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Dynamische Fluchtweglenkung

Hörsaal der chemischen Fakultät der RWTH Aachen
Dynamische Fluchtweglenkung

Olaf Meier

Eine Kombination aus Entrauchung, flexiblem Fluchtwegeleitsystem und die Schaffung einer rauchfreien Zone sorgen dafür, dass auch im 50 Jahre alten Hörsaal der chemischen Fakultät der RWTH Aachen die Sicherheit auf dem aktuellsten Stand ist.
Mit rund 500 Sitzplätzen ist der Saal der zweitgrößte der Aachener Hochschule. Gebaut in den frühen 50er Jahren des letzten Jahrhunderts entsprach der Saal den heutigen Anforderungen an derartige Versammlungsstätten kaum noch, vor allem in Sachen Brandschutz.
„Der Saal befand sich noch im Uralt-Zustand“, erinnert sich Georg Jung von der Aachener Niederlassung des BLB, die für die Bauten der Hochschule verantwortlich ist.
Personenschutz vor Objektschutz
Aber trotz – oder gerade wegen – der fehlenden Technik bot der Saal eine hervorragende Akustik: Die Decke, eine an Stahldrähten vom Dach hängende Gipskonstruktion, die wellenförmig vom hinteren Bereich des Saales nach vorne verlief, transportierte den Schall zuverlässig auch in die letzte Sitzreihe. Die Holzverkleidung der Saalwände sorgte zusätzlich für eine angenehme Akustik und bot eine „warme“ Optik.
Jung: „Beide Elemente, also Decke genauso wie Holzverkleidung, sollten so bestehen bleiben. Hauptsächlich um die Akustik zu wahren, aber auch aus Kostengründen.“
Doch bedeutete diese Entscheidung auch ein erhöhtes Risiko im Brandfall und entsprach nicht unbedingt den aktuellen Sicherheitsvorschriften.
Die Projektverantwortlichen entschieden daher, den Objektschutz hinten anzustellen und sich auf den Personenschutz zu konzentrieren. „Eine Löschanlage hätten wir gar nicht anbringen können“, so Georg Jung. „Außerdem würde das Löschen eines Brandes den gesamten Hörsaal mit seiner Gipsdecke und der Holzwandverkleidung genauso zerstören wie der Brand selbst. Da kann man das Gebäude genauso gut ausbrennen lassen.“
Sieben Szenarien erfordern flexible Fluchtwege
So lag die Priorität dann darauf, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln die Personen im Falle eines Brandes möglichst schnell und sicher aus dem Saal heraus zu bringen. Doch der alte Hörsaal ist „eingezwängt“ zwischen dem Gebäude der anorganischen Chemie zur rechten und dem Institut der organischen Chemie zur Linken. Ein Brand könnte also nicht nur im Hörsaal selbst, sondern vor allem auch in einem der Institute ausbrechen.
Da die Fluchtwege aber auch durch die Flure der Institute führen, müssen die Hörer je nach Brandszenario entlang unterschiedlicher Wege aus dem Saal geführt werden.
Andreas Sommerfeld vom Düsseldorfer Ingenieurbüro Aust, das für die Sicherheits- und Elektrotechnik im modernisierten Saal zuständig war: „Bei der Fluchtwegelenkung müssen insgesamt sieben Brandszenarien berücksichtigt werden. Brennt es im links angrenzenden Institut, müssen die Personen an der rechten Seite des Hörsaals ins Freie geführt werden, brennt es im rechts angrenzenden Gebäude, genau anders herum.“
Das erforderte ein Fluchtwegleitsystem, das flexibel und dynamisch auf die Brandszenarien reagieren kann und je nach Brandfall alternative Fluchtwege ausweist. Ein derartiges System, so Sommerfeld, wurde von der Firma Inotec entwickelt. Geleitet von dem Grundsatz, dass Rauch- und Brandentwicklung niemals statisch ist, konzipierte das Unternehmen ein System, das mit besonders hellen Leuchtdioden flexibel von Brand- und Gefahrenquellen fortleitet.
Dabei übernimmt ein intelligentes Steuerteil alle Daten des Brandmeldesystems, wo Rauch- oder Brandmelder das Entstehen oder das Vorhandensein eines Brandes melden.
Binnen kürzester Zeit werden diese Daten mit dem Fluchtwegeplan des Gebäudes abgeglichen und ein Fluchtweg entwickelt, der die Personen auf dem sichersten – nicht unbedingt kürzesten – Weg aus der Gefahrenzone führt.
Die angeschlossenen Leuchtdioden werden entsprechend gesteuert und verändern dynamisch die Pfeil- und Richtungsanzeige. Da sich Rauch im oberen Raumdrittel sehr stark konzentriert, sind neben Tür-Notleuchten überwiegend bodennah installierte Leuchten (30–40 cm) oder Bodeneinbauleuchten Bestandteil dieser neuen Konzeption. Das D.E.R-System (Dynamic Escape Routing) ist in Übereinstimmung mit der neuen BGR 216, die den Einsatz beweglicher Fluchtwegkennzeichnung nachdrücklich für viele Gebäude und Einrichtungen fordert.
Maßnahmen starten automatisch
„Brennt es zum Beispiel in der anorganischen Chemie, sperrt das System jetzt die Fluchtwege in diese Richtung durch ein rotes X in den jeweiligen Piktogrammen und die Lichtzeichen im Boden und in den Wänden weisen als Lauflicht mit einem grünen Pfeil auf die gegenüberliegende Seite,“ erklärt Andreas Sommerfeld. „Parallel dazu wird eine Lautsprecheransage abgespielt, die zusätzliche, auf jedes Brandszenario angepasste Anweisungen bzw. Erklärungen abgibt.“ Ändert sich das Brandszenario, reagiert das System darauf und weist gegebenenfalls einen neuen Fluchtweg aus, die Richtung der Laufpfeile ändert sich, andere Fluchttüren werden freigegeben. Gleichzeitig wird die Sicherheitsbeleuchtung eingeschaltet, die Entrauchungsventilatoren hochgefahren und die Rauchabzugsklappen im Dach geöffnet.
Die zentrale Einheit, die alle diese Maßnahmen steuert, ist ein Brandmeldecomputer vom Typ 8000 C der Novar GmbH, der speziell für kleine bis mittlere Objekte konzipiert ist.
Entrauchungsversuche am Modell
Zumindest während der Evakuierungszeit muss zusätzlich dafür gesorgt werden, dass nicht Rauch die Sicht versperrt und die Gesundheit der Personen gefährdet. Daher beauftragte der BLB das I.F.I. Institut für Industrieaerodynamik in Aachen damit, ein Entrauchungskonzept für den Hörsaal zu erstellen.
Die Experten des Institutes haben sich in der Baubranche schon einen Namen mit Windgutachten von Gebäuden gemacht und unter anderem auch die Wirksamkeit der Entrauchungsanlage im Centro Oberhausen untersucht.
Für das Hörsaal-Projekt baute das I.F.I. ein exaktes Modell des Saales im Maßstab 1:5 und führte daran entsprechende Entrauchungsversuche durch.
Das im realen Hörsaal umgesetzte Ergebnis dieser Versuche besteht aus drei Komponenten: Durch Auslässe unter den Sitzreihen wird Luft eingeblasen, der dadurch entstehende Überdruck verdrängt den Rauch in den oberen Bereich des Saals.
An der Rückwand wurden über der letzten Sitzreihe Lamellenfenster des Typs S9 der Firma Glasbau Hahn angebracht, deren Scheiben im Brandfall um 90° gedreht werden und so den Rauch abziehen lassen.
Über die Lamellenfenster, die nicht direkt nach außen führen, zieht der Rauch in den Hohlraum zwischen Saaldach und Außendach und von hier über Rauchabzugsklappen nach draußen.
„Wir haben durch einen abschließenden Rauchversuch im fertigen Hörsaal nachgewiesen, dass wir im Minimum den Saal 30 Minuten rauchfrei halten“, bestätigt Georg Jung die Wirksamkeit des Entrauchungskonzeptes.
Andreas Sommerfeld ergänzt: „Die Rauchgasversuche haben gezeigt, dass sich die Rauchwolke in einer Höhe von rund drei Metern einpendelt.“ Das bedeutet, dass die Personen unterhalb des eigentlichen Rauchnebels den Saal verlassen können.
„Wir haben alles getan, um den Menschen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln möglichst schnell aus dem Gebäude zu führen“, zeigt sich Sommerfeld von dem Gesamtkonzept überzeugt. „Auch Menschen, die sich in dem Gebäude gar nicht auskennen, fühlen sich nicht allein gelassen und finden sicher und schnell ihren Weg nach draußen.“
Weitere Informationen
Dynamisches Fluchtwegleitsystem bba 513
Brandmeldecomputer bba 514
Lamellenfenster bba 515
Projektleitung: Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW , Niederlassung Aachen Sicherheits-/Elektrotechnik: Ingenieurbüro Aust, Düsseldorf Lüftung/Entrauchung: Passau Ingenieure GmbH, Düsseldorf
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