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Anforderung:
Keine konventionelle Blockrandbebauung für hochwertige Sozialwohnungen
Lösung:
Lichtdurchlässige Fassade mit großen Glasflächen und Holzgestaltung auf schlangenförmigem Grundriss
Mit ihren 2008 fertiggestellten „Mountain Dwellings“ und dem 2010 bezogenen „8-House“ ist es BIG schon vor Jahren gelungen, die Bauaufgabe des klassischen Wohnblocks auf neue Weise zu interpretieren. Beide Projekte überzeugen nicht nur durch ihre ikonische Formgebung und ihre gelungene Integration in den städtebaulichen Kontext, sondern auch durch eine intelligente Erschließung, durch vielfältige Grundrisstypen sowie durch die sinnvolle Einbindung von gewerblich genutzten Flächen. Ein weiterer Beleg für die hohe Expertise der Architekten in Sachen Wohnungsbau ist die 2018 fertiggestellte Blockrandschließung im Kopenhagener Stadtteil Bispebjerg. Der elegant geschwungene Neubau stellt 66 hochwertig gestaltete Sozialwohnungen mit einer Bruttogeschossfläche von 6 800 m² auf fünf Ebenen zur Verfügung. Zusätzliche Qualität erhält das Projekt durch eine geschickte Öffnung und Durchwegung des Grundstückes mit einem öffentlichen Platz nach Süden und einem begrünten Innenhof nach Norden.
Geschwungene Blockrandschließung
Anders als in anderen, deutlich stärker gentrifizierten Stadtteilen von Kopenhagen wie Vesterbro oder Nørrebro lässt es sich im multikulturellen Bispebjerg bis heute vergleichsweise günstig leben. Auf der Suche nach innerstädtischen Verdichtungspotenzialen zur Schaffung von dringend benötigtem Wohnraum waren die Architekten hier auf eine Hinterhoffläche zweier großer Wohnriegel entlang der Straße Dortheavej gestoßen. In enger Kooperation mit der gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft Lejerbo entstand schließlich die Idee, die bislang kaum genutzte, durch eine langgestreckte Backsteinmauer von einem südlich angrenzenden Gewerbegebiet abgetrennte Fläche zum Bau hochwertiger Sozialwohnungen zu nutzen.
„Eigentlich hätte das Grundstück mit einer ganz konventionellen Blockrandschließung bebaut werden sollen“, blickt Projektarchitekt Finn Norkjaer zurück auf den von der Stadt ursprünglich vorgelegten Bebauungsplan. „Da die Bestandsbewohner aber eine zu starke Verschattung ihrer Wohnungen befürchteten, haben wir im engen Austausch mit allen Beteiligten vorgeschlagen, die neue Bebauung stattdessen als eine ‚lichtdurchlässige Wand‘ mit einem geschwungenen Grundriss auszubilden.“
Abwechslungsreiche Gliederung
Ausgehend von dieser Grundidee entstand schließlich das Konzept einer containerartigen Stapelung der einzelnen Einheiten, wobei der hohe Glasanteil der Fassade eine maximale Transparenz des Baukörpers erzielen sollte. Die schlangenförmige Grundrissfigur sorgt zusätzlich für ein Auseinanderziehen des somit weniger hohen Gesamtvolumens und ermöglichte außerdem auch Raum für einen kleinen Vorplatz entlang der Straße. Die Auslassung der drei direkt an den Platz angrenzenden Module im Erdgeschoss schafft einen fließenden Übergang zum innenseitig sich anschließenden Hof mit seiner abwechslungsreichen Durchwegung und den vielfältig genutzten privaten Außenflächen.
Neben der markanten Formgebung überzeugt die abwechslungsreiche Gestaltung der Fassade. Die zur Straße nach Süden orientierte Ansicht wird vor allem durch den schachbrettartigen Wechsel von vor- und zurückspringenden Volumen mit entsprechend größeren und kleineren Wohnungen bestimmt, wobei der frei gewordene Raum jeweils als Balkonfläche für die kleineren Einheiten zur Verfügung steht. Zusätzlichen Reiz erhält der Entwurf durch den rhythmischen Kontrast der großen Glasflächen mit den in Holz ausgeführten Fassadenverkleidungen und Balkonlaibungen. Im Zusammenspiel ist eine überaus bewegte Figur entstanden, die eine wohltuende Bereicherung des ansonsten streng orthogonalen Bebauungsrasters im Stadtteil schafft. Ebenso geschwungen, aber ohne zurückspringende Balkone, präsentiert sich die Innenhoffassade des Gebäudes nach Norden, die alternativ durch das Spiel von vertikal und horizontal strukturierten Holzflächen sowie durch den Wechsel von unterschiedlich großen und abwechslungsreich gegliederten Fensterflächen geprägt wird.
Thermisch behandeltes Kiefernholz
Um den in Dänemark für den Bau von Sozialwohnungen vorgegebenen Kostenrahmen von 1 600 Euro/m² einzuhalten, wurde der Neubau in einfacher Bauweise mit vorgefertigten Decken und Wänden aus Beton errichtet. „Und auch sonst haben wir es als Herausforderung betrachtet, möglichst kostengünstige und unkompliziert zu verbauende Konstruktionstechniken und Materialien zu nutzen, ohne diese Einschränkungen als Ausrede für mangelnde gestalterische Qualität zu nutzen“, beschreibt Finn Norkjaer den hohen Anspruch seines Büros an das Projekt. Eine wichtige Rolle dabei spielte die Ausführung der Fassade: Um eine kostengünstige, nachhaltige und gleichzeitig gestalterisch hochwertige Lösung umzusetzen, die noch dazu einen freundlichen und warmen Kontrast zu den Klinkerbauten im Umfeld schafft, kamen 3 000 x 115 x 21 mm große Bretter aus thermisch behandeltem Kiefernholz zum Einsatz.
Auf der Baustelle brauchten die Bretter lediglich mithilfe einer speziellen Unterkonstruktion aus 25 mm dicken Stahlprofilen auf der darunter liegenden Betonfassade montiert zu werden. Im Zwischenraum wurde für optimierten Wärmeschutz eine 95 bis 160 mm dicke Dämmung aus Steinwolle integriert. Eine 9 mm dicke Faserzementplatte bietet zusätzlichen Witterungsschutz aufgrund der Leichtbauweise.
Quasi Altbau-Atmosphäre in Sozialwohnungen
Ebenso hochwertig präsentieren sich die Wohnungen im Innenraum. Je nach Bedarf stehen 1- bis 5-Zimmer-Wohnungen mit Flächen zwischen 36 und 115 m² zur Verfügung, geprägt jeweils durch eine einfache Materialsprache mit Holz und Beton. Eine Besonderheit sind dabei die 3,50 m hohen – und damit eher an Altbaulofts als an Sozialwohnungen erinnernden – Decken, die gemeinsam mit raumhohen, innenseitig weiß lackierten Holz-Aluminiumfenstern und den Loggien einen luftigen Raumeindruck ermöglichen. Im Zusammenspiel mit dem vielfältig nutzbaren Innenhof sowie der Integration von Photovoltaikmodulen auf dem Dach des Gebäudes zur Bereitstellung von Gemeinschaftsstrom gelang BIG damit ein eindrucksvoller Beleg dafür, dass sich gute Architektur auch mit den Mitteln des Sozialen Wohnungsbaus umsetzen lässt. Ein schönes Vorbild und dringend zur Nachahmung empfohlen!
Bauherr: Lejerbo, Kopenhagen
Planung: BIG, Kopenhagen
Projektpartner: Bjarke Ingels, Finn Nørkjær
Projektmanager: Ole Elkjær-Larsen, Per Bo Madsen
www.big.dk/#projects
Bruttogeschossfläche: 6 800 m²
Fertigstellung: 2018
Projektarchitekt Finn Norkjaer: „Das vorherige Erhitzen des Holzes auf mindestens 160 °C bei Sauerstoffmangel ermöglicht dabei eine verbesserte Fäulnisresistenz sowie eine verringerte Wasseraufnahmefähigkeit ohne Einsatz weiterer Beschichtungen.“
Projektarchitekt Finn Norkjaer: „(…) haben wir es als Herausforderung betrachtet, möglichst kostengünstige und unkompliziert zu verbauende Konstruktionstechniken und Materialien zu nutzen, ohne diese Einschränkungen als Ausrede für mangelnde gestalterische Qualität zu nutzen“.
Robert Uhde
Studium der Kunst und Germanistik in Oldenburg. Erstes Staatsexamen. Ausbildung zum Fachredakteur für Architektur bei der Verlagsgruppe Rudolf Müller in Köln. Seit 1997 freier Autor für Fachzeitschriften und Tageszeitungen. Eigenes Büro in Oldenburg.
www.robert-uhde.de