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Intelligent aufgewertet

Umbau eines Rathauses im niederländischen Borsele
Intelligent aufgewertet

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In Borsele hat das Rotterdamer Atelier Kempe Thill ein Rathaus aus den 1980er-Jahren komplett umgebaut und energetisch aufgewertet. Die weiße Ziegelfassade und die zuvor mit dunklen Schindeln abgedeckte Dachlandschaft des Komplexes wurden dabei durch eine durchgängige Hülle aus schwarz-grün-emaillierten Glasmosaikfliesen ersetzt.

Robert Uhde

Mit zunehmender zeitlicher Distanz hat die lange Zeit unterbewertete Architektur aus den 1960er- und 1970er-Jahren in den letzten Jahren eine deutliche Neubewertung erfahren. Für Gebäude aus den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren gilt das bislang (noch) nicht. Die oftmals hermetische Architektur mit ihren unförmig ausufernden und vorkragenden Dachlandschaften repräsentiert so ziemlich das Gegenteil heutiger Ansprüche an Architektur, kann aber anders als die davor liegenden Dekaden (noch) keinen „Retro-Status“ für sich verbuchen.
Ein gutes Beispiel dafür bot das Ende der 1970er-Jahre errichtete, zuletzt deutlich in die Jahre gekommene Rathaus in Borsele. Die in der niederländischen Provinz Zeeland gelegene Gemeinde war 1970 durch den Zusammenschluss von 13 Dörfern gegründet worden, als Standort für das neu zu errichtende Rathaus war seinerzeit der Ort Heinkenszand bestimmt worden. Rund 30 Jahre nach seiner Fertigstellung entsprach der doppelgeschossige Bau jedoch nicht mehr den aktuellen baulichen, klimatischen, räumlichen und repräsentativen Anforderungen. Das zuvor hier ansässige Rathaus und das Standesamt waren deshalb bereits 2002 in ein anderes Gebäude umgesiedelt worden. 2009 hatten die Verantwortlichen der Stadt daraufhin beschlossen, einen europaweiten Wettbewerb auszuschreiben, den schließlich das Rotterdamer Atelier Kempe Thill für sich entscheiden konnte.
„Ikea-Klassizismus“
Ursprünglich war geplant gewesen, den Y-förmig aus drei Flügeln und einem zentralen Atrium bestehenden Komplex zu modernisieren und großzügig zu erweitern. Aus Kostengründen musste diese erste Idee dann allerdings wieder verworfen werden. Stattdessen sahen sich die Architekten vor die Aufgabe gestellt, die bestehende Struktur weitgehend beizubehalten und das Gebäude stattdessen mit wenigen gezielten Eingriffen ästhetisch und technisch an moderne Standards anzupassen. Die Partner André Kempe und Oliver Thill – beide in ostdeutschen Plattenbausiedlungen aufgewachsen und seit 1996 in den Niederlanden…
…beschreiben ihre Vorgehensweise gerne als „Ikea-Klassizismus“; als Versuch, aus der Not eine Tugend zu machen und mit möglichst geringem Budget möglichst hochwertige architektonische Lösungen zu realisieren.
Das Projekt in Borsele passte somit exakt ins Profil der Architekten. Statt eines kompletten Umbaus entwickelten die Planer die Idee, das Gebäude einfach neu einzukleiden: „Wie bei vielen Projekten der Italienischen Renaissance ging es uns darum, Vorhandenes mit einer neuen, durchgehenden Außenhaut zu überziehen, um den öffentlichen und repräsentativen Charakter des Hauses zu steigern und es überhaupt erst zu Architektur werden zu lassen“, erklärt Oliver Thill das grundlegende Konzept.
Umfangreiches Face-Lifting
In einem ersten Schritt wurden zunächst die Stirnseiten der drei Flügel komplett umgestaltet. Um flexibel nutzbare moderne Büroflächen mit ausreichend Tageslichteinfall zu erhalten, wurden die zuvor mit Schrägdächern abgeschlossenen Bereiche im Zuge des Umbaus „begradigt“ und mit großen Panoramafenstern zur angrenzenden Landschaft geöffnet und erweitert. Der Eingriff schafft also nicht nur eine deutlich modernere Optik, er sorgt auch für deutlich verbesserte Arbeitsbedingungen.
Als weitere zentrale Umbaumaßnahme wurden anschließend die weiß verklinkerten Fassaden sowie die mit dunklen Schindeln eingedeckten Dächer durchgehend mit einer Außenhülle aus schwarz-grün-emaillierten Glasmosaikfliesen verkleidet. „Die elegant detaillierte Hülle fasst die zuvor recht heterogenen Baukörper zu einem einheitlichen Ganzen zusammen und ermöglicht so eine veränderte, deutlich kompaktere Anmutung des Gebäudes“, erklärt Oliver Thill. Parallel dazu wurden die vorhandenen kleinen Aluminiumfenster abgebrochen und durch 1,8 x 1,6 m große, sehr dünne und beinahe rahmenlose Senkklapp-Fenster mit Sonnenschutzverglasung ersetzt, die für eine möglichst homogene Außenfläche bündig in die Fassade eingelassen sind.
Bei der Ausführung der neuen Außenhülle waren die Fassaden und Dächer zunächst mit einer 90 mm dicken Schicht aus Polyurethan-Hartschaum isoliert worden, um so eine effektive Wärmedämmung zu erreichen und das Gebäude energetisch an moderne Standards anzupassen. Direkt darüber wurden dann die Fassadenpaneele auf einer zuvor aufgebrachten Konterlattung montiert. „Die 30 x 30 cm großen Elemente bestehen aus 20 mm dicken Trägerplatten, auf die werkseitig nach unseren Vorstellungen dunkelgrüne, leicht emaillierte Glasfliesen eines chinesischen Herstellers aufgeklebt wurden“, erklärt Oliver Thill. (Putzträgerplatte Sto-Ventech aus Blähglasgranulat)
„Aus der Entfernung betrachtet erzeugen die Elemente eine matt schimmernde Oberfläche, deren dunkle Farbigkeit subtil auf die traditionell schwarz geteerten Scheunen in der Umgebung verweist.“
Kuppeldach als Empfang
Eine ebenso große Herausforderung bildeten die Umbauten im Innenraum des Gebäudes. Als wichtigste Maßnahme wurde der zentral am Schnittpunkt zwischen den drei Flügeln gelegene Eingangsbereich des Rathauses aufgebrochen und durch eine große Glasfront nach außen kenntlich gemacht (Structural-Sealant-Glazing-Fassade SSG und Aluminiumrahmen von Keers Mijdrecht; Glaselemente von Scheuten Glas). Direkt angrenzend erreichen die Mitarbeiter und Besucher das komplett veränderte, als Erschließungsscharnier für die drei Gebäudeflügel fungierende Foyer. Um ein angenehmes und einladendes Ambiente zu erhalten und eine klare Raumstruktur zu erreichen, haben Kempe Thill die mit einem Oberlicht geöffnete doppelgeschossige Halle entsprechend der Y-förmigen Gebäudeanordnung als Oktogon gestaltet und die Decke gleichzeitig als imposantes Kuppeldach ausformuliert.
Einen weiteren Blickfang bieten die glasverkleideten Brüstungen der umlaufenden Galerie im Obergeschoss. An den Wänden kam außerdem eine hellgrüne Variante der für die Fassaden verwendeten Keramikfliesen zum Einsatz, um so einen fließenden Übergang zwischen innen und außen zu schaffen und die einzelnen Elemente des Gebäudes weiter zusammenzufügen. Im Zusammenspiel der unterschiedlichen Maßnahmen gelang den Architekten ein überzeugendes Face-Lifting, das gleichzeitig einen exemplarischen Umgang mit dem ungeliebten Bestand der späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren aufzeigt.
Architekten:
Atelier Kempe Thill, Rotterdam (NL)
Entwurfsteam: André Kempe, Oliver Thill, Jan Gerrit Wessels, Ruud Smeelen mit Teun van der Meulen, Roel van der Zeeuw, Andrius Raguotis, Sezen Zehra Beldag, Renzo Sgolacchia, Karel Kubza und Martins Duselis
Tragwerksplanung: Grontmij Nederland BV., De Bilt (NL)
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