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Von der Hitze gezeichnet

Neubau eines Forschungsgebäudes in Bremen
Von der Hitze gezeichnet

Am nördlichen Rand des Bremer Hochschulcampus scheint ein quadratischer Monolith aus dem Weltall gelandet zu sein. Was dabei anmutet wie ein vom Hitzeeintritt in die Erdatmosphäre gebeuteltes Objekt, ist das neue Forschungsgebäude des Instituts für Raumfahrtsysteme am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt.

Dipl. Ing. Marc Nagel

Eigentlich ist der Ort gar nicht so unwirtlich, an dem sich das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Bremen befindet. Trotzdem scheint der Neubau des Instituts für Raumfahrtsysteme mit seiner Fassade auf wesentlich schwierigere Umgebungen vorbereitet zu sein. Doch was wie ein Hitzeschild eines amerikanischen Space-Shuttles anmutet, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als spannende Klinkerfassade und passt so wieder zu den Bestandsbauten und zum nahen Grünzug, der das Universitätsgelände gegenüber der Autobahn 27 abschirmt.
Das neue Labor- und Forschungsgebäude ist dabei kein Solitär, sondern ergänzt den bereits bestehenden Standort des DLR an der Robert-Hooke-Straße. Dieser präsentiert sich als dreigeschossiges U mit einem Glasriegel, der sich leicht nach hinten versetzt im Innenhof befindet. Die übrige Fassade des Bestandsgebäudes ist aus dem für Bremen typischen roten Klinker erstellt. Dieser Bau wird mit dem Neubau über eine Verbindungsbrücke gekoppelt, die zudem einen kleinen Bach überspannt.
Besondere Fassade
Sieht man, dass sowohl das bisherige Gebäude des DLR als auch der Neubau eine Klinkerfassade haben, überrascht dies zunächst nicht. Denn der rote Klinker ist ein typisches Fassadenmaterial für diese Gegend und daher erwartbar. Doch obwohl es sich bei der Außenhaut des neuen Forschungsgebäudes auch um Klinker handelt, wirken beide Bauten sehr unterschiedlich. Der Neubau sollte nach den Plänen von Kister Scheithauer Gross (ksg) Architekten aus Köln bereits außen vermitteln, für welche Nutzung er steht.
Aus diesem Grund wurde beim Entwurf die Idee geboren, die Fassade so zu gestalten, dass der Eindruck eines Hitzeschutzschildes entsteht, wie man sie von amerikanischen Space-Shuttles her kennt. Da zwischen Idee und Umsetzung manchmal aber Welten liegen, begann mit dieser Idee eine längere Reise, die sich nach Aussage von Planern und Hersteller lohnte. Gemeinsam mit der ABC-Klinkergruppe, die man vorher aus einer Reihe anderer Anbieter ausgewählt hatte, entwickelten die Architekten aus Köln eine ganz neue Keramikkachel, die mittlerweile als Standardprodukt „Atlantis“ bei der ABC-Klinkergruppe ins Programm aufgenommen wurde.
Die dabei investierte Entwicklungszeit von einem Jahr war nötig, da den Architekten, allen voran Professor Johannes Kister als leitendem Partner des Büros, die Anmutung der Fassade sehr wichtig war. Um nämlich den Eindruck eines Hitzeschutzschildes zu erzeugen, mussten die Kacheln rau und von der Hitze gezeichnet wirken. Um dies zu erreichen, wurden die Rohlinge der 20 x 20 cm großen Kacheln mit Schlämmen besprüht, die verschiedenen Spritzbildern folgen. Da diese Schlämme beim Brennen versintern, also mit dem Rohling der Keramik-Kachel verbacken, erhielten die Fassadenkacheln ihre rötlich-braune Färbung sowie die matte, raue Oberfläche.
Wärmeschutz unterm Wärmeschild
Die rund 38 000 Kacheln des neuen Forschungsgebäudes in Bremen bilden dabei die äußerste Schicht der eigentlichen Fassade. Sie wurden vollflächig in einem Klebebett mit StoColl KM verlegt und bilden den Abschluss des darunter liegenden Wärmedämm-Verbund-Systems von Sto, das aus einem EPS-Hartschaum (Phenolharz) WLG 035, Typ WAP besteht und mit Klebemörtel StoLevell UNI auf die tragende Fassadenschicht mit Kalksandsteinen aufgebracht wurde. Diese wiederum sitzen auf der Stahlbetonwand, die als Konstruktionselement den Kern des Wandaufbaus bildet. Die Kacheln sowie der Aufbau der Wand dienen dabei zum einen einem erhöhten Wärmeschutz, bieten aber aufgrund der Materialeigenschaften der Keramik und der geklebten Verlegung auch einen hohen Regen- und Witterungsschutz.
Doch nicht nur die Keramik-Kacheln an sich sind das Besondere an diesem Gebäude. Auch das Verlegemuster trägt dazu bei, dass das Bremer Forschungsgebäude die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Denn zu den Vorgaben für die Keramik-Kacheln kamen auch solche für die Verlegung der Klinkerhaut hinzu, als man sich bei den Planern das Ziel setzte, das Hitzeschutzschild eines Space-Shuttles als Vorbild zu nehmen. Wie bei der Untersicht eines solchen Raumgefährts, die mittlerweile nicht mehr im Einsatz sind, sollten die Kacheln in Bahnen, also in sogenannten Scharen um das Gebäude laufen. Durch diese Maßnahme und das Abgrenzen der einzelnen Scharen gegeneinander mit Fugen entstand neben dem kleinteiligen Muster der Kacheln ein großteiliges Muster als Element der Fassadengestaltung.
Unterbrochen wird die spannende Außenhaut lediglich durch einige wenige Fensteröffnungen, Zugänge zu den Laboren im Südwesten und Nordwesten des Gebäudes sowie den Haupteingang im Nordwesten. Die eingesetzten Aluminium-Fenster verfügen alle über eine zweifache Isolierverglasung mit einem ordentlichen Ug-Wert von 1,5 W/m2K und stammen von der Eduard Hueck GmbH & Co. KG aus Lüdenscheid.
Spannendes Innenleben
Innen trifft man auf ein Gebäude, das trotz der strengen Vorgaben überraschend offen gestaltet wurde. Denn das Forschungsgebäude des DLR sollte zum einen Labore mit grundverschiedenen Ansprüchen an die Architektur bieten und es zum anderen möglich machen, dass auch Besucher Einblicke in die Arbeit der Forscher bekommen. Schließlich ist es spannend dabei zuzusehen, wie Raumfahrzeuge entwickelt und getestet werden. Um diesen Spagat zu erreichen, wurde im Obergeschoss ein öffentlicher Besucherflur realisiert, der es über Glasscheiben erlaubt, in die zweigeschossigen Laborräume zu blicken.
Diese wiederum wurden mit einem sehr hohen Sicherheitsstandard versehen und mussten teils den sich entgegen laufenden Vorgaben der einzelnen Labore gerecht werden. So ist für die Arbeit der Bereiche Systemkonditionierung und Systemintegration eine Reinraumatmosphäre in den Laboren notwendig, während beim Explorationslabor aufgrund der dort durchgeführten Experimente hohe Staubbelastungen auftreten und ‚verkraftet‘ werden müssen. Dazu kam noch das Kryolabor, das für sich einen sehr hohen Explosionsschutz vorweisen muss und den Anforderungskatalog für die Architekten aus Köln nicht kleiner machte.
Raue Schale und rauer Kern
Während die Labore in ihrer Gestaltung der Funktionalität folgen, wurden die für die Besucher zugänglichen Bereiche stärker nach optischen Gesichtspunkten gestaltet. Mit geschliffenem Estrichboden, Sichtbetonwänden, viel Metall und Betondecken, im Falle der Dachdecke eine Spannbeton-Hohldielendecke, erhielten die Innenräume eine ähnlich raue Anmutung wie die Fassade. Die Spannbeton-Fertigteile-Decke „Brespa“ stammt dabei von DW Systembau und wurde aufgrund des dadurch möglichen, schnellen Baufortschritts und der Möglichkeit von großen Spannweiten eingesetzt.
So präsentiert sich das neue Forschungsgebäude des Instituts für Raumfahrtsysteme am Bremer Universitätscampus insgesamt als Bau, der von seinen spannenden Oberflächen lebt und dem die ‚Rauheit‘ gut tut. Dass es zudem gelungen ist, ein ebenso spannendes Fugenbild zu erzeugen, das wirklich den Anschein vermittelt, man blicke auf die Unterseite eines Space-Shuttles, rundet die gelungene Ausführung ab. So zeigt der Neubau von ksg Architekten, wie man die Klippen, denen man bei einem Entwurf mit einem solch starken Leitgedanken begegnet, gekonnt umschiffen kann.
Prof. Johannes Kister, Partner bei ksg Architekten: “Die besondere Herausforderung bestand darin, die unterschiedlichen Nutzerinteressen in einem gemeinsamen Gebäude zu realisieren und gleichzeitig das Gebäude für Besucher zu öffnen. Die Integration des öffentlichen Rundgangs, der sich im Obergeschoss um die Labore legt, ermöglicht den Gästen den Blick in die zweigeschossigen Forschungsräume. So entstand ein effektiver Grundriss, der, zur Box hochgezogen, der Gestaltungsordnung des Hochschulcampus entspricht. Auch die vorgeschriebene Ziegelfassade konnten wir mit dem DLR-Institut für Raumfahrtsysteme in Einklang bringen, in dem wir in einem einjährigen Verfahren spezielle Keramikkacheln gleich dem Hitzeschutzschild US-amerikanischer Spaceshuttles entwickelten und auf die Fassade komponierten.“
Architekten: Kister Scheithauer Gross, Architekten und Stadtplaner GmbH, Köln
Feldschnieders + Kister, Architekten BDA, Bremen
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