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Zeitgemäß und denkmalgerecht

Energetische Sanierung einer Turnhalle in Kassel
Zeitgemäß und denkmalgerecht

Mit der „Bürgerschule“, heute staatliche Reformschule, wurde 1904 die dazugehörige Turnhalle in Kassel errichtet. Da die Standsicherheit der Dachkonstruktion nicht mehr gewährleistet war, sollte die Halle abgerissen werden. Im Rahmen eines Konjunkturpaketes konnte die Stadt unerwartet Gelder für eine umfangreiche energetische Sanierung bereitstellen.

Anne Fingerling

Im zweiten Weltkrieg war die Halle stark beschädigt worden. Beim Wiederaufbau in den 1950er Jahren erhielt sie über die gesamte Westfassade einen flachen Anbau, in dem nun erstmals Umkleideräume und Toiletten zur Verfügung standen. Anstelle der ursprünglich filigranen, bodentiefen Rundbogenfenster wurden zweckmäßige Betonrahmenfenster mit Sicherheitsglas eingebaut, die mit der Dachkante des Anbaus bündig abschlossen. Die Ziegelwände wurden außen weiß gestrichen. Lediglich die gemauerten Rundbögen erinnerten noch an die historische Gliederung der Fassade.
Das originale Dach-Tragwerk aus einer schlanken Holz-Stahlkonstruktion blieb erhalten. Jedoch verschwand das ursprünglich von innen sichtbare, genietete und lackierte Stahltragwerk unter einer holzverschalten Zwischendecke. Darin eingebaute Warmluftstrahler, gespeist über Wasserzirkulation, dienten der Beheizung der Halle – wenn auch höchst uneffizient und geräuschintensiv. Allein durch die Modernisierung der Heizung hätte man vermutlich schon eine Energieeinsparung von bis zu 50 % erzielen können. Hinzu kamen die undichten Betonrahmenfenster aus der Nachkriegszeit. In dieser baulichen Form wurde die Halle bis Ende 2009 genutzt.
Einzelbauteilnachweis
Im Falle eines Baudenkmales sieht die Energieeinsparverordnung (EnEV) die Möglichkeit eines Einzelbauteilnachweises vor. Demnach kann jedes Bauteil für sich betrachtet werden, um eine in energetischer sowie wirtschaftlicher Hinsicht optimale Lösung zu finden.
Für den Altbestand der Halle von 1904 kam aus Gründen des Denkmalschutzes keine Außendämmung in Frage.
Die Möglichkeit einer Innendämmung wurde zwar diskutiert, aber „es gab wegen der Sporthallennutzung physikalische Bedenken. Ein weiterer Aspekt war die Ballwurfsicherheit“, erinnert sich der zuständige Architekt Martin Schneid von Ohlmeier Architekten BDA an die Diskussionen. Schließlich wurden die Außenwände gar nicht gedämmt, „sondern alles andere, was aus bauphysikalischer Sicht unproblematisch ist, wie etwa Sohle und Dach.“
Behutsame Eingriffe
Die Umfassungswände der Halle wurden von außen lediglich optisch überarbeitet, indem der Klinker gereinigt und die Felder oberhalb der Fenster neu verputzt und hell gestrichen wurden. Die Bögen, ursprünglich vermutlich in Sichtklinker, erhielten einen neuen Anstrich in einem Terrakotta-Farbton. Im Innenraum dient eine Holzverschalung bis in eine Höhe von 2,50 m als Prallschutz und verbessert zugleich die Raumakustik. Im oberen Abschnitt bis unter die Decke sind die Innenwände neu verputzt und gestrichen. Neben der Haustechnik wurden auch die Fenster vollständig erneuert.
„Die Formatierung der Fenster, die ganz widersprüchlich ist zu der alten Struktur, musste man aus finanzieller und funktionaler Sicht als gegeben hinnehmen“, erklärt Martin Schneid.
Es wurde eine Holz-Aluminium-Konstruktion (System Lara von Gutmann) in einer anderen Gliederung mit Doppelpfosten gewählt – als „kleines Zitat der alten Fensterteilung.“ Die Verglasung mit TGI-Randverbund ist ballwurfsicher nach DIN 18032 (Isophon Glas).
Neue Dachkonstruktion
Das Gebäude sollte nach historischem Vorbild wieder ein Satteldach als offene Konstruktion erhalten. Nach dem Entfernen der Zwischendecke trat zutage, in welch schlechtem Zustand sich das Stahlfachwerk und die Aussteifungen befanden. Aus wirtschaftlichen Gründen wurde die Konstruktion schließlich komplett abgetragen und durch eine gängige Nagelbinderkonstruktion mit Holz- und Stahlaussteifungen ersetzt. Innerhalb der Dachebene verlaufen nun große Stahlfachwerkträger, die das gesamte Gebäude aussteifen; damit werden heutige statische Anforderungen erfüllt.
Die Träger sind bis in die Außenwände eingebunden. Auf dem darunter hängenden Tragwerk befindet sich die Dämmebene (180 mm Mineralwolle, WLG 035 / Ursa DF 035-h) sowie eine Lärchenholzverschalung als Deckenuntersicht. Die Binder sind außen wie zuvor mit Latten belegt und mit Doppelmuldenfalzziegeln gedeckt. „Innen kann man den Eindruck des Satteldaches wieder erleben, wenn auch mit etwas flacherem Winkel“, so Martin Schneid. Die Tragwerkshöhe beträgt etwa 2 m.
Neue Sohle mit Fußbodenheizung
Im Zuge des Umbaus stellte sich heraus, dass in den 1950er Jahren eine neue Betonsohle eingezogen worden war. Ursprünglich hatte die Halle eine Holzbalkendecke, was anhand der in den Wänden noch vorhandenen Auflager der Deckenbalken nachweisbar war. Da sich die Beton-Konstruktion noch in gutem Zustand befand, verblieb sie aus Kostengründen als Unterkonstruktion. Der Hallenboden lag 15 cm tiefer als im angrenzenden Flachdachanbau.
„Dadurch, dass wir in den Nebenräumen 10 cm Dämmung machen mussten, haben wir in der Halle fast 20 cm Dämmstärke. Der konstruktiv erforderliche Höhenausgleich ist also der Dämmung zugute gekommen“, erklärt Architekt Schneid.
Die Anhebung des Niveaus um rund 15 cm war für die vorhandene Raumhöhe kein Problem. Zunächst liegt auf der Betonsohle die Wärmedämmung (120 mm EPS WLG 035 + 4 cm Schüttung). Dann folgt eine Dämmplatte (40 mm) mit integrierter Fußbodenheizung (System Thermo-Lutz), darauf ein Stahlblech (0,7 mm) zur Wärmeverteilung sowie eine Schwingungsmatte aus einem 12 mm starken Verbundschaum, welche die Dämpfung herstellt. Darüber sind Sperrholzplatten zweilagig (2 x 9 mm) verleimt, abschließend folgt ein Linoleumbelag. Die Halle verfügt also nun über einen schwingenden Boden, der zugleich der effizienten Wärmeerzeugung dient, gespeist über die Gasbrennwerttherme im Hauptgebäude der Schule.
Anbau neu „eingekleidet“
Der rein funktionale Anbau aus der Nachkriegszeit hatte keinerlei denkmalpflegerischen Wert und wurde daher komplett saniert. Die Außenwände erhielten rundum ein klassisches Wärmedämmverbundsystem aus Polystyrol. Zum Einsatz kam ein spezielles Carbon-System (alsecco alprotect carbon), „für stärkere Beanspruchungen im Schulbereich, wo man auch mal einen Ball dagegen schießen kann, ohne gleich ein Loch drin zu haben“, erläutert Martin Schneid. Das neue Betondach erhielt eine Gefälledämmung aus 20 cm Polystyrol.
Kein historisierender Rückbau
Ziel der Maßnahme war kein historisierender Rückbau des Bauwerkes. Den Kern bildet die denkmalgeschützte Halle von 1904. Die Anbauten aus den 1950er Jahren wurden entsprechend als nachträgliche, rein zweckmäßige Ergänzung behandelt und unter zeitgemäßen Aspekten saniert, so dass nun ein Gesamtergebnis auf dem Stand von 2010 erzielt werden konnte, „das zwar die historischen Raumqualitäten aufnimmt und wieder herausarbeitet, aber ansonsten, was die Materialität angeht, eine völlige Neuinterpretation ist“, so Martin Schneid.
U-Werte nach der Sanierung
Dach Halle 0,20 W/(m2 K) Außenwand Halle 1,38 W/(m2 K) Dach Anbau 0,17 W/(m2 K) Außenwand Anbau 0,21 W/(m2 K) Fenster 1,3 W/(m2 K) Boden Halle 0,17 W/(m2 K) Boden Anbau 0,38 W/(m2 K)
Architekt: Dipl. Ing. Architekt Martin Schneid, Ohlmeier Architekten BDA, Kassel-Bad Wilhelmshöhe
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