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Arbeit neu belebt

Umbau und Erweiterung einer Maschinenfabrik zum Berufsschulzentrum in Hengelo
Arbeit neu belebt

Im niederländischen Hengelo wurde die 1902 erbaute Eisengießerei einer ehemaligen Maschinenfabrik zum Berufsschulzentrum umgenutzt. Die mit dem Umbau beauftragten IAA Architecten aus Enschede erweiterten die monumentale Architektur der alten Industriehalle durch zwei großzügig verglaste Neubauten und schufen so ein hochmodernes, multifunktionales Schulgebäude, das auch als Stadtteilzentrum fungiert.

Robert Uhde

Die rund 80 000 Einwohner zählende Stadt Hengelo hat sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts zu einer der bedeutendsten Industriestädte der Niederlande entwickelt. Zu den wichtigsten Unternehmen vor Ort gehörte dabei die 1864 gegründete Maschinenfabrik Gebr. Stork & Co., die maßgeblich den Ruf Hengelos als „Metallstadt“ begründete. Das Unternehmen begann als Zulieferer von Dampfmaschinen für die örtliche Textilindustrie, produzierte jedoch schnell auch Anlagen für zahlreiche andere Branchen. Seit den 1980er-Jahren lag der größte Teil des Firmenareals durch zunehmende Rationalisierung und Umsiedelung einzelner Unternehmensbereiche brach. Da gleichzeitig auch die angrenzenden Industrieflächen von Zulieferbetrieben und weiteren Unternehmen leer standen, beschloss die Stadt Hengelo 2002, eine rund 50 ha große Fläche südlich des Bahnhofes rund um die noch bestehenden Industrieflächen zum neuen Wohn- und Geschäftsquartier „Hart van Zuid“ umzustrukturieren.
Zu den imposantesten Gebäuden vor Ort zählt die 1902 in massiver Backsteinarchitektur errichtete ehemalige Eisengießerei von Stork mit ihren aufwändig verzierten Sichtfassaden, die zuletzt lediglich noch als Montagehalle genutzt worden war. Nach rund dreijähriger Umbauzeit wurde die 150 m lange, 24 m hohe und durch zwei neue Flügel erweiterte Halle inzwischen zum „Community College“ des lokalen Bildungsträgers „ROC van Twente“ umgenutzt. In dem neu geschaffenen Berufsschulzentrum mit einer Nutzfläche von rund 55 000 m² führt der Bildungsträger einen Teil seiner Maßnahmen an zentralem Standort zusammen und stellt gleichzeitig eine gemeinsame Infrastruktur für die rund 15 Ausbildungsstätten in und um Hengelo bereit.
Neue Nutzung
Mit der Planung des Projekts waren auf Basis eines international ausgeschriebenen Architekturwettbewerbs im März 1999 die IAA Architecten aus Enschede beauftragt worden. Anstelle eines zunächst auf dem angrenzenden Grundstück vorgesehenen Neubaus hatte das Büro ein schlüssiges Konzept zur Erhaltung, Umnutzung und Erweiterung der alten Metallgießerei vorgelegt. In enger Absprache mit dem Denkmalschutz und unter Mithilfe des zusätzlich hinzugezogenen Architectenbureaus Fritz aus Bussum war dabei vorgesehen, zunächst die beiden 1928 angefügten Erweiterungen an die Haupthalle abzubrechen und durch zwei unterschiedlich große Neubauflügel in gleicher Kubatur zu ersetzen, um so die geforderten Räumlichkeiten für rund 8 000 Studenten und 1 000 Mitarbeiter zu integrieren.
„Die alte Gießerei sollte hingegen als ‚Industriekathedrale‘ und als ‚Lunge des Gebäudes‘ erhalten bleiben“, so Projektarchitekt Harry Abels.
Die jetzt als Atrium genutzte Halle ermöglicht eine einfache Orientierung innerhalb des Gesamtkomplexes und dient mit ihrer monumentalen Industriearchitektur gleichzeitig als Identität stiftender Treffpunkt für die vor Ort unterrichteten Schüler und Auszubildenden.
Sämtliche Lehrräume wurden hingegen in den beiden offen an das Atrium angrenzenden Neubauvolumen untergebracht. Der zur Stadt nach Norden hin orientierte, großzügig verglaste Neubauflügel integriert dabei auf fünf Ebenen flexibel nutzbare Labor- und Lehrräume für den Bereich Technik. „Um das Gebäudevolumen in kleinere Teile zu untergliedern und eine Art überdeckter Passage mit vielen kleinen Schulen zu schaffen, haben wir die Fläche an verschiedenen Stellen durch kleinere Patios oder Grünzonen unterteilt“, so Harry Abels.
Der lediglich zweigeschossige, mit unterschiedlich tiefen Innenhöfen sowie mit Mauern und Balkonen ausgebildete Neubauflügel in Richtung Süden nimmt zusätzlich die Lehrräume und Büros für die Bereiche Wirtschaft, Pädagogik und Gesundheit auf. Die bewusst kleinteilige Gliederung ermöglicht hier neben einer optimierten Belichtung und Erschließung vor allem einen fließenden Übergang zur angrenzenden Gartenstadt „Lansinkveld“, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Arbeitersiedlung der Stork-Fabrik errichtet worden war. Um in das angrenzende Wohnquartier hineinzuwirken integriert der Komplex neben Räumen für das ROC zusätzlich auch ein Café, eine Buchhandlung, eine große Fahrradgarage, eine Kantine, eine Kindertagesstätte, ein Berufszentrum für die Bereiche Metall und Elektrotechnik sowie das Büro einer Zeitarbeitsfirma. „Die große Halle steht den Bewohnern außerdem als halböffentlicher Versammlungsort für Flohmärkte, Konzerte oder andere Veranstaltungen zur Verfügung“, berichtet Harry Abels.
Vielschichtiger Innenraum
Von Bahnhof her kommend, trifft der Blick zunächst auf die durchgehende Glasfassade des viergeschossigen Nordflügels. Die Glasfront öffnet den Bau zur Stadt und schafft im gesamten Flügel eine offene und lichtdurchflutete Arbeitsatmosphäre. Über den nach Nordosten platzierten Haupteingang erreichen die Auszubildenden und Besucher anschließend das großzügige Atrium. Um hier die kraftvolle Industriearchitektur der ehemaligen Metallgießerei erlebbar zu machen, haben die Architekten die gusseiserne Stahlträgerstruktur der Halle lediglich oberflächlich gesäubert und nicht entrostet oder neu lackiert. Gleichzeitig wurden auch die vorhandenen alten Gläser für die Fassade und die großflächigen Oberlichter weitgehend erhalten und nicht durch neue Scheiben ersetzt. Als neue Innenfassaden im Übergangsbereich zu den beiden Neubauflügeln wurden großflächige, durch Fenster und Türen geöffnete Elemente aus Ortbeton eingesetzt. Die auf der Oberfläche der Elemente sichtbar gebliebenen Gusspunkte der Schalung thematisieren dabei ebenfalls das Thema „Arbeit“.
Um das Gebäude für die neue Nutzung zu erschließen, wurden im Kontrast zum Bestand zahlreiche weitere neue Elemente eingefügt. Ein überraschender Blickfang ist dabei die zentral eingefügte Rolltreppe als direkte Verbindung zwischen dem Erdgeschoss und dem ersten Obergeschoss des angrenzenden Nordflügels sowie als Erschließung des futuristischen, scheinbar frei im Raum schwebenden Präsentations- und Sitzungsraumes „Jonas“. Das auf insgesamt acht Stahlstützen ruhende, mit einer schuppenartig gestalteten Außenhülle aus Kupferpaneelen errichtete „Walfisch“-Volumen bietet Platz für 50 Besucher und ist mit modernster Medientechnik sowie hochwertigem Mobiliar ausgestattet. Ein weiteres neues Element sind die übereinander gestapelten Container, die als WCs dienen. Im westlichen Teil der Halle führt außerdem eine breite Treppe zu einer offenen Lounge, nach Süden wurde über die gesamte Länge des Gebäudes eine offene Galerie als Erschließung des ersten Obergeschosses des angrenzenden Neubauflügels eingefügt.
In den beiden offen anschließenden Neubauvolumen schaffen frei eingestellte, bikonkav geformte Stahlbetonstützen einen direkten Bezug zur vorhandenen Architektur des Altbaus und ermöglichen in sämtlichen Ebenen flexibel nutzbare Grundrisse mit unterschiedlich großen Räumen, die sich aufgrund der frei eingestellten Zwischenwände jederzeit an veränderte Nutzungen anpassen lassen. Je nach Anforderung stehen den Auszubildenden offene Gemeinschaftsräume oder kleinere Einheiten für zwei, vier oder mehr Teilnehmer sowie zahlreiche Bildschirmarbeitsplätze zur Verfügung.
Nachhaltige Gebäudetechnik
Um nicht nur der Geschichte, sondern auch der Zukunft Rechnung zu tragen und gleichzeitig ein angenehmes Binnenklima zu schaffen, haben die Architekten bei ihrer Planung modernste Gebäudetechnik eingefügt. Zur Beheizung und Kühlung des Gebäudes wird auf Betonkernaktivierung zurückgegriffen, zusätzlich sorgen acht „Sonnenschornsteine“ auf dem Dach des Gebäudes für eine natürliche Durchlüftung des Gebäudes mit minimiertem Energieverbrauch. Die jeweils 8 m hohen Schornsteine setzen sich zusammen aus einer sternförmig angeordneten Stahlkonstruktion und einer runden Außenfassade aus Glas, an deren Oberseite ein 1,25 m hoher achteckiger Kranz mit Lüftungsgittern installiert ist. Die Aufbauten dienen als eine Art Sonnenfalle, wobei die natürlich vorerwärmte und ausgeführte Luft mittels Unterdruck frische Luft ins Gebäude fließen lässt und so eine natürliche Thermik im Gebäude erzeugt.
Als weitere ökologische Maßnahme wird für die Toilettenspülung wird auf überflüssiges Grundwasser aus der Innenstadt zurückgegriffen. Den Architekten gelang so nicht nur eine überzeugende Neubelebung und Umnutzung historischer Bausubstanz, sondern auch ein durchdachtes und innovatives Energiekonzept.
Planung: IAA Architecten, Enschede Projektarchitekt Harry Abels Planungsteam: Leon Brokers, Arthur van der Geest, Harne Potgieter, Arnold de Graaf, Herman Oude Nijhuis, Theo Franken, Arlette Kock, Matthias Heming Statik: ABT, Velp Haustechnik: Deems, Rijswijk Restaurierung: Architectenbureau Fritz, Bussum Akustik: Cauberg-Huygen, Zwolle Baumanagement: PRC, Bodegraven Innenarchitektur: IAA Architecten, Enschede Kunst am Bau: Hester Oerlemans, Berlin
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