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Frei von Kabeln und Hierarchien

Neubau eines Produktions- und Verwaltungsgebäudes in Berlin
Frei von Kabeln und Hierarchien

Für Aufsehen hat die Eröffnung des neuen Headquarters eines Solarmodul- herstellers in Berlin gesorgt. Über die Solarbranche und Hauptstadt hinaus setzen die Architektur und der energetische Standard des Gebäudes neue Akzente beim Bauen für die Industrie: Es wird nur ein Viertel der Energie von vergleichbaren Büroneubauten verbraucht.

Markus Hoeft

Der Berliner Architekt Heinrich Schulte-Frohlinde gab dem programmatischen Begriff des „veredelten Rohbaus“ eine in ihrer funktionalen Reduktion und strukturellen Klarheit beeindruckende Interpretation. Zusammen mit den Energie-, Gebäude- und Solartechnikern von EGS-plan, Stuttgart, setzte er mit einer hochwärmedämmenden multifunktionalen Holzfassade und einem integralen Energiekonzept Maßstäbe bei der Energieeffizienz. Mit einem Primärenergiebedarf von unter 100 kWh/(m²a) bzw. einem Heizwärmebedarf von weniger als 40 kWh/(m²a) benötigt das Verwaltungsgebäude nach Angaben von Solon nur ein Viertel der Energie von in Größe und Funktion vergleichbaren neuen Bürobauten.
Der wegen ständigen Wachstums erforderliche Umzug des Unternehmens an den abermals vergrößerten und nunmehr dritten Firmensitz in nur zwölf Jahren dokumentiert eine der wenigen industriellen Erfolgsgeschichten in der Stadt. Das neue Solon-Headquarter ist Teil des WISTA-Technologieparks Berlin-Adlershof im Südosten der Stadt. Es besteht aus dem Verwaltungsgebäude mit ca. 8 300 m² Nutzfläche und einem Produktionsgebäude mit rund 18 900 m². Zusammengefasst werden die beiden selbständigen, von einem Erschließungsweg getrennten Baukörper durch ein gemeinsames Dach. Die einem Dreieck ähnelnde Form des 36 000 m² großen Grundstücks hätte theoretisch eine schräg verlaufende Rückfront des Gebäudes verlangt.
Heinrich Schulte-Frohlinde löste diese Schräge in elegant geschwungene Fassadenrundungen auf, denen er mit dem südlichen Abschwung des gemeinsamen Daches, das sich fast bis zum Boden neigt, außerdem eine Entsprechung in der Senkrechten gab. Mit den horizontalen und vertikalen Bögen erhielt der neue Bau eine unverwechselbare Identität und Form, das große Dach wirkt trotz seiner Größe elegant und leicht.
Das Innere des Verwaltungsgebäudes folgt den Vorgaben des Bauherrn, der vor allem hochflexible Raumstrukturen ohne starre Zuordnungen von einzelnen Arbeitsplätzen zu bestimmten Räumen oder Abteilungen benötigte. Es entstand ein transparentes Raumkonzept, das nahezu vollständig auf feste Wände verzichtet. Stattdessen gruppieren sich große, ununterbrochene Arbeitsbereiche entlang der Glasfassaden an den Außenfronten und um die fünf Innenhöfe. Von fast jedem Punkt kann der Blick durch das ganze Verwaltungsgebäude schweifen, unterbrochen lediglich durch die Treppenhäuser und Versorgungsinseln mit den Sanitäranlagen. In die massiven Kerne sind verfahrbare Brandabschottungen integriert, wodurch keine, die Transparenz störenden Brandwände ins rund 160 m lange Gebäude eingefügt werden mussten.
Maßnahmebündel Energie
Als großer Solarmodulproduzent und Anbieter von solaren Kraftwerken legte Solon beim Neubau des eigenen Headquarters natürlich auf ein hocheffizientes und innovatives Energiekonzept besonderen Wert. Mit einer Vielzahl ineinander verzahnter Maßnahmen sorgt es vor allem im Verwaltungsgebäude für sehr geringe Verbrauchszahlen. Die wichtigsten Bestandteile des integralen Energie- und Technikkonzepts sind:
  • Eine hochwärmedämmende Fassade mit einem mittleren U-Wert von 1,3 W/m²K.
  • Ein sommerlicher, Kühlenergie sparender Sonnenschutz mit Verschattungselementen und Sonnenschutzverglasung.
  • Eine solare Energiegewinnung im schattengebenden Vordach.
  • Eine verlustarme Heizung und Kühlung durch Betonkernaktivierung in den Decken, die damit zu großflächigen Strahlungsheizungen werden.
  • Eine bedarfs- und nutzerangepasste Regelungstechnik auf EDV-Basis, die den Nutzern auch eine individuelle Steuerung über computergestützte Softpanels erlaubt.
Multifunktionale Holzfassade
Dreh- und Angelpunkt der hohen Energieeffizienz ist die Fassade. Sie entstand aus vorgefertigten Holzelementen, für deren Werkplanung, Produktion und Montage Kaufmann Bausysteme verantwortlich zeichnet. Das Unternehmen mit Sitz in Österreich mietete in der Nähe des Bauplatzes eine Halle, in der die geschosshohen Holzrahmenkonstruktionen vollständig konfektioniert wurden, so dass sie nach einem kurzen Transport einbau- und gebrauchsfertig am Gebäude ankamen. Bereits in der Vorfertigung erhielten die Holzelemente ihre komplette haus- und energietechnische Funktionalität.
Vakuum-Dämmplatten und eine Dreifach-Verglasung sichern den hohen baulichen Wärmeschutz der Außenwandkonstruktion. Die Vakuum-Paneele VIP/QASA haben eine Wärmeleitfähigkeit λ von rund 0,008 W/mK, während die Dreifachverglasung mit zusätzlichen Sonnen- und Wärmeschutzschichten sowie einem TPS-Randverbund („warme Kante“) auf einen U-Wert von etwa 0,6 W/m²K kommt. Die ausgezeichnete Dämmwirkung dieser Lösungen ermöglichte eine geringe Bautiefe der Fassade von nur wenigen Zentimetern.
In die Fassadenelemente wurden zudem Heizkörper eingebaut, die in Zeiten hohen Wärmebedarfs die Betonkernaktivierung der Decken ergänzen. Enthalten sind außerdem Akustikelemente zur Verbesserung der Schallverhältnisse im Raum. Ebenso integriert sind Öffnungsmöglichkeiten in der Fassade für natürliche Raumlüftung, die jeder Mitarbeiter individuell und per Hand betätigen kann.
Geöffnet werden in diesem Fall allerdings nicht die dreifach verglasten und darum schweren Fenster, sondern die leichteren nicht-transparenten Fassadenabschnitte. Angesichts der vielen Besonderheiten in der Konstruktion hat der oft strapazierte Begriff der multifunktionalen Fassade am Headquarter von Solon also wirklich seine Berechtigung. Diese wird darüber hinaus ergänzt durch die architektonische Überraschung, denn in der Ansicht erscheint die Fassade als normale Holz-Glas-Fassade, deren technische Raffinessen kaum zu bemerken sind.
Energiesparend: Wärme und Licht
Weil die Hauptdachfläche als Aufenthaltsbereich gestaltet und begrünt werden sollte, stand für die photovoltaische Stromgewinnung –- Kerngeschäft und Markenzeichen des Hausherrn –- nur das Vordach zur Verfügung. Trotzdem gelang es, Module mit insgesamt 210 kWp Leistung zu installieren, die etwa 15% der im Gebäude selbst verbrauchten Strommenge produzieren. Die Zahl mag zunächst nicht sehr hoch klingen, illustriert aber tatsächlich einen erheblichen Fortschritt in der Photovoltaik. Solon hatte vor Jahren das Bundespräsidialamt mit einer PV-Anlage ausgerüstet, die nur etwa 1% des Eigenverbrauchs abdecken konnte. Wegen der geschwungenen Form des Vordachs kamen nun neben Serienprodukten überwiegend gebäudeangepasste PV-Module zum Einsatz. Ein anderes Element des Energieeinsparkonzepts ist die Nutzung der eigenen Produktionsabwärme für die Gebäudeheizung. Sie wird ergänzt durch den Anschluss an das Berliner Fernwärmenetz. Um die CO2-Bilanz für diesen Energieanteil zu verbessern, will sich Solon an einem noch zu bauenden Biogas-Blockheizkraftwerk beteiligen. Zur Reduzierung des Stromverbrauchs für das Licht tragen die transparente Gebäudehülle mit ihrer effizienten Tageslichtnutzung ebenso wie ein ausgefeiltes Konzept für Arbeitsplatzbeleuchtung bei. Leuchten an der Decke liefern eine Grundbeleuchtung von 300 Lux, die mit einzelnen Schreibtischlampen um weitere 250 Lux ergänzt werden kann. Damit sind an jedem Arbeitsplatz, egal wo er sich befindet, die geforderten 500 Lux garantiert, ohne dass der Gesamtraum permanent mit voller Leistung beleuchtet werden muss.
Flexibel und kabellos
Dieses Beleuchtungskonzept war umso wichtiger, als innerhalb der großflächigen Arbeitsbereiche die Arbeitsplätze jederzeit neu angeordnet oder hinzugefügt werden können, womit das Unternehmen die Kommunikation unter den Mitarbeitern und das Arbeiten in wechselnden Teams erleichtern will. Von einem solchen variablen Konzept hat man schon bei so manchem Büroneubau gehört, trotzdem vermag es hier durch seine Konsequenz zu überraschen. Denn es gibt zwar durch Glaswände abgeteilte Konferenzräume und „Denkerzellen“, aber eben keine personengebundenen Räume – auch nicht für den Chef, der damit auch kein typisches Vorzimmer hat. Theoretisch kann sich jeder Mitarbeiter inklusive Geschäftsführung jeden Tag einen neuen Schreibtisch suchen oder die Schreibtische seiner aktuellen Arbeitsgruppe an einem beliebigen Ort neu zusammenstellen.
Damit dies im Zeitalter moderner Technik auch tatsächlich funktioniert, setzt Solon komplett auf das kabellose Büro. Das firmeninterne Daten- und Telefonsystem arbeitet funkbasiert. Ein Einloggen ist an jeder Stelle im Haus ebenso möglich wie auf dem Dach. Denn das begrünte und begehbare Dach kann und soll zwar der Erholung dienen, aber im Sinne der Firmenphilosophie auch potenzieller Arbeitsplatz sein.
In diesem Konzept wurde selbst die Stromversorgung von ihrer Kabelbindung befreit. Sogenannte E-Shuttles, die äußerlich an Rollkoffer erinnern, werden über Nacht mit Solarstrom aufgeladen, und liefern dann für etwa zwei Tage steckdosenunabhängigen mobilen Strom für den Rechner und die Schreibtischlampe an jeder beliebigen Stelle.
Das kabellose Büro reduzierte den Installationsaufwand im Gebäude erheblich und ebnete zugleich der eingangs erwähnten Idee des „veredelten Rohbaus“ den Weg. Denn wo kaum Rohre und Leitungen zu verstecken sind, braucht man auch keine abgehängten Decken und keine doppelten Fußböden. Selbst auf einen Estrich wurde im Sinne der direkten Beheizung durch die Betonkernaktivierung bei den 30 bis 34 cm dicken Decken aus Stahlbeton verzichtet. Die Struktur des Gebäudes besteht damit nur aus Decken, Glasfassaden bzw. –wänden und massiven Treppenhäusern. Diese Reduktion und die hohe Transparenz des Gebäudes schaffen eine wohltuende architektonische Klarheit und Ehrlichkeit, die sich mit WYSIWYG „what you see is what you get“ beschreiben lässt.
Architektur: Heinrich Schulte-Fronlinden, Schulte-Frohlinde Architekten, Berlin Generalplanung Technik: EGS-plan Ingenieurgesellschaft für Energie-, Gebäude- und Solartechnik mbH, Stuttgart, im Innovationsverbund Univ. Prof. Dr.-Ing. M. Norbert Fisch
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