Startseite » Mauerwerk » Vormauer | Klinker | Riemchen »

Verfeinert trotz vieler Köche

Neubau des Rathauses inklusive Kino in Haarlem in den Niederlanden
Verfeinert trotz vieler Köche

Zehn Jahre Planungs- und Bauzeit sind wahrlich keine Kleinigkeit. In Haarlem, westlich von Amsterdam gelegen, begleiteten Bolles + Wilson aus Münster diesen ebenso langen wie spannenden Prozess als Planer und Architekten. Das Endergebnis ist gelungen, wenn auch die heutige Struktur und Nutzung wenig mit dem ursprünglichen Gedanken zu tun haben: Statt als Casino mit Kino genutzt zu werden, beherbergt der Bau nun unter anderem das Rathaus von Haarlem.

Dipl. Ing. Marc Nagel | jo

Haarlem, mittelalterliches Zentrum Hollands und heute ein Touristenort, ist vor allem durch seine Stadtstruktur und die vielen, teils gotischen, teils neo-gotischen Bauwerke geprägt. Neben dem historischen Bestand verfügt die Stadt im Westen von Amsterdam auch über moderne architektonische Beispiele. So sind etwa der Umbau des Justizgebäudes zu nennen oder aber eben die Umgestaltung des Stadtquartiers im Westen der Innenstadt. Innerhalb der ehemaligen Stadtmauer gelegen und den Rand der ursprünglichen Stadt markierend, wurde an der Zijlvest das Raaks Kwartier umgestaltet. Nach dem Masterplan von Kraajvanger Urbis (Donald Lambert) sollte am Rand der Altstadt und zu einer der großen Grachten ein deutlich erkennbar eigenständiges, in seine Umgebung jedoch passendes Quartier geschaffen werden. Vor allem die Nutzung für Freizeiteinrichtungen stand ursprünglich im Fokus.
Wandel der Nutzungen
Bolles + Wilson wurden mit der Gestaltung des äußeren Eckblocks im Nordwesten des Quartiers beauftragt und hatten dort die Nutzung eines unterirdischen Casinos mit Parkhaus sowie eines oberirdischen Multiplexkinos zu berücksichtigen.
Doch während der Planungsphase, die von gemeinsamen Workshops mit Nachbarn, der Stadt sowie den Verfassern des Masterplans geprägt waren, wurde die Nutzung neu bestimmt. So wollte man die Kinonutzung in den Untergrund und die Casino-Nutzung in den oberen Gebäudeteil verlegen. Doch auch diese Pläne hatten nicht lange Bestand. Nach weiteren Überlegungen seitens der Stadt wurde beschlossen, das ursprünglich für einen anderen Standort geplante Rathaus in diesen Komplex zu integrieren und dafür das Casino aufzugeben. Mit dem Vorhaben, ein repräsentatives und für die Stadt Haarlem wichtiges Gebäude wie das Rathaus hier unterzubringen, wurden wiederum neue Workshops initiiert. In deren Verlauf und unter Beteiligung der Architekten von Bolles + Wilson, dem Stadtrat Chris van Velzen und den Architekten des Büros Henk Döll, die ursprünglich das Rathaus geplant hatten, wurde dann auch der eigentliche, sehr monolithische und nahezu fensterlose Baukörper umgestaltet und angepasst. Bolles + Wilson beschäftigten sich in der Folge mit der Gebäudestruktur und der Fassadengestaltung, während Döll architecten aus Rotterdam die Innenraumgestaltung des Rathauses übernahmen.
Historische Bezüge – moderne Sprache
Das Endergebnis passt zu seinem Standort ebenso wie zur Stadt insgesamt. Mit seiner roten Klinkerfassade, der Verwendung historischer Bauelemente und seinem kleinen Rathausturm wurde dem Baukörper ein historischer Bezug gegeben, den er ansonsten nicht hätte. Die Fassade ist dabei gegenüber dem ursprünglichen, sehr monolithischen Entwurf in ihrer heutigen Form durchaus abwechslungsreich. So lebt sie von Gebäudevorsprüngen in den unteren beiden Geschossen und Rücksprüngen im darüber liegenden Bereich. Aber auch die Fassade selbst, die Verarbeitung der Klinker und die Anordnung der Fassadenöffnungen wissen zu gefallen. Im nordwestlichen Gebäudeteil, der auch mit dem Rathausturm gekrönt wurde, wird das Erdgeschoss vom Eingang zum Rathaus dominiert, der großzügig verglast die Eingangshalle beherbergt. In den oberen Geschossen setzten die Architekten zur Auflockerung der Fassade horizontal angeordnete Fensterkästen an die Außenwand und kombinierten diese mit vertikalen Fensterbändern.
Zudem scheinen bei der Klinkerfassade auf den ersten Blick zweierlei Klinker mit unterschiedlichen Farbtönen verwendet worden zu sein. Beim genaueren Hinsehen entpuppt sich dies aber als optisches Spiel. So wurde tatsächlich nur ein Ziegel-Typ – allerdings eine Mischung aus dunklen und hellen Ziegeln – verwendet, der jedoch durch unterschiedlich eingefärbte Fugen und zwei unterschiedliche Verarbeitungen der Ziegel seine Wirkung erzielt. Für die Fugen wurden Mörtel von Beamix eingesetzt, der beim plan gemauerten Fassadenbereich als Mörtel Heidebloesem Nuances im Farbton 2210 (rosé) und beim profilierten Mauerwerk als Mörtel Zonsopgang Nuances im Farbton 2168 (rot) verwendet wurde. Die rosé-farbene Fuge verleiht den plan verarbeiteten Fassadenabschnitten einen stärkeren Kontrast. Dieser ist bei den profilierten Bereichen nicht notwendig. Daher passt hier der rote Mörtel wesentlich besser zum Gesamtbild. Denn die Kontraste entstehen bei diesen Abschnitten durch die Art der Verarbeitung. So wurden meist drei Lagen Ziegel plan verlegt und die vierte Reihe leicht nach vorne versetzt angeordnet. Dadurch erhält die Fassade in diesem Bereich einen besonderen, spannenden Charakter.
Da die Planer ein typisches Gebäude mit typischen Materialien der Region verwenden wollten, wählten sie einen Klinker aus der Umgebung als Fassadenmaterial. Dieser stammt von den Vandersanden Steenfabrieken. Verwendet wurde der Stein Viola Nr. 12 als Handform, Wilder Verband im Format 214 x 101 x 50. Er zeichnet sich, wie der Name „Wilder Verband“ bereits andeutet, vor allem durch die starke Mischung der rotbraunen Farbtöne aus, die teilweise in grau-braunen Bereichen liegen.
Offene Ein- und Durchgänge
Bei der Fassadengestaltung fallen in einzelnen Bereichen immer wieder historisch wirkende Elemente auf, die in den Baukörper integriert oder an die Fassade angeflanscht wurden. Dabei handelt es sich um Bauelemente eines Vorgängerbaus aus dem 19. Jahrhundert, der dem Neubau weichen musste. Um die Bauteile vor die tragenden Wände zu hängen, wurde Carlo Scarpas Verona Technik angewandt. So tauchen sowohl Bögen als auch Figuren auf. Sogar Ankereisen von Holzbalken wurden an der Fassade angebracht und dienen nun als Ornament und nicht als Konstruktionsdetail.
Einziger Wermutstropfen bei der Gebäudegestaltung ist die Tiefgaragenzufahrt im Südwesten des Gebäudes. Diese war leider Vorgabe aus dem masterplan, wurde aber nicht sonderlich elegant gelöst. Die Eingänge zu den beiden Hauptnutzungen Rathaus und Kino sind hingegen gelungen. Große Glasfassaden dienen als offene Eingänge und ergänzen das Konzept der Durchgänge, das im gesamten Quartier beherzigt wurde. Die Glasfassaden von Rollecate B.V. tragen großformatige Elemente und geben bereits von außen den Blick auf die Nutzung frei. Vor allem im Bereich des Rathauses hat dies auch eine symbolische Wirkung. Denn dieser Ort für die Bürger sollte dementsprechend einladend auf die Bürger wirken. Ein ebenfalls verklinkerter Rahmen markiert zudem den Haupteingang und hebt ihn gegenüber der Verglasung ab.
Innen erwartet den Besucher dann eine große Halle mit einer eingezogenen Ebene in Form einer Galerie. Zu ihr führt eine sehr elegante, frei tragende Treppe, die sich nach oben „schraubt“. Sie wurde von den für die Innengestaltung zuständigen Planern von Döll architecten entworfen und in deren Auftrag entsprechend gefertigt. Sie sticht ebenso wie die Galerie gegenüber dem Boden heraus, weil sie mit ihrem Weiß einen Kontrast zum dunklen Steinboden bildet. Hier verwendeten die Architekten einen Schiefer mit der Bezeichnung China Black Slate von Dekker Natuursteen.
Spannende, harmonische Innenräume
Überhaupt kommt den Böden im Rathaus eine besondere Rolle zu. Sie wirken alle sehr harmonisch in die Gesamtgestaltung eingebettet. Die Erschließungsbereiche wurden mit einem weißen Epoxidharzboden von Bolidt, Typ top 225, versehen und gehen hier erneut eine Kontrastverbindung zum dunklen Teppichboden des Typs Neo in den Bürobereichen ein. Dieser stammt von Desso und zeichnet sich besonders durch seine hohe Strapazierfähigkeit aus. Auch die Möblierung zeigt auf, dass sich die Architekten sehr viel bei der Farbgestaltung gedacht haben. Dies gilt ebenso für die Selbstbedienungsterminals und die Thekenbereiche in der Eingangshalle als auch für die Büromöblierung. Sie passen allesamt mit hellem Holz und hellen Farbtönen zu den in diesen Bereichen dunklen Böden.
Gestalterisch mit ihrem Weiß nicht ganz so relevant, dafür für die Funktionalität dennoch wesentlich sind die Decken in den öffentlich zugänglichen Bereichen. Um hier den erhöhten Schall zu absorbieren, wurden Akustikdecken des Typs Norma Grid (Kreuzbandrasterdecken aus Metall) von Integra Ceiling Systems eingesetzt. Sie sind in verschiedenen Formaten erhältlich und dank des Rasterträgers mit Einlegeelementen schnell montiert und im Revisionsfall ebenso zügig zugänglich.
Doch die technischen Details und funktionalen Lösungen sind offen gesagt nicht die Höhepunkte dieses Gebäudes. Es sind ganz klar die gestalterischen Feinheiten, die es erwähnens- und betrachtenswert machen. Auch wenn die Planungs- und Entwurfsphase von vielen Köchen geprägt war und die Nutzungswechsel die Arbeit der Architekten wahrlich nicht vereinfacht haben dürften, ist dieses Gebäude kein verdorbener Brei, sondern ein gut gestaltetes Element in einer lebendigen Stadtstruktur. Trotz oder gerade wegen zehn Jahren Planung.
Peter L. Wilson, Bolles + Wilson: „Transformative Prozesse, insbesondere jene, die sich mit delikat “feinkörnigen” historischen Städten wie Haarlem befassen, sind komplex und brauchen Zeit. Im Fall des Raaks Projektes dauerte es mehr als zehn Jahre, um vom wohlüberlegten städtischen Masterplan die richtige Nutzung für das Gebäude zu finden. Aus einem Casino wurde am Ende das Rathaus, was die ersehnte Gelegenheit bot, Volumen und Maßstäblichkeit des Gebäudes zu verfeinern und bislang fehlende Fensteröffnungen zu integrieren.“ „Glücklicherweise konnte schließlich aus dem anfangs geplanten Casino das Rathaus werden – ein bedeutendes und repräsentatives Gebäude als Ankerpunkt im klein-maßstäblichen Stadtgefüge des urbanen Quartiers.”
Architekten: BOLLES + WILSON, Münster und Döll architecten, Rotterdam
Tags
Unsere Top-3-Projekte des Monats
MeistgelesenNeueste Artikel

Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der bba-Infoservice? Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum bba-Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des bba-Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de