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Markant unaufdringlich

Neubau eines Besucherzentrums in Kassel
Markant unaufdringlich

Der Bergpark mit dem Herkules-Bauwerk wird von der UNESCO als Welterbe-Stätten-Kandidat geprüft. Jetzt bietet das neue Besucherzentrum von Staab Architekten Gästen aus aller Welt die entsprechende Infrastruktur. Der Ortbetonbau zeigt sich mit Sichtbetonflächen innen wie außen; außen erinnern sie an den Naturstein des historischen Bauwerks.

Susanne Ehrlinger, Berlin

„An keinem anderen Ort der Erde ist es dem Menschen gelungen, die Beherrschung der Natur am Beispiel des Wassers derart monumental in Szene zu setzen wie in Kassel. Der 550 ha große Bergpark mit seinen künstlerisch wie technisch raffinierten Wasserkünsten und dem Wassereinzugsgebiet ist ein einzigartiges Beispiel für den fürstlichen Repräsentationswillen des Absolutismus“, so die hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst Kühne-Hörmann. Mit ihrer Aussage unterstreicht die Politikerin das von der UNESCO für ein Welterbe geforderte zentrale Kriterium des außergewöhnlichen, universellen Werts („Outstanding Universal Value“). Tatsächlich fasziniert die Parkanlage in Kassel seit 300 Jahren ihre Besucher. Über allem thront seit jeher Herkules, ein steinernes Monument aus Tuffstein.
In enger Absprache mit den Experten der Denkmalpflege realisierten Staab Architekten ein Besucherzentrum, das als Entree zum Bergpark dient. Im Innern ist der Ticketverkauf organisiert; Besucher erhalten auf Text- und Bildtafeln Auskünfte über die Geschichte des Parks, die Wasserkünste und die Herkulesfigur mit ihrer Bedeutung für die Stadt Kassel. Last not least werden im Shop Bücher und Souvenirs angeboten.
Klare Ausrichtung
In Anbetracht der sensiblen Lage im unmittelbaren Umfeld des möglichen Weltkulturerbes entwickelten die Architekten den Baukörper als landschaftliches Element: Am Übergang zwischen Grünraum und Parkplatz schufen sie einen reliefartig ausgebildeten Findling aus Sichtbeton, der in seiner handwerklich anmutenden Materialität eine Analogie zum Naturstein des Monuments darstellt. Das eigenständige Gebäude ist markant und doch unaufdringlich.
Oder, wie es Ernst Wegener, stellvertretender Abteilungsleiter Kultur und Kunst und Gesamtprojektleiter Museumslandschaft Kassel, formulierte: „Ein Neubau dieser Art muss sich in seiner Qualität an dem historischen Bestand messen lassen und sich ihm unterordnen. Seine Architektur muss über jeden Zweifel erhaben sein. Er darf sich aber auch nicht in den Vordergrund drängen.“
Die Gratwanderung zwischen architektonischer Präsenz und Zurückhaltung ist Staab Architekten überzeugend gelungen. Sie entwarfen eine knapp 60 m lange und bis zu 7 m hohe polygonale Figur, die im Innern ein umfangreiches Raumprogramm abwickelt und sich in ihrer Wirkung doch komplett auf das höher gelegene Monument fokussiert. Architekt Jens Achtermann hat als Projektleiter den Entwurf von der detailgenauen Planzeichnung bis in die Realität umgesetzt. Das Gebäude lebt aus der Inszenierung des Herkules. Im Hauptraum richteten die Architekten die Mittelachse des 3 x 6 m großen Panoramafensters exakt auf die Herkules-Figur hin aus. So erfüllt der Bau am genau definierten Standort seinen Zweck, die Besucher auf die Besonderheit des historischen Bauwerks einzustimmen.
Sichtbeton für alle Flächen
Als Teil der Topografie gestalteten die Architekten den Ortbetonbau komplett in Sichtbeton. Im Innern bilden die Wände und Decken aus glatt geschaltem Sichtbeton den ruhigen Kontrast zur Möblierung. Gemeinsam mit den Rohbauern realisierten die Architekten sehr glatte, fast weich anmutende Betonflächen, die nur durch das präzise vorgegebene Bild der Schaltafeln und Ankerkonen durchbrochen ist. Die Oberfläche und Betongüte entspricht hier der höchsten Sichtbetonklasse SB4. Außen zeigen die Gebäudehülle und das Dach als fünfte Fassade ein reliefartiges Bild. Der Abdruck sägerauer Brettchen, die in verschiedenen Dicken in die Schalung eingepasst wurden, erinnert teils an die ursprüngliche, authentische Betonproduktion. Durch eine zusätzliche leichte Oberflächenbearbeitung – die Fassaden wurden nochmals leicht sandgestrahlt – schwächten die Architekten diese puristische Anmutung etwas ab und näherten die Wirkung des Betons dem historischen Naturstein des Herkulesbauwerks mit seiner Porigkeit an.
Konsequente Betonbauweise
Nicht nur gestalterisch, auch konstruktiv ist das Besucherzentrum ein konsequenter Betonbau. Die Rohbauer erstellten die 25 cm dicke Tragschale, die nach innen die sichtbare Wand bildet, auf einem Fundament. Auf die anschließende Kerndämmung wurde eine 20 cm dicke Ortbeton-schale ohne Hinterlüftung als Vorsatzschale betoniert. Sie steht auf dem Fundament der tragenden Wand auf. Im Bereich des Kellers liegt die Vorsatzschale auf eigens angebrachten Konsolen auf. Die Verankerung an der Tragschale mittels Edelstahlanker ist beweglich, so dass es an den cirka 10 m langen Modulen nicht zu Zwängungen kommt. Laut Statiker mussten Dehnungsfugen eingeplant werden. Um dennoch ein homogenes Fassadenbild zu erreichen, verlaufen diese Fugen entsprechend dem Verband der Brettchen verzahnt und nicht als senkrechte Fugen. Auch Fensteröffnungen und Dachabschluss wurden konsequent durchgestaltet.
Für die Rohbauer der Laudemann GmbH stellte sich der anspruchsvolle Bau als komplizierte Bauaufgabe dar. Für sie war die strukturierte Fassade, die nur in Sichtbetonklasse 2 ausgeführt werden sollte, die größere Herausforderung. Nach vorheriger Bemusterung setzte Projektleiter Marcus Birnbaum an der Vorsatzschale einen fast selbstverdichtetenden Beton F 6 ein, um zum gewünschten Ergebnis zu kommen. Insgesamt sammelte das ausführende Unternehmen mit den schräg zulaufenden Fassaden und der entsprechenden Reliefstruktur sowie den polygonalen Flächen mit den geneigten Decken neue Erfahrungen in der Kunst des Sichtbetons.
Staab Architekten aus Berlin präsentieren mit dem Besucherzentrum in Kassel eine weitere Preziose. Bauten wie diese sind es, die dem Entwurfsverfasser in diesem Jahr den Großen BDA Preis sicher stellten.
Architekten: Staab Architekten, Berlin
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