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Weit über dem Standard

Umbau eines Pfarrhauses in eine Kindertagesstätte in Leipzig
Weit über dem Standard

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, das Versprechen von Bund, Ländern und Kommunen, mehr ganztägige Betreuungsangebote zu schaffen und der Wunsch vieler Mütter, sich nicht zwischen Beruf und Kind entscheiden zu müssen, erfordern immer neue oder größere Ein- richtungen. Auch im Leipziger Stadtteil Plagwitz ist dies der Fall. Hier wurde in einem historischen Pfarrhaus eine bestehende Kindertagesstätte nach den Plänen von Graalfs Architekten erweitert und bietet nun dem Träger, der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Leipzig- Lindenau-Plagwitz, neue Möglichkeiten.

Dipl. Ing. Marc Nagel

Wenn ein denkmalgeschütztes Gebäude aus dem Jahr 1897, ein pädagogischer Ansatz aus den 1960er Jahren und die Ansprüche von Eltern und Kindern aus dem noch jungen Jahrtausend aufeinander treffen, dann verspricht dies eine spannende Planungs- und Bauaufgabe zu werden. Wenn dann auch noch ein überschaubares Budget zur Verfügung steht, das aufgrund von Fördermittel-Richtlinien begrenzt ist, steigt die Herausforderung noch einmal. Die Planer von Graalfs Architekten aus Leipzig haben sich diesen Herausforderungen gestellt und eine Kindertagesstätte geschaffen, der man weder die begrenzten finanziellen Mittel noch die engen Rahmenbedingungen anmerkt.
Der erste positive Aspekt ist dabei die städtebauliche Auswirkung. So bindet die Erweiterung der Kindertagesstätte im Pfarrhaus das Ensemble aus Heilandskirche, bestehender Kindertagesstätte und dem Backsteinbau des Pfarrhauses zusammen. Eine Wirkung, die lediglich durch die Gestaltung eines gemeinsamen Außenbereiches erreicht wurde und die zeigt, wie wichtig die städtebauliche Betrachtung von Projekten ist – auch wenn sich die eigentlichen Baumaßnahmen auf das Innere eines Gebäudes konzentrieren. Dabei wurde für die Außenraumgestaltung kein großer Aufwand betrieben, sondern mit einfachen Maßnahmen wie einer einheitlichen Pflasterung und einer Erschließungsachse, die von der Rudolph-Sack-Straße durch das Pfarrhaus zum Innenhof und schließlich zur bestehenden Kindertagesstätte führt, das Konzept wirkungsvoll umgesetzt.
Historistische Schale, moderner Inhalt
Betrachtet man das eigentliche Objekt, das Backsteingebäude aus der Zeit der Jahrhundertwende, für sich, wirkt der historistisch anmutende Baukörper im Erdgeschoss nicht verschlossen und introvertiert, sondern offen und einladend. Eine Wirkung, die vor allem den Maßnahmen der Architekten zu verdanken ist. So wurden die Räume im Erdgeschoss in den vielen Jahren der Nutzung als Archiv für das Pfarramt stark verbaut und kleinteilig organisiert. Ein Zustand, der den Planern nicht gefiel und den sie deshalb vollständig zurück bauen ließen.
Zudem wurden Teile der Fenster zu Terrassentüren erweitert, so dass nun von jedem der Räume im Süden des Hauses ein direkter Zugang zum Innenhof und zur direkt vor dem Bau gelagerten Terrasse zugänglich ist. So können die Kinder, ganz der in die Planungen eingeflossenen und beim Betrieb der Kindertagesstätte wichtigen Reggio-Pädagogik, zwischen Innen und Außen wechseln und beide Raumformen erleben und erobern. Denn wichtigster Schwerpunkt der Reggio-Pädagogik ist es, den Kindern die Kompetenz zum kreativen Umgang mit sich und ihrer Umwelt zuzusprechen. Ein Ansatz, bei dem den Räumlichkeiten ein besonderer Stellenwert zukommt, da diese auch als „dritter Erzieher“ verstanden werden.
Um die Nutzbarkeit des Außenraums zusätzlich zu stärken wurde neben der Terrasse mit einer kleinen Loggia ein Außenzimmer geschaffen, das auch bei Regen benutzt werden kann und sowohl Witterungs- als auch Sonnenschutz bietet. Zudem dienen zwei Markisen von Warema, Typ 650, als Sonnen- und Blendschutz im Außenbereich. Bei ihnen ist auch bereits das bis ins Detail durchdachte Farbkonzept der Kindertagesstätte zu erkennen. Denn mit der Farbe „Uni Rotorange, Dessin 6740“ fügt sich der Markisenstoff gut in das Farbenspektrum der Klinkerfassade ein. Ein Prinzip, das immer wieder bei der Farbgestaltung auftaucht.
Dass die Klinkerfassade des Baus dabei nicht wie neu wirkt, sondern die Patina der Zeit aufweist, ist übrigens Absicht. So ließen die Architekten die Fassade nur sanft reinigen, um die Lebendigkeit der Oberfläche zu erhalten.
Viel Licht und Offenheit
Betritt man das Pfarrhaus im Erdgeschoss über die eigens für die Kindertagesstätte geschaffene, zentral angeordnete Erschließungsachse, dann wird man zunächst von einer besonderen Raumstimmung überrascht. Viel Licht und Offenheit empfängt einen und vermittelt bereits wichtige Grundsätze des Entwurfs.
Denn Helligkeit und die Möglichkeit zu Blickverbindungen spielen bei den Innenräumen immer wieder eine Rolle. Dazu tragen bereits im Eingangsbereich die hellen, in Altweiß gehaltenen Wände bei. Sie wurden allesamt mit einer Brillux Dispersion in matt gestrichen – wie in der gesamten Kindertagesstätte auch. Sie reflektieren das Licht, das durch die Eingangstüre, die komplett von Glas umrahmt wird und so die ursprüngliche Öffnung ausfüllt, eindringen kann. Zudem taucht im Eingangsbereich noch etwas auf, das sich durch alle Räume zieht: Die bereits erwähnten, einzelnen Farbakzente aus dem Farbencanon der Klinkerfassade. Denn neben dem Grundton Altweiß, setzten die Architekten mit einzelnen Farbtupfern immer wieder kleine Höhepunkte in der Farbgestaltung. So sind die von der Tischlerei Diedrich aus Leipzig gebauten Regale und Sitzbänke im Eingang mit Wollfilz in rot versehen, während das übrige Regal, ein Eigenentwurf der Architekten, aus MDF besteht und in dessen natürlichem Farbton belassen wurde.
Flexible Gruppenräume
Doch auch in den Gruppenräumen und bei der sogenannten Piazza tauchen immer wieder rote Farbakzente auf, die den ansonsten altweißen Wänden eine gewisse Auflockerung verleihen. Überdies fällt bei den Räumen auf, wie flexibel diese angelegt sind. So können einzelne Räume miteinander verbunden und so als große Einheiten genutzt werden. Große, zweiflüglige Türen oder Schiebeelemente machen das Trennen und Verbinden dabei einfach. Aber auch die Räume sind in sich flexibel nutzbar, da nur wenige Einbauten eine Nutzung und damit den Kindern das Erleben vorgeben – ganz der besagten Reggio-Pädagogik folgend. Einzig auffälliges Einbauelement ist die im südwestlichen Gruppenraum befindliche Galerie. Sie wurde ebenfalls nach den Plänen der Architekten von der Tischlerei Diedrich gebaut und besteht aus MDF. Sie soll den Kindern als Rückzug dienen und ihnen die Chance bieten, von oben über die Situation im Raum zu blicken und so neue Perspektiven kennen und erleben zu lernen. Dass die Galerie dabei nur für Kinder eine Stehhöhe bietet, ist ebenfalls Ausdruck des pädagogischen Konzepts.
Im Grundriss des Erdgeschosses fällt neben den zwei Gruppenräumen, der Erschließung, den sanitären Anlagen sowie einem Atelier zudem ein Bereich auf, der als Piazza bezeichnet wird. Er ist Treffpunkt und gleichzeitig der Ort, an dem gemeinsam gekocht werden kann. Die dabei eingebaute, sehr puristisch wirkende Küche wurde ebenfalls von der Tischlerei Diedrich erstellt und von Graalfs Architekten entworfen.
Verbindende Elemente
Was bei diesem Konzept ebenfalls gelungen ist, das ist die optische Bindung der einzelnen Räume. So wurde der gesamte Boden mit einem Linoleum des Typs Colorette PUR in warmem Beigegrau (137–043) von Armstrong DLW ausgelegt, der sich wie eine indirekte Verbindungslinie durch die gesamte Kindertagesstätte zieht. Einzige Ausnahme bildet hier der Sanitärbereich, in dem Fliesen hellgrau verlegt wurden. Sie werden von Wandfliesen ebenfalls in hellgrau ergänzt.
Als Leuchten wurden im Sanitärbereich Zumtobel-Wandleuchten des Typs Perluce in weiß sowie ein Aufbaudownlight des Typs RZB 91152 eingesetzt. Zudem kamen im übrigen Gebäude Pendelleuchten des Typs Disk von Belux zum Einsatz, die neben den Wandeinbauleuchten Ropag Flat Frames, die bei der Stufenbeleuchtung der Galerie verbaut wurden, die Reihe der eingesetzten Leuchten komplettieren.
Offen für Ideen
Insgesamt kann man der Kindertagesstätte an der Heilandskirche in Leipzig bescheinigen, dass sie durchdacht und trotzt des niedrigen Budgets hochwertig wirkt. Dabei sind es Details wie die vielen Blickfenster zwischen den Gruppenräumen, die flexible Nutzbarkeit oder die gekonnt gesetzten Farbakzente, die den Räumen eine angenehme Atmosphäre verleihen. Dies und natürlich die erhaltene hohe Raumhöhe des gründerzeitlichen Gebäudes, die trotz hoher Brand- und Schallschutzvorgaben erhalten werden konnte, machen aus diesem Projekt ein rundum gelungenes Beispiel für moderne Einrichtungen für die Kinderbetreuung, die sowohl den Ansprüchen der Kinder als auch dem Auge des Architekturkritikers gefallen.
Architekt Uwe Graalfs: „Trotz des üblicherweise, aufgrund des Einsatzes von Fördermitteln, engen Budgets, zeigt dieses Gebäude beispielhaft, wie durch wohlüberlegte Planung und dem gezielten Einsatz von Materialien, ein Ergebnis erreicht werden kann, welches weit über dem üblichem Standard liegt.“
Architekten: Graalfs Architekten, Leipzig
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