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Abstraktes Statement

Neubau einer Autobahnkirche an der A 45
Abstraktes Statement

Rund 40 gibt es von ihnen in ganz Deutschland. Sie sind mal eher traditionell und manchmal auch extravagant gestaltet. Allen gemeinsam ist das Ziel, einen Ort der Ruhe im Strom aus Pkw und Lkw zu bieten. Die Rede ist von Autobahnkirchen. Ihre neueste Vertreterin steht am Autohof Wilnsdorf an der A45. Die Autobahnkirche Siegerland bildet dabei mit ihrer spannenden Gestaltung nach einem Entwurf von schneider+schumacher einen Kontrast zu dem tristen Ort, an dem sie steht.

Dipl. Ing. Marc Nagel | jo

Nähert man sich dem Autohof Wilnsdorf auf der A45 von Westen kommend, ragt sie bereits aus der nahen Grünzone heraus, die Autohof und Straße voneinander abgrenzt. Hier an der Autobahn zwischen Wald, Industriegebiet, Schilderdschungel und Autohof wirkt der weiße Baukörper auf der leichten Anhöhe unwirklich und macht auf diese Weise neugierig auf das, was sich dahinter verbirgt.
Anders als die meisten Autobahnkirchen, die als Orte der Ruhe bewusst von der Autobahn abgesetzt wurden, haben die Bauherren und Planer einen Platz an der Fernstraße gewählt. Überhaupt scheint es, als solle diese Kirche nicht nur ein Angebot darstellen, sondern vielmehr ein Statement sein. Denn auch auf dem eigentlichen Autohof gibt sie sich nicht zurückhaltend versteckt, sondern offen und selbstbewusst. Direkt an den Hauptstellplätzen für Lkw, unter dem großen Hinweisschild für die dortigen Angebote und am Autobahnhotel mit angeschlossenem Schnellimbiss setzen Form und Farbe der Autobahnkirche ein entsprechendes Zeichen.
Weißer Raumkreuzer
Die Architekten von schneider+schumacher entwarfen einen kantigen und lebendigen Baukörper, der mit seiner langen Zugangsrampe, den beiden Türmchen und den gekippten, weißen Flächen wie ein gelandeter Raumkreuzer wirkt. Wer es weniger mit Science Fiction hat, der kann in ihm auch einen in die Landschaft blickenden Fuchskopf mit seinen zwei wie Ohren wirkenden Türmchen erkennen.
Doch genug der Assoziationen: Betrachtet man den Kirchenbau näher, wird einem der Grund klar, warum das Ehepaar Hanneliese und Hartmut Hering und der von ihnen gegründete Verein Autobahnkirche Siegerland e.V. als Bauherr den Wettbewerbsvorschlag von schneider+schumacher wählten. Denn wie es auch in der offiziellen Mitteilung des Büros heißt, handelt es sich um die dreidimensionale Umsetzung des Piktogramms, das gewöhnlich auf Autobahnkirchen hinweist. Besonders deutlich wird dies, wenn man um das Gebäude herum geht und dort von leicht westlicher oder leicht östlicher Richtung auf den Baukörper blickt. In dieser Ansicht stellt die Fassade das besagte Piktogramm einer klassischen Kirche mit Turm und Walmdach dar.
Doch wesentlich mehr, sieht man von den Kirchtürmen ab, hat der Neubau mit einer klassischen Kirche nicht zu tun. Er nimmt zwar immer wieder Zitate auf, interpretiert diese aber modern. Die beiden Türmchen beispielsweise haben keine Kirchenglocken sondern jeweils an einer Seite Oberlichter zur Beleuchtung des Innenraums. Daneben wird die Autobahnkirche vor allem von ihrer weißen Fassade und den gekippten Flächen geprägt.
Polyurethan als Witterungsschutz
Als Fassade erhielt die Kirche eine Hülle aus Holz. Diese besteht aus Holztafeln, die zu großen Feldern zusammengesetzt sind. Die gesamte Fassade wurde mit einer Sprühabdichtung aus Polyurethan versehen, die sowohl als Witterungsschutz dient und auch dafür sorgen soll, dass das Weiß der Fassade noch lange so strahlend bleibt. Die Beschichtung der Elacoat GmbH aus dem Fürstentum Lichtenstein ist strapazierfähig und in der Lage, dauerhaft eine Rissbildung zu verhindern. Gerade bei einem „arbeitenden“ Material wie Holz ist dies eine sinnvolle Lösung. Darüber hinaus kann man Elacoat Poylurethanbeschichtungen auch für Beton, Metall, Stein oder als Überzug für WDVS-Systeme wählen. Da die Beschichtung absolut wasserdicht ist, muss bei der Verwendung auf den Materialmix und die Feuchteregulierung geachtet werden. Doch nicht nur praktische Aspekte wurden mit der Außenhaut erreicht. Die Beschichtung verleiht dem Gebäude auch ein homogenes Äußeres, das vor allem bei den großen Flächen deutlich wird. Leider löst sich diese Homogenität etwas auf, wenn man sich den Oberflächen nähert: Die Stoßfugen der Holzelemente schimmern durch.
Die großen Flächen sind zum eigentlichen Baukörper zusammengesetzt und wurden nicht orthogonal zueinander gestellt. Stattdessen knicken sie in unterschiedlichen Winkeln ab und umhüllen so den Innenraum. Flächen bilden auch die beiden Türmchen heraus, in denen das Gebäude gipfelt.
Um sich dem Eingang der Kirche zu nähern, muss man, der Topographie des Baufeldes folgend, eine Rampe nutzen, die zur Brücke wird und einen kleinen Fahrweg quert. Da die Rampe recht groß ist und wie ein Trichter zum Eingang hin verengt wurde, nimmt sie neben dem Hauptbau einen beachtlichen Stellenwert bei der Wahrnehmung ein.
Die Rampe gründet ebenso wie der Holzständeraufbau auf einem Stahlbetonsockel. Dieser wurde mit Beton der Festigkeitsklasse C30/37 und in unterschiedlichen Expositionsklassen erstellt.
Kontrast zum Außenbild
Folgt man der Rampe und tritt durch den Zugang ins Innere, erwartet den Besucher ein deutlicher Kontrast zum Außenbild. Statt weißer Flächen dominiert hier Holz das Gesamtbild. Lediglich der Altarbereich mit weißem Kreuz ruft die Fassade in Erinnerung. Um den Blick auf Altar und Kreuz frei zu machen, wurde die Holzkonstruktion an dieser Stelle aufgebrochen und bildet einen leichten Spitzbogen. Natürliches Licht, das von den Oberlichtern in den Türmchen ins Innere gelangt, erhellt den Altarbereich.
Die Holzkonstruktion selbst ist als Gewölbe ausgebildet und erinnert in ihrer Anmutung stark an gotische Vorbilder. Wie ein Kreuzrippgewölbe spannt sich die eigentlich als Kuppel geplante Form. Sie wurde mit einem parametrischen Entwurfsverfahren durch die schneider+schumacher Parametrik GbR entwickelt und umgesetzt. Dieses Verfahren beruht auf einfachen Grundannahmen der statischen Konstruktion und ihrer geometrischen Formen, die mittels mathematisch-statistischer Verfahren hochgerechnet werden. Diese Arbeit übernehmen im Allgemeinen komplexe Computerprogramme, die vorgeschlagene Geometrien in statische Systeme umwandeln helfen. Im Falle der Autobahnkirche Siegerland wurden hier mit Rhino von McNeel und der Software für Rhino zur parametrischen Berechnung namens Grashopper zwei gängige Produkte eingesetzt.
Die Umsetzung der bereits im Werk vorgefertigten Einzelelemente der Kuppelkonstruktion erfolgte durch die Schreinerei Hein GmbH aus Waldbüttelbrunn. Sie produzierte auf Basis der Daten von schneider+schumacher Parametrik aus 30 mm starken OSB-Platten die 650 Einzelteile mittels CNC-Maschinen. Zusammengesetzt ergibt das eine Kuppel von rund 7 m Höhe und einem Durchmesser von rund 15 m. Aufgrund der hohen Komplexität und der vielen Elemente stellte der Aufbau eine große Herausforderung dar. Die Umsetzung überzeugt aber und weist auf eine geglückte Lösung hin. Da die Kuppel nicht den gesamten, quadratischen Grundriss des Kirchenbaus ausfüllt, ergeben sich in den Randzonen Freibereiche, die für Nebenräume genutzt wurden. Hier brachten die Planer Sakristei und Lagerräume unter.
Sonderkonstruktionen
Wie bei der Kuppel und der Konstruktion für den eigentlichen Baukörper handelt es sich auch bei der Möblierung des Altarbereichs um Sonderanfertigungen. Altar, Kreuz, Lesepult, Anliegenpult und Kernzenhalter stammen ebenfalls von der Schreinerei Hein und wurden aus OSB-Platten gefertigt. Ihnen und dem in lasiertem Holz gehaltenen Gewölbe steht als Kontrast ein heller, anthrazitfarbener Boden entgegen. Der Sichtestrich Rheorapid stammt von Chemotechnik und zeichnet sich durch ein schnelles Abbinden aus. Mit einer Oberflächengüte CT-C40 und einer hohen Standfähigkeit gegen Witterungs- und Belastungsabnutzung ist er ideal für den Besucherverkehr in einer Autobahnkirche. Denn so mancher Besucher dürfte in den kalten Monaten neben Schmutz und Schnee auch Salz und Split herein tragen. Damit kommt der robuste Boden gut zurecht.
Gut zurecht kommt man auch mit dem gesamten Kirchenbau. Eine klare Gliederung, ein spannender Kontrast zwischen Außenansicht und Innenleben, eine angenehme Materialwahl, die gekippten Fläche der Fassade und der quadratische Grundriss mit seinen 14 m auf 14 m bilden eine harmonische Gesamtkomposition. Die extravagante Gestaltung wirkt zudem sehr anziehend und macht neugierig. Besonders bemerkenswert dürfte aber sein, dass diese Kirche aus der privaten Initiative des Ehepaars Hering entstand. Wie die meisten Autobahnkirchen ist sie damit der Versuch, im Alltag wieder etwas Besinnung und Ruhe aufkommen zu lassen. Ob man nun religiös ist oder nicht, einen guten Gedanken kann man darin auf jeden Fall finden.
Prof. Michael Schumacher, Architekt: „Autohöfe sind Orte von unmissverständlicher Direktheit. Es sind kleine Städte, aber ohne die subtilen Schichten – ohne Räume der Stille, der Andacht, der Schönheit. Die kleine Autobahnkirche stellt ein Angebot für diese existenziellen Bedürfnisse dar, und zwar gerade dort, wo es am meisten fehlt.“ „Die äußere Form der Kirche ist abstrakt, signalisiert aber distanzlos direkt, ich bin eine Kirche.“
Architekten: schneider+schumacher,
Planungsgesellschaft mbH, Frankfurt/Main
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