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Virtuos gestapelt

Neubau eines Museums in Antwerpen
Virtuos gestapelt

Im belgischen Antwerpen ist das „Museum aan de Stroom“ MAS fertig gestellt worden. Der 60 m hohe Neubau der Rotterdamer Neutelings Riedijk Architecten wird ab Mai 2011 einen Blick auf die Stadtgeschichte bieten. Die kraftvoll plastische Architektur mit roten Sandsteinfassaden und großen Fronten aus wellenförmig gegossenem Glas macht das Museum zu einem Wahrzeichen im transformierten Hafenviertel.

Robert Uhde

Antwerpen ist ein Ort voller Kontraste: Im 15. und 16. Jahrhundert war die flämische Metropole eine der bedeutendsten Handelsstädte der Welt – auf einer Höhe mit Genua, Florenz oder Venedig. Rund 500 Jahre später ist diese einstige Bedeutung zwar zum größten Teil Geschichte, doch auch heute noch zählt der riesige Seehafen Antwerpens am Fluss Schelde gemeinsam mit denen in Rotterdam und Hamburg zu den drei größten Containerumschlagplätzen in Europa. Darüber hinaus wird die Rubens-Stadt durch ihr berühmtes Diamantenviertel, das europaweit größte Jüdische Viertel sowie durch ihr mittelalterliches Zentrum mit seinen zahllosen historischen Sehenswürdigkeiten geprägt. In den vergangenen Jahren hat sich Antwerpen außerdem zu einer bedeutenden europäischen Modemetropole entwickelt.
Eine neue Seite der Stadtgeschichte wird gegenwärtig im Bereich der historischen Hafenanlagen am nördlichen Rand der Innenstadt aufgeschlagen. Nachdem ein großer Teil der Hafenaktivitäten mit dem Aufkommen neuer Containerschiffe seit den 1970er-Jahren immer weiter flussabwärts verlagert worden war, lagen die alten Quai-Anlagen wie in vielen anderen europäischen Hafenstädten zunehmend brach. Inzwischen wird das rund 170 ha große, „Het Eilandje“ genannte Areal auf Basis einer städtebaulichen Masterplanung des spanischen Architekten Manuel de Solà-Morales zu einem hoch verdichteten Büro-, Wohn- und Dienstleistungsquartier umgenutzt. Die noch vorhandenen Lagerhäuser aus dem 19. Jahrhunderts werden dabei sukzessive zu stilvollen Lofts und Büros umgewandelt und durch neue Bebauungen unter anderem von Diener + Diener, Hans Kollhoff oder David Chipperfield ergänzt.
Bedeutsamer Schnittpunkt
Am südlichen Rand des Areals – auf einer kleinen Landzunge zwischen dem als Museumshafen vorgesehenen Bonapartedok und dem als Yachthafen genutzten Willemdok – wurde jetzt der Neubau des MAS fertiggestellt, der ab Mai 2011 das neue Museum für Stadtgeschichte beherbergen soll. Der 62 m hohe, auf Basis eines 2000 ausgeschriebenen Wettbewerbs von den Rotterdamer Neutelings Riedijk Architecten entwickelte Neubau schafft einen weithin sichtbaren Blickfang im Übergang zur historischen Innenstadt und fungiert gleichzeitig als wichtiger Katalysator für die weitere Entwicklung des Gebietes. Auf insgesamt zehn Ebenen mit einer Nutzfläche von rund 20 000 m² sollen hier die bislang an verschiedenen Standorten untergebrachten Sammlungen des Nationalen Schifffahrtsmuseums, des Völkerkundemuseums und des Museums Vleeshuis unter einem Dach zusammengeführt werden.
Der Standort für das Museum ist nicht nur aus städtebaulichen Gesichtspunkten bedeutsam, es spielte auch historisch eine wichtige Rolle. Denn genau hier lag einst das prachtvolle Hansehaus aus dem Jahr 1568. Der rund 80 m lange viergeschossige Komplex diente Jahrhunderte lang als Büro, Clubhaus, Hotel und Lager der Organisation, bevor er schließlich 1893 vollständig niederbrannte. Als nahtlose Fortschreibung der Geschichte der Stadt wurde der als massive Stahlbetonkonstruktion errichtete Museumsneubau direkt über den freigelegten und sorgsam dokumentierten Fundamenten des Vorgängerbaus errichtet.
Planungskonzept
Bei ihrer Planung ließen sich die beiden Projektarchitekten Michiel Riedijk und Willem Jan Neutelings, der selbst in Antwerpen lebt, ganz bewusst durch die massive Backsteinarchitektur der vorhandenen Lagerhäuser inspirieren. Im virtuos inszenierten Spiel der Geometrien entstand schließlich ein modern interpretiertes „Stapelhuis“ aus orthogonal übereinander gestapelten, auf mächtigen Stahlträgern ruhenden und nach außen mit rotem Sandstein verkleideten Betonkuben, die in sämtlichen Ebenen eine flexible und stützenfreie Hülle für die unterschiedlichen Funktionen des Museums schaffen. Im 12 x 12 m großen Stahlbetonkern des Gebäudes wurden die Aufzüge und Brandschutztreppen sowie ein vertikaler Technikschacht integriert. Sämtliche technische Installationen und Lüftungsvorrichtungen für die einzelnen Ausstellungsebenen sind in speziellen Zwischenebenen untergebracht.
Die Erschließung der einzelnen Ebenen erfolgt über ein stufenförmig entlang der Fassade nach oben aufsteigendes gläsernes Erschließungsband mit Rolltreppen – der Verweis auf das Pariser Centre Pompidou mit seiner entlang der Fassade aufsteigenden Rolltreppe ist unübersehbar. Das dynamische Zusammenspiel der roten Natursteinquader mit den großformatigen, als Negativform eingearbeiteten Glasfronten im Bereich der Rolltreppen lässt den Eindruck entstehen, als sei der massive Baukörper wie eine gigantische Spirale oder ein Akkordeon auseinander gezogen worden.
Zusätzlichen Reiz bietet die Verwendung von wellenförmig gegossenem Glas, durch die die einzelnen Fensterfronten selbst aus der Nähe betrachtet wie aneinander gereihte Glasröhren erscheinen. Die Glasfront setzt sich zusammen aus 5,50 m hohen und 1,80 m breiten Glasplatten mit einem Wellenprofil von 60 cm. Das Profil ermöglicht eine deutlich erhöhte Stabilität, so dass die Planer möglichst große Flächen mit maximaler Transparenz ohne störende Stahlprofile einsetzen konnten. In den Kantenbereichen wurden jeweils zwei Platten übereinander mit einer Höhe von 11 m platziert.
Räumliche Offenheit
Der Weg von der Innenstadt zum Museum führt vorbei an einem als Museumsshop vorgesehenen Außenpavillon und einer durch den belgischen Künstler Luc Tuymans als Mosaik gestalteten Außenfläche, die künftig für Freiluftveranstaltungen zur Verfügung stehen soll. Durch den unauffällig gehaltenen Haupteingang in der leicht zurück liegenden Glasfront werden die Besucher dann zunächst durch ein offenes und lichtdurchflutetes Foyer empfangen. Im rückwärtigen Teil des Erdgeschosses steht ein Café mit Außenterrasse nach Süden zur Verfügung, direkt neben dem Empfang startet der Ausstellungs-Parcours mit den stufenförmig entlang der Außenfassade aufsteigenden Rolltreppen. Die rahmenlos ausgeführte Verglasung ermöglicht dabei fortwährend neue Rundum-Ausblicke über die Stadt und den Hafen und betont so die Bedeutung der Stadt als zentralem Exponat des Museums.
Im ersten Obergeschoss integrierten die Architekten zwei Quader für die Verwaltung und das Archiv des Museums, in den Geschossen zwei bis acht finden sich sieben flexibel nutzbare, als „black boxes“ konzipierte Ausstellungsräume, in denen unterschiedlichste Aspekte und Exponate zur Stadtgeschichte gezeigt werden sollen. Im Dachgeschoss sind außerdem ein Restaurant mit angrenzender Freiluftterrasse sowie ein Konferenzraum vorgesehen.
Bei der Klimatisierung des Gebäudes setzten die Planer auf den dynamischen Austausch zwischen den temperatursensiblen Ausstellungsräumen und den großflächigen Erschließungsbereichen, in denen nach Angaben der Architekten Temperaturen zwischen 12 °C und 30 °C tolerierbar sind. Im Sommer wird überschüssige Wärme aus den Ausstellungsbereichen über die Erschließungsbereiche nach außen geführt, im Winter wird aufgewärmte Luft in den Außengalerien dagegen zur Erwärmung der Ausstellungsräume genutzt. Zusätzlich nötige Energie für die sommerliche Kühlung stellt das im Vergleich zur Außenluft deutlich kühlere, und über Pumpen und Wärmetauscher für die Kühlung nutzbar gemachte Hafenwasser des Bonapartedok bereit.
Außenhülle mit Symbolcharakter
Bei der Suche nach einem geeigneten Material für die Außenhülle des Neubaus fiel die Wahl in Anlehnung an die vorhandene Backsteinbebauung in der Umgebung auf rote Sandsteinplatten aus der Region Rajasthan in Nordwest-Indien. Die vor Ort an die Fassaden aus vorgefertigten Betonplatten montierten Tafeln betonen den schweren „rubensartigen“ Charakter des Neubaus und verankern ihn fest im neuen Hafenquartier von Antwerpen. In bewusster Abkehr vom modernistischen Dogma der „ehrlichen“ Fassade lässt die nur durch wenige kleinere Fenster geöffnete Außenhülle dabei keinerlei Rückschlüsse auf die innere Struktur oder die Funktion des Gebäudes, sondern fungiert eher als architektonisches Logo. Betont wird dieser Eindruck durch die 3 185 auf die Fassadentafeln aufgebrachten, nur aus der Nähe zu entschlüsselnden Hände aus Aluminium. Die kunstvoll inszenierte Montage fungiert als subtiler Verweis auf die Stadt Antwerpen, dessen Name sich einer Legende nach aus dem Begriff „Hand werfen“ ableitet. Im Innenbereich des MAS wurden alternativ 3000 nach Entwürfen von Tom Lanoye und Tom Hautekiet ebenfalls aus Aluminium gestaltete Medaillons als moderne Stadtwappen auf die Fassade aufgebracht.
Alles in allem wurden für die Außenhülle des Neubaus in Antwerpen insgesamt 9 000 Sandsteinplatten im Format von jeweils 100 x 60 cm und in vier unterschiedlichen Farbnuancen nach einem am Computer generierten Raster eingesetzt. Weitere 3 000 Platten wurden als Bodenbelag im Innenraum verlegt, um so einen fließenden Übergang zwischen innen und außen zu schaffen.
Die leicht differierende Farbigkeit der einzelnen Platten betont den dynamischen Aufbau der Fassade und erzeugt von weitem betrachtet den Eindruck von bewegten farbigen Pixeln, die je nach Tageszeit und Wetter unterschiedlichste Schattierungen zeigen – als gelungener Reflex auf die Spiegelungen im Wasser und im bewussten Kontrast zur Schwere des Materials.
Planung: Neutelings Riedijk Architecten, Rotterdam Statik: ABT, Antwerpen Bauphysik: Peutz ingenieuze adviseurs, Mook (NL) Platzgestaltung: Luc Tuymans Medaillons Entwurf: Tom Lanoye (Text) und Tom Hautekiet (Gestaltung)
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