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Lebensfaktor Wasser

Neubau eines Bürogebäudes in Middelburg (NL)
Lebensfaktor Wasser

Robert Uhde

Die im Süden des Landes gelegene Provinz Zeeland gehört zu den wasserreichsten Regionen der Niederlande. Bis zu der verheerenden Flutkatastrophe von 1953, bei der fast 2 000 Menschen ihr Leben verloren, bestand das Gebiet aus einem Archipel kleiner Inseln, die stark durch den Gezeitenwechsel bestimmt wurden. Erst danach wurden neue Dämme errichtet und die Küstenlinie damit um 700 Kilometer verkürzt.
Die Aufsicht über sämtliche Wasserwege und Deiche in der Region liegt beim Amt für Verkehr und Wasserwirtschaft (Rijkswaterstaat) von Zeeland in der rund 45 000 Einwohner zählenden Provinzhauptstadt Middelburg. Nachdem die Behörde dort zuvor in mehreren quer über die Stadt verstreuten Gebäuden ansässig war, hat sie jetzt einen neuen Hauptsitz erhalten.
Beispielhaftes Bauen
Der Neubau wurde durch den Amsterdamer Architekten Paul de Ruiter als fünfgeschossiger Riegel mit einer elegant detaillierten Fassade aus Stahl und Glas geplant. Auf einer Bruttogeschossfläche von 11 835 m² bietet er Büroräume für 450 Mitarbeiter, ein Archiv, ein Katastrophenzentrum mit angegliedertem Computerzentrum, über das im Notfall sämtliche Schleusen in ganz Zeeland bedient werden können, sowie Konferenzräume, eine Kantine und ein kleines Fitnesszentrum.
Aufgrund seiner herausgehobenen Bedeutung wurde das Projekt durch die Niederländische Regierung als Auftraggeberin ganz bewusst als Demonstrationsvorhaben für energiesparendes und nachhaltiges Bauen konzipiert.
Der Bau verbindet eine kompakte Gesamtform für eine möglichst geringe Außenfläche mit verschiedenen Maßnahmen für eine optimierte Tageslichtnutzung. Weitere Elemente der avancierten Gebäudetechnik sind eine Betonkernaktivierung sowie die Integration einer hochmodernen Anlage zur unterirdischen Langzeitspeicherung von Kälte und Wärme (Aquifer als Grundwasserleiter ist ein Gesteinskörper mit Hohlräumen).
Reiz und Herausforderung: Wasser
Seinem Selbstverständnis als Amt für Verkehr und Wasserwirtschaft entsprechend, wurde der langgestreckte, teilweise öffentlich zugängliche Neubau direkt am Ufer des die Stadt durchziehenden Wasserwegs, des Kanaals van Walcherem, errichtet. Mit seiner markanten, fast durchgehend transparenten Außenhaut schafft er dort ein weithin sichtbares architektonisches und städtebauliches Zeichen im Übergangsbereich zwischen der nördlich angrenzenden Innenstadt und den jenseits des Wasserwegs gelegenen Außenbezirken. Um die Qualität dieses reizvollen Standortes optimal zu nutzen, entschied sich Paul de Ruiter dazu, das Gebäude auf mächtigen Pilotis aufzuständern. So konnte das Untergeschoss für eine offene Parkgarage genutzt werden und die ursprünglich als Parkplatz vorgesehene Fläche neben dem Gebäude blieb als Grünfläche erhalten. Ein weiterer Vorteil der Aufständerung ist die Anhebung des Erdgeschosses auf die Höhe der Deichkrone, was eine freie Aussicht über das Wasser und eine optimierte Tageslichtnutzung aus den hier gelegenen Bereichen Kantine, Eingang und Konferenzräume ermöglicht.
Die Lage des bewusst offen gestalteten Eingangs direkt am Radwanderweg auf dem Deich schafft gleichzeitig eine optimierte Anbindung an die Innenstadt und den Bahnhof, was eine ökologisch sinnvolle Nutzung des Fahrrads oder des Öffentlichen Nahverkehrs durch die Mitarbeiter befördert.
Flexibel gegliedert
Nach dem Passieren der Empfangstheke ins Innere des Neubaus gelangt, wird die Aufmerksamkeit sofort durch das erste der drei gebäudehohen Atrien in Anspruch genommen. Die luftige Gestaltung ermöglicht nicht nur eine gute und übersichtliche Orientierung innerhalb des großflächigen Gebäudes, sondern sorgt in Kombination mit der durchgehend geöffneten Glasfassade vor allem für eine optimierte Tageslichtnutzung und einen somit deutlich reduzierten Strombedarf. Ein weiterer Anspruch bei der Grundrissgestaltung war eine möglichst große Flexibilität, um so eine optimale Nutzung der Flächen zu ermöglichen und eventuelle Flächenleerstände zu vermeiden. Neben der Integration eines modernen Bürokonzeptes bietet der Neubau daher auch die Möglichkeit zur einfachen und sicherheitstechnisch unbedenklichen Fremdvermietung einzelner Bereiche.
Avancierte Haustechnik
Paul de Ruiter setzt bei seinen Projekten auf eine technisch hochwertige Synthese aus zurückhaltender Ästhetik und avancierter Gebäudetechnik. Zur Energie sparenden Klimatisierung des Neubaus in Middelburg setzte er dabei auf eine effektive Betonkernaktivierung, beruhend auf der Speichermasse der im Sommer durch Zuluft und Nachtauskühlung gekühlten Betonböden. Die Lösung schafft nicht nur eine hohe Aufenthaltsqualität in den Räumen, sondern verbraucht auch rund 50 Prozent weniger Energie als ein System mit alternativ zunächst angedachten Kühldecken.
Darüber hinaus garantierte das Konzept einen schnellen Baufortschritt und bietet zudem die Möglichkeit für eine Wiederverwendbarkeit der einzelnen Bodenelemente, wenn das Gebäude in einigen Jahrzehnten eventuell umgebaut oder abgerissen werden müsste.
Als weitere Besonderheit nehmen die 30 cm starken, aus vorgefertigten Elementen zusammengesetzten Systemböden sämtliche Versorgungsleitungen für die Lüftung und die Elektrik sowie die Datenleitungen auf. Durch diese Maßnahme war es schließlich möglich, auf abgehängte Decken in den Büroräumen zu verzichten und die Nettogeschosshöhe dennoch – trotz verringerter Bruttogeschosshöhe von herkömmlich 3,60 m auf 3,40 m – auf durchgehend 3,10 m statt herkömmlich 2,60 m anzuheben.
Die gewonnene Höhe nutzte Paul de Ruiter dazu, ein zusätzliches Oberlicht zu integrieren und somit mehr Tageslicht tief in die Räume eindringen zu lassen. Die nach Süden orientierte Fassade wurde bis auf die Flächen vor den Atrien mit Sonnenschutzlamellen ausgestattet. Fahren die Lamellen im unteren Fensterbereich bei Sonneneinstrahlung herunter, dann klappen die Lamellen vor den Oberlichtern im Gegenzug hoch, um so als Reflektoren für zusätzliches Tageslicht in den Büroräumen zu sorgen.
Zeitversetzte Speicherung
Zusätzliche Energie wird durch den Einbau einer hochmodernen Anlage zur unterirdischen Langzeitspeicherung (Aquifer) eingespart. In Verbindung mit einer elektrischen Wärmepumpe stellt sie gleichzeitig Erdwärme für die winterliche Gebäudeheizung bereit. Das Konzept beruht auf zwei rund 65 m tief ins Erdreich getriebenen Schluckbrunnen, mit deren Hilfe die relativ niedrigen Temperaturen der Grundwasserleiter als zeitversetzter Energiespeicher genutzt werden können.
Einer der Brunnen dient als Kälte-, der andere als Wärme-Schluckbrunnen. In der warmen Jahreszeit nutzt die Anlage die relativ niedrigen Temperaturen des im Verlauf des Winters abgekühlten und jetzt aus dem Kälte-Schluckbrunnen hochgepumpten Grundwassers zur Kälteversorgung bzw. zur Klimatisierung des Gebäudes. Die bei der Klimatisierung des Gebäudes aufgenommene Wärme wird im Gegenzug in den Wärme-Schluckbrunnen abgeführt und sorgt dort dafür, dass die Boden- und Grundwassertemperatur im Bereich der Infiltrationsstelle zunimmt. In der kalten Jahreszeit kann das so aufgewärmte Grundwasser dann dem Wärme-Brunnen entnommen und der Gebäudeheizung zur Verfügung gestellt werden.
Das gesamte System bietet einen Wärmerückgewinnungsgrad von etwa 90 Prozent und ermöglicht eine Energie-Einsparung von rund 40 bis 50 Prozent im Vergleich zu einer konventionellen Kompressions-Kälteanlage. Auch das ein Grund dafür, dass der Heizwärmebedarf des Gebäudes letztlich auf deutlich unter 40 kWh/m²a begrenzt werden konnte.
Weitere Informationen
Fassadenlamellen bba 506
Beton-Aktivdecke bba 507 Fertigbeton-Elemente bba 508 Sonnenschutzsystem bba 509 Holzdecken/-wände bba 510
Planung: Architectenbureau Paul de Ruiter, Amsterdam Projektteam: Dieter Blok, Monique Verhoef, Willeke Smit, Helga Traksel, Michael Noordam, Sander van Veen, Emma Franks, Melanie Go, Florent Rougemont, Jeroen Quanjer, Nicolle Flagiello Statik: ABT adviseurs in bouwtechniek, Velp; Willem Brands, Ben Geutjes Gebäudetechnik: Halmos b.v., Den Haag; Fred Stauffer Bauphysik: moBius consult bv, Driebergen; Marius Roel Inneneinrichtung: Architectenbureau Paul de Ruiter b.v., Amsterdam Landschaftsplanung: Bosch & Slabbers Tuin en landschapsarchitecten, Middelburg
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