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Weiß gekleidet

Neubau eines Wissenschaftszentrums in Straubing
Weiß gekleidet

Der bayrische Landkreis Straubing-Bogen positioniert sich als „Bioenergie-Region“, deren Herzstück das Straubinger Wissenschaftszentrum ist. Fünf Universitäten bündeln hier Forschung, Lehre und Wissenstransfer im Bereich der Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen. Die weithin sichtbare Sonnenschutzfassade ist hierbei eine exzellente Visitenkarte des interdisziplinären Projektes.

Wolfgang Egenberger | jo

Mit dem Architekturbüro Nickl & Partner fand der Bauherr, das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, einen Partner, zu deren ausgesprochener Philosophie das besondere Augenmerk auf die „Angemessenheit der Mittel in Bezug zur Aufgabe“ eines Gebäudes gehört. In Straubing war naturgemäß die Verwendung nachwachsender Rohstoffe als Baumaterialien im Außen- und Innenbereich ein wichtiges Anliegen. Nickl & Partner setzte deshalb Holz als Baustoff für die Tragkonstruktion und bei den Bodenbelägen, im Innenausbau und bei der Wärmedämmung ein. Für Wärme im Gebäude sorgt eine Biomassefeuerungsanlage.
Textillamellen als zweite Haut
In dieses nachhaltige Gebäudekonzept fügt sich die attraktive Sonnenschutzfassade tadellos ein – und zwar sowohl in funktionaler Hinsicht als auch im Zusammenhang mit dem regionalen Marketinggedanken. Die weithin sichtbaren und strahlend weißen Textillamellen sind längst zu einer Visitenkarte für das ehrgeizige interdisziplinäre Projekt geworden. Als Gebäudehülle schützen sie die Nutzer des Wissenschaftszentrums vor zu viel Sonneneinstrahlung und machen zugleich die optimale Ausnutzung der Sonne als Licht- und Energielieferant möglich.
Gleich einer zweiten Haut aus Glasfaserlamellen umschließt die Sonnenschutzanlage das neue Wissenschaftszentrum von drei Seiten. Insgesamt 1 488 Membranlamellen vom Typ Colt Shadotex (zwischen 1,75 und 1,60 m breit und rund 60 bzw. 75 cm hoch) wurden rund um das quaderförmige Gebäude in 18 Reihen übereinander angeordnet. Offen blieb allein der im Westen gelegene gläserne Eingangsbereich und auf der gegenüberliegenden Seite setzt sich das holzverkleidete Technikum optisch ab. Insgesamt wurden 1 612 m2 Fassadenfläche mit Lamellen bestückt.
Harmonisches Raster
Die Haltekonstruktion für die Lamellen wurde konsequent nach der Struktur der Primärfassade ausgerichtet. So entstand ein harmonisches Raster, das den Rhythmus der Gebäudefassade weder von innen nach außen, noch von außen nach innen betrachtet stört oder unterbricht.
Ein geschickter Wechsel von fest stehenden und beweglichen Lamellen unterstützt dieses angenehme Gleichmaß. Auf der Südwestseite neben dem Haupteingang und dem dahinter befindlichen Bereich sind alle Lamellen starr fixiert. Etwa zwei Drittel dieser festen Lamellen sind in einem Winkel von 30 Grad zur Horizontalen geöffnet, die anderen sind geschlossen. An allen anderen Gebäudeseiten sind die Lamellen vor den Fensterbändern (etwa zwei Drittel) beweglich, im Brüstungsbereich unter den Fenstern befinden sich nur fest stehende geschlossene Lamellenelemente. Zwischen der Lamellenhülle und der eigentlichen Gebäudefassade verläuft vor jedem Stockwerk ein etwa 40 cm breiter Gitterrostgang. Er dient zur Reinigung und Wartung der Lamellenanlage und Fassade.
Testreihen in Musteranlage
Die Lamellen selbst bestehen aus textilen Membranen aus Glasfasergewebe, die stramm auf Aluminiumrahmen aufgespannt sind. Je nach Position und energetischem Bedarf – bezogen auf den Sonnenstand – wurden 846 Lamellen einzeln und 542 Lamellen doppelt bespannt.
Um die Maschen des Glasfasergewebes zu verschließen, wurden die Bespannungen der Lamellen achtfach mit Teflon (PTFE) überzogen. Bei Sonneneinstrahlung sorgt diese Beschichtung für eine sehr hohe und gleichmäßig diffuse Streuung des Lichts ins Gebäudeinnere. Das Gewebe wird zudem wasserdicht und extrem Schmutz abweisend.
Colt International baute für das Straubinger Projekt eine eigene Musteranlage. Hier wurden spezielle Testreihen durchgeführt, um die Belastbarkeit der Lamellengewebe zu gewährleisten. In so genannten Biaxialtests wurde die Spannung der textilen Lamellen in den Richtungen von „Schuss“ und „Kette“ gemessen. Auf diese Weise wurde sichergestellt, dass sich die leichtgewichtigen Lamellen auch bei widrigen Witterungsverhältnissen nicht verziehen oder wegen Materialermüdung Falten werfen.
Energetischer Abminderungsfaktor
Besonderes Augenmerk richteten die Colt-Ingenieure auf die Berechnung des FC-Wertes der Sonnenschutzanlage, also des energetischen Abminderungsfaktors. Dieser Wert bezeichnet den Quotienten der solaren Strahlung, die durch das Sonnenschutzsystem hindurch tritt, und der auf das Schutzsystem auftreffenden Strahlung.
Der FC-Wert ist abhängig von vielen Einflussfaktoren wie der geografische Lage, der Jahreszeit, der Ausrichtung der Fassade, der geometrischen Anordnung des Sonnenschutzes sowie den strahlungstechnischen Kerngrößen der verwendeten Materialien. Streng genommen variiert dieser Wert sogar mit der Tageszeit, so dass bauphysikalisch üblicherweise repräsentative sommerliche Mittelwerte errechnet werden und diese zur sicheren Seite hin gerundet werden.
In Straubing legte Colt International kalorische Messungen des Instituts für Fenstertechnik IFT in Rosenheim zu Grunde, korrigierte diese Daten allerdings aufgrund der spezifischen Verhältnisse vor Ort.
So wurde beispielsweise zusätzlich berücksichtigt, dass bei der Sonnenschutzanlage des Wissenschaftszentrums Straubing die Sonnenstrahlen teilweise mehrere Lamellen passieren, bevor sie nach innen dringen, was die Strahlung mehrfach schwächt.
Auch wurde bei der Berechnung des FC-Wertes für das Projekt Straubing der Tatsache Rechnung getragen, dass die Sonnenstrahlen nicht immer senkrecht auf die Lamellen auftreffen, und dass die Himmelsstrahlung in der Realität nicht immer gleichmäßig verteilt ist. Die Ingenieure ermittelten auf diese Weise einen tatsächlichen FC-Wert der einfach bespannten Lamellen von 0.25 (beweglich) und 0.26 (fest). Im Klartext: Hier gelangen nur noch 25 bzw. 26 % der ursprünglichen Sonneneinstrahlung ins Gebäude. Der Wert bei den doppelt bespannten Lamellen liegt bei 0.17 (beweglich) und 0.18 (fest). Hier gelangen sogar nur noch 16 bis 17 % der Strahlung ein.
Summa summarum führten die auf die tatsächlichen örtlichen Verhältnisse zugeschnittenen Spezialberechnungen beim Wissenschaftszentrum Straubing zu einer Verbesserung der FC-Werte von bis zu 40 % – und damit zu einer Optimierung der Energiebilanz.
Prof. Hans Nickl: „Hinter der Fassadenidee des Wissenschaftszentrums stecken zwei Grundsätze: unverwechselbare Identität des Gebäudes und Geheimnis der Wissenschaft. Auf der Suche nach einem geeigneten Material für den Sonnenschutz, an einen über den Neubau ausgebreiteten Schleier erinnernd, wählten wir in ersten Versuchen einen Jutestoff mit Teflonbeschichtung. Angelehnt an die Gebäudebestimmung zur Erforschung nachwachsender Rohstoffe erwies sich dieses Material leider als ungeeignet, so dass wir nun einen glasfaserverstärkten, teflonbeschichteten Werkstoff verwenden, der dem Haus bei Tag und Nacht sein ‚Geheimnis‘ gibt.“
Architekten: Nickl & Partner Architekten AG, München/Berlin
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