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Die Gestaltung des Rohen

Optische Varianten von Sichtbeton
Die Gestaltung des Rohen

Sichtbeton kann naturgrau, glatt und unbehandelt, sozusagen direkt aus der Schalung, eine starke architektonische Aussage entwickeln. Neben dieser scheinbar ungestalteten Optik ist aber auch ein bewusstes und erkennbares Arbeiten mit Farben, Strukturen und Nachbehandlungen möglich.

Markus Hoeft

Rein sprachlich beschreibt das Wort Sichtbeton lediglich einen Beton, der sichtbar bleibt, also auch im fertigen Gebäudezustand nicht bekleidet, überdeckt, zugebaut oder in sonstiger Weise „unsichtbar“ ist. Einen Schritt weiter geht die fachliche Definition, wie sie z.B. im Merkblatt Sichtbeton von DBV und BDZ benutzt wird: „Betonflächen mit Anforderungen an das Aussehen … werden allgemein als ‚Sichtbeton‘ bezeichnet.“ Der Beton bleibt also sichtbar (nach der Wortbedeutung) bzw. muss Anforderungen an das Aussehen erfüllen (nach der Fachdefinition).
Das erklärt manches, aber gerade das für Planer, Betontechnologen und Bauherrn Wichtigste nicht, nämlich wie die Ansichtsflächen eigentlich aussehen und welche gestalterische Idee sie verkörpern sollen.
Ideengehalt von Sichtbeton
Je nach Projekt, Bauteil und Ausführungsart kann Sichtbeton eine Vielzahl ganz verschiedener architektonischer Leitgedanken ausdrücken, doch es gibt einige häufig wiederkehrende Grundaussagen. So unterstreicht Sichtbeton die Kubatur der Baukörper. Mit klaren Linien und einer oftstreng anmutenden Geometrie wird das skulpturale Element betont, im Extremfall wirkt das Gebäude wie aus einem großen Block herausgemeißelt.
Hiermit eng im Zusammenhang steht die Einheit von Form und Funktion: Jedes tragende Element ist eindeutig als solches zu erkennen, die Gebäudeansicht damit sozusagen eine rein ingenieurtechnische Statik — ohne Schnickschnack und Zierrat. Der Architekt nimmt sich scheinbar zurück, ist aber tatsächlich durch die Kubatur als gestaltetem Raum ungeheuer präsent. Zur reduzierten Gestaltung gehört auch das Puristische und Ungestaltete der Oberflächen. Sie präsentieren sich mit hoher Materialehrlichkeit oft unmittelbar so, wie sie aus der Schalung hervorgetreten sind. Ansichtsqualität, Textur und Farbigkeit entspringen allein dem Beton bzw. dem Betonierprozess. Auch dies kann wieder als Zurücknahme der Architektur interpretiert werden. Die Flächen assoziieren das Rohe und Unbehandelte, fast so, als hätten sich ihre Schöpfer bewusst keine Gedanken um die optische Erscheinung gemacht.
Die Unmittelbarkeit, mit der bei Sichtbeton aus dem im Urzustand eher groben Baustoff Beton fein- und vielsinnig gestaltete Bausubstanz entsteht, dürfte einen wesentlichen Teil der Faszination der Bauweise bilden. Doch hat die direkte Ehrlichkeit im modernen Bauen auch ihre Grenzen. Denn nicht jeder sichtbare Beton muss zwangsläufig Teil des Tragwerks sein. Außenwände im energiegerechten Bauen beispielsweise zeigen außen meist nur ihre vorgehängte Wetterschale, hinter der sich die Wärmedämmung und erst danach die tragende Schale befindet.
Hohes Maß ideeller Durchdringung
Auch die Idee der ungestalteten Oberflächen kollidiert bei genauerem Nachdenken mit der Realität. Denn gerade Sichtbeton benötigt ein hohes Maß ideeller Durchdringung in technischer und architektonischer Hinsicht. Um die gewünschte gestalterische Aussage tatsächlich zu erreichen, sind intensive planerische Vorarbeit, intelligente Materialauswahl und nicht zuletzt ausführungstechnische Erfahrung notwendig. Architekt, Schalungslieferant und Betonbauer müssen sich also sehr wohl Gedanken um die optische Erscheinung der Oberflächen machen, in den meisten Fällen vermutlich deutlich mehr als beispielsweise bei verputzten Wänden.
Dies ist nun aber keinesfalls ein Argument gegen Sichtbeton, eher im Gegenteil. Es handelt sich um eine hochwertige, in jeder Beziehung durchgearbeitete Bauweise, in die sich der Architekt mit seiner ureigensten Kompetenz aktiv einbringen kann und muss: Durch intensive Gestaltung entsteht dann im Idealfall das hochspannende, scheinbar Ungestaltete.
Unvermeidbares Schalungsraster
Eines der optisch auffälligsten Elemente von Sichtbeton-Oberflächen ist das durch die Größe der Schalhaut und die Anordnung der Spannstellen ausgebildete Raster. Die Abzeichnung von Schalungs- und Schalhautstößen auf der fertigen Fläche lässt sich bei Sichtbeton faktisch nie völlig verhindern. Schalungsstöße sind in jedem Fall abzudichten, was als gesonderte Position ins Leistungsverzeichnis aufzunehmen ist. Trotzdem wird es durch lokale Undichtigkeiten zu einer örtlichen Veränderung des Wasser-Zement-Werts und damit zu einer leicht ungleichmäßigen Farbgebung an den Schalungsstößen kommen.
Die flächenbündige Fugenausführung wirkt wegen der Ebenheit ästhetisch, hebt aber den unvermeidlichen Farbunterschied umso mehr hervor.
Eine Ausführung der Stöße mit Schattenfuge oder umgekehrt als erhabene Struktur kaschiert hingegen Farbunterschiede besser und erzeugt ein betontes Raster auf der ansonsten ebenen Fläche. Schattenfugen werden mit auf der Schalung befestigten Leisten ausgeführt (Betondeckung beachten). Für erhabene Strukturen ist die Schalhaut einzuschneiden bzw. einzufräsen.
Doch wie auch immer man sich entscheidet, das Raster der Schalungs- und Schalhautfugen wird, zumindest bei Ortbeton, immer erkennbar bleiben. Es sollte deshalb bewusst und in den meisten Fällen auch in regelmäßiger Anordnung geplant werden. Bei den wirtschaftlichen Systemschalungen (Rahmenschalungen) sind die Rahmengrößen und Ankerbohrungen vorgegeben, so dass Ankerstellen und Fugenraster nicht verändert werden können. Flexibler, aber auch aufwändiger sind Trägerschalungen, bei denen sich das Raster und damit der Rhythmus der Ansichtsflächen stärker unter gestalterischen Gesichtspunkten planen lassen.
Sichtbare Spannstellen und Schalhautfugen können bei Betonfertigteilen in Sichtbetonqualität eher vermieden werden, wofür allerdings die Größenbegrenzungen der Teile durch ihre Transportmaße sowie die Fertigteilfugen hinzunehmen sind.
Bei geschickter Planung, etwa mit geschosshohen Fassadenbauteilen, kann das Muster der Fertigteilfugen jedoch sehr harmonisch mit dem ohnehin vorhandenen Geschoss- und Fensterraster in Einklang gebracht werden. Sichtbeton-Fertigteile haben zudem gegenüber Ortbeton den Vorteil der meist glatteren und homogeneren Oberflächen, die in der witterungsunabhängigen Produktion im Betonwerk entstehen.
Hohe Farbtongleichmäßigkeit
Großen Einfluss auf die Optik und dabei speziell auf die Farbtönung des Sichtbetons hat die verwendete Schalhaut. Saugende Schalhäute erzeugen eine eher dunkle Betonansicht, die architektonisch wegen ihrer massigen und schweren optischen Wirkung nicht immer erwünscht ist. Andererseits sind diese dunkelgrauen Ansichten sehr tolerant gegenüber ungleichmäßiger Farbverteilung in der Fläche. Die Oberflächen haben weniger Poren oder Lunker und bieten Vorteile bei der Langzeitbeständigkeit (geringere Karbonatisierungstiefe, besseres Frost- und Tauverhalten).
Umgekehrt erzeugen nicht saugende Schalhäute tendenziell einen eher hellen und meist attraktiv aussehenden Beton. Jedoch fallen auf diesen Flächen Flecken- oder Wolkenbildungen, die z.B. aus Sedimentation oder aus unterschiedlichem Trocknungsverhalten und damit einem punktuell unterschiedlichen Wasser-Zementwert herrühren können, deutlich mehr auf.
Ein absolut gleichmäßiger Farbton von Sichtbeton lässt sich praktisch nicht herstellen. Doch können Ungleichmäßigkeiten reduziert werden, wenn beispielsweise neue und gebrauchte Schalhäute nicht nebeneinander innerhalb eines Betoniertaktes verwendet werden, wenn — speziell saugende — Schalhäute mit nur einmaliger oder geringer Einsatzhäufigkeit verwendet werden oder wenn keine reparierten (gespachtelten) Schalhäute neben nicht gespachtelten verwendet werden. Alle diese Maßnahmen erhöhen allerdings neben der Ansichtsqualität auch die Kosten.
Im Außenbereich hängt die Farbtongleichmäßigkeit neben der Beton- und Schalungstechnologie ganz wesentlich auch vom intelligent geplanten Wasserabfluss über die Fassadenflächen ab. Konzentrationen von Niederschlagswasser sind zu vermeiden, weil stärker durchnässte Flächen ein anderes Farbverhalten aufweisen und an diesen Stellen zudem Schmutzfahnen entstehen können.
Bewusste Farbplanung
Die Farbe von Sichtbeton wird außer vom Wasser-Zement-Wert des Betons auch von der Auswahl des Zements selbst beeinflusst. Hochofenzemente sind eher hellgrau, Portlandzemente mittel- oder bei hohem Sulfatwiderstand auch dunkelgrau. Speziellere Farbgebungen sind beispielsweise mit dem rotbraunen Portlandschieferzement oder Weißzement möglich.
Unter Verwendung von Weißzement hergestellter Beton ist nicht nur heller (bis hin zu nahezu weißem Beton), sondern auch wesentlich „gutmütiger“ gegen Farbtonungleichmäßigkeiten, weil Ausblühungen des Bindemittels farblich weniger auffallen. Gleichzeitig ist er so farbneutral, dass eventuell zugesetzte Farbpigmente zu klaren, kräftigen Zementsteinfarben ohne Grauschleier führen. Dies gilt sogar für schwarz eingefärbte Betone, die gegenüber grauem Zement mit Weißzement dunkler und brillanter wirken.
Die angesprochene Pigmentierung ist eine weitere Möglichkeit der farblichen Gestaltung von Sichtbeton. Es handelt sich überwiegend um synthetische, anorganische Pigmente wie Eisenoxid, Kobaltblau, Chromoxidgrün, Titandioxid oder Rußschwarz. Die Pigmenthersteller bieten eine Reihe von Farbtönen und Nuancen an, so dass nahezu jeder Zwischenfarbton reproduzierbar ist.
Die Pigmente müssen farbecht und vor allem alkalibeständig sein. Trotz der zunächst gering erscheinenden Dosierungen von 2 bis 6 % des Bindemittelgehalts können hochwertige Pigmente einen wesentlichen Kostenfaktor darstellen, speziell bei ungewöhnlichen blauen oder grünen Tönen.
Wirtschaftlicher dürfte deshalb oft die Verwendung von farbigen Zuschlagstoffen zum Beton sein, die immerhin 70 bis 80 % des Materials ausmachen.
Die Farbpalette der Zuschläge reicht von Weiß (Kalkstein, Marmor) über Gelb, Rot, Blau und Grün bis hin zu Schwarz (Basalt). Besondere Bedeutung in der unbehandelten Fläche hat die Farbe der feinstkörnigen Zuschläge, weil sie sich durch das Verdichten an der Oberfläche konzentrieren. Die Farbigkeit der großkörnigen Zuschläge lässt sich hingegen durch eine nachträgliche Bearbeitung stärker herausarbeiten.
Strukturierter Sichtbeton
Unter Sichtbeton wird in einem engeren Wortsinn oft nur der naturgraue (Ort-)Beton, wie er direkt aus der Schalung kommt, verstanden. Schon mit einer Farbgebung entfernt man sich aus dieser einschränkenden Interpretation partiell, mit einer Nachbehandlung der Oberflächen dann endgültig. Trotzdem handelt sich um sichtbar bleibende Oberflächen mit Anforderungen an das Aussehen, also um Sichtbeton im weiteren Sinne.
Mit der Nachbehandlung gewinnt der Planer Freiräume für bewusste Gestaltungen, die deutlich mehr Individualität und Unverwechselbarkeit bieten. Speziell für Betonfertigteile bieten sich das Waschen, Säuern oder Strahlen der Oberflächen an. Es handelt sich in jedem Fall um einen Materialabtrag des Zementsteins, wodurch rauere Oberflächen mit stärker hervortretenden Zuschlägen entstehen. Beim Schleifen können die Zuschläge sogar aufgebrochen werden. Auf senkrechten Flächen ist mit diesen Bearbeitungen jedoch nur schwer eine ausreichende Gleichmäßigkeit zu erzielen, weshalb die Ausführung an liegenden Fertigteilen überwiegt.
Für Ortbeton mit seinen senkrechten Flächen sind vor allem Steinmetztechniken wie Stocken, Spitzen oder Scharrieren geeignet. Der Sichtbeton erhält dadurch eine individuelle, weil nicht bis ins Detail wiederholbare Struktur, die sogar das Sichtbeton-typische Raster der Schalungsstöße und Spannstellen optisch überdecken kann. Jede Nachbearbeitung erfordert jedoch einen kompletten zusätzlichen Arbeitsgang, der außerdem nur von qualifiziertem und erfahrenem Personal ausgeführt werden sollte. Angesichts des heutigen Kosten- und Termindrucks dürften deshalb die nicht nachbehandelten Sichtbetonflächen deutlich überwiegen.
Zumal es mit den Strukturmatrizen wirtschaftlichere Möglichkeiten gibt, Sichtbetonflächen eine markante Textur zu verleihen.
Strukturmatrizen bestehen in der Regel aus nicht saugendem Kunststoff und werden in die Schalung eingelegt, so dass sich ihre negativ eingeprägten Strukturen oder Muster positiv im Beton abbilden. In den umfangreichen Katalogen der Hersteller finden sich einerseits Formen, die konkrete Materialien abbilden (vor allem Mauerwerk oder Holz). Andererseits gibt es aber auch eine Vielzahl von abstrakten Oberflächenstrukturen mit schwacher Profilierung im Millimeterbereich oder starker geometrischer Ausprägung mit bis zu mehreren Zentimetern Strukturtiefe. Mit speziellen Foto-Gravur-Matrizen lassen sich auch fotoartige konkrete Darstellungen auf Beton reproduzieren.
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