedlung, sind diese Spitznamen keine sehr charmante Bezeichnung.
Verstärkt wird der fast abweisende und sehr monolithische Eindruck des 44 auf 44 großen und 40 m hohen Neubaus jedoch nicht nur durch seine architektonische Geste, sondern auch durch die städtebauliche Situation und seine Fassadengestaltung.
Liegengebliebener Pflasterstein
Denn noch steht die acht geschossige Bibliothek auf einem Gelände, das irgendwann einmal komplett bebaut sein soll. Einem Gelände, das sich jetzt aber als leer und unwirtlich darstellt, da viele Neubauten noch in Planung, im Wettbewerb oder in den Wunschvorstellungen der Stadtplaner sind. Nicht einmal das zukünftige Raster des neuen Stadtgebiets ist auszumachen, da die meisten Straßen und Wege noch nicht angelegt sind. Dies hat natürlich alles einen Grund. Als der Wettbewerb für die Bibliothek im Jahr 1999 entschieden wurde, ging man davon aus, dass bis zur Fertigstellung ein lebendiger und florierender Stadtteil in der Nähe des neuen Tiefbahnhofs gewachsen sein würde. Doch weder neuer Tiefbahnhof noch florierendes Umfeld wurden bisher Realität – die Gründe sind hinlänglich bekannt.
Aber nicht nur das triste Umfeld lässt die Bibliothek erscheinen wie einen liegengebliebenen Pflasterstein. Auch die Gestaltung gibt sich abweisend. Wenn irgendein Gebäude die Bezeichnung introvertiert verdient hat, dann dieses. Wie eine dicke Schale umschließt die in grauem Sichtbeton und Glasbausteinen gehaltene äußere Fassade den eigentlichen Baukörper und stellt so die Idee des Architekten deutlich heraus, der zeigen wollte, dass die Bibliothek ein Ort des Rückzugs und der Einkehr sei. Die Glasbausteine von Thiele Glas wurden dabei ausgewählt, weil sie besonders robust sind und dabei trotz ihrer opaken Ausführung ausreichend Licht durchlassen. Der aufmerksame Leser hat es aber bereits bemerkt, bisher ist die Rede von der äußeren Fassade. Die neue Bibliothek in Stuttgart hat jedoch eine zweischalige Hülle: Außen besagte Beton-Glasbaustein-Variante, innen die thermische Fassade, teils als Glasfassade und teils als Betonfassade ausgebildet.
Innen hui
Wie jedes Gebäude so besteht auch die Bibliothek aus einem Außen und Innen. Der Innenraum beherbergt neben den acht Obergeschossen noch ein Untergeschoss mit Veranstaltungssaal, WCs und Garderobe.
Betreten kann man das Gebäude über große, gläserne, zweiflügelige Drehtüren mit Geze Slimdrive EMD F-IS Antriebssystem. Diese zeichnen sich besonders durch ihre leise und komfortable Funktionalität aus, vor allem sind sie aber sehr robust und langlebig ausgelegt, um den hohen Besucherstrom der Bibliothek verarbeiten zu können. Übrigens: Auch die gläsernen Brandschutz-Schiebetüren, die Geze gemeinsam mit dem Türenspezialisten Hörmann entwickelte, werden von Slimdrive-Antrieben bewegt. In diesem Fall von Slimdrive SL. So konnten besonders elegante Brandschutztüren realisiert werden.
Doch zurück zum Innenraum im Allgemeinen. Bei aller Kritik am Außenauftritt, gibt es auch Grund zum Lob. Innen ist der Neubau sehr gelungen. So hat die Raumqualität in diesem Fall ihren Namen wirklich verdient – sowohl beim Herzen als auch beim Lesesaal. Das Herz ist ein Raum, wie er reduzierter kaum sein kann. Ein leerer Raum, 14 x 14 x 14 m, der im Zentrum des Gebäudes liegt und als Ort der Kontemplation gedacht ist. Dies kann er zwar nicht leisten, da er durch die vier Zugänge an allen vier Seiten und neugierige Blicke sehr frequentiert ist; zu überzeugen weiß er aber schon. Kein Wunder, vermittelt er mit seiner Einfachheit und dem sanften, blauen Licht, das durch ein Oberlicht einfällt, doch etwas, das heute selten erlebbar ist.
Bewegt man sich die Treppen hinauf, die um den inneren Quader angeordnet wurden, so erreicht man den nächsten Raum, der beeindruckt. Vorbei an den vielen Räumen mit Regalen voller Bücher in den Geschossen 1 bis 3, erreicht man ab Etage 4 den Galeriesaal. Er lässt einen unweigerlich nach oben blicken und staunen. Wie ein Trichter weitet sich der große Raum nach oben und erstrahlt ganz in weiß. Der dadurch entstehende freundliche Eindruck wird vor allem auch durch die große Lichtdecke unterstützt, die in diesen Teil der Bibliothek eine Helligkeit hinein bringt, die man nicht für möglich gehalten hätte. So wird der ganze Saal mit natürlichem Licht versorgt, das jedoch gedämpft eindringt und eine positive Lichtstimmung erzeugt. Auf Ebene 4, also der untersten Ebene des Galeriesaals, befindet sich übrigens ein Podest, wo das blaue Oberlicht des Herzens integriert ist.
Die einzelnen Galerien im großen Saal sind räumlich mit den sie umschließenden Bibliotheksräumen verbunden und beherbergen, ebenso wie diese, weitere Leihmedien. So finden im Neubau am Mailänder Platz rund 500 000 Bücher, Videos, Zeitschriften, Grafiken und Noten Platz.
Technisch ausgefeilt
Auch die weiteren Räume, rund um das Herz oder die Galerie angeordnet, das Café im obersten Stockwerk sowie der Eingangsbereich mit Selbstbedienunsgterminals und Infotheke ausgestattet, wissen zu überzeugen, können aber gegenüber Herz und Galeriesaal nicht bestehen, weil diese einfach sehr gelungen sind. Allen Räumen gemeinsam ist aber die sehr gute technische Ausstattung. Dies beginnt schon bei der Orientierung. Zur Information der Besucher wurden neue Informationsstelen von netvico eingesetzt. Die Infotafeln Digital Signage mit Touch-Screen-Technologie dienen den Besuchern dabei als Wegweiser, können aber auch auf Sonderveranstaltungen, Neuigkeiten oder andere Informationen hinweisen und sind durch ihre Interaktivität auch als Hilfestellung geeignet, wenn ein Besucher einen bestimmten Bereich erreichen will, ein Regal finden möchte oder einfach nur die Garderobe sucht. Die Softwaregestaltung der 13 Stelen wurden dabei von netvico in Zusammenarbeit mit Totems Communication GmbH realisiert.
Der engagierte Projektsteuerer Drees & Sommer, der gemeinsam mit den Architekten auch vor der Herausforderung stand, dass ein noch nicht genutzter Stadtbahn-Tunnel unter dem Gebäude verlaufen sollte, und die übrigen Partner leisteten hier gute Arbeit. So wurde beispielsweise die gesamte Elektroinstallation und Medientechnik vom Ingenieurbüro Conplaning GmbH aus Ulm realisiert. Die Planer sorgten dafür, dass die rund sechs Millionen Euro, die alleine für die Elektroinstallationen im Gebäude veranschlagt waren, klug verwendet wurden. Das Ergebnis sind 436 000 m Kabel für elektrische Leitungen und Fernmeldeeinrichtungen, 2 350 Beleuchtungskörper für ausreichend Licht, 605 Brandmelder sowie zusätzlich 150 000 m Kabel für EDV-Einrichtungen. Dazu kommen noch 16 Plasmabildschirme mit einer Größe von 64 Zoll, die für Kunstprojekte und Informationen im Erdgeschoss genutzt werden können.
Zum Ende bleibt ein Nachgeschmack
Trotzt dieser sehr schönen Ergebnisse bleibt am Ende ein leicht unguter Nachgeschmack.Viel Lob kann man für die technische Ausstattung vergeben, ebenso für die beeindruckenden Raumqualitäten der jeweiligen Räume – vor allem für das Herz und den Galeriesaal. Leider muss man aber in Sachen Funktionalität Abstriche machen. Weder aus dem Entwurf noch aus dem Grundriss wird klar, warum man in einem solch großen, stark frequentierten Gebäude lediglich eine Toilette im Untergeschoss und eine kleine im obersten Geschoss vorgesehen hat. Das ist, und hier müssen sich Planer wie Bauherr in die Verantwortung nehmen lassen, weder funktional noch verständlich. Vor allem auf der Ebene der Kinderbücher, schön ausgestattet mit Spielecke, keine Toilette und somit keinen Wickelraum vorzusehen, ist weltfremd.
Architekten: Yi Architects, Köln
Unsere Top-3-Projekte des Monats
MeistgelesenNeueste Artikel

Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der bba-Infoservice? Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum bba-Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des bba-Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de