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Stadtsoziologie im Blick

Neubau eines Passivwohnhauses in Freiburg
Stadtsoziologie im Blick

Wo bis 1992 französische Soldaten stationiert waren, entstand in den letzten Jahren ein neues Wohnviertel in Freiburg. Das Gebiet Vauban hat dabei Vorbildcharakter – beim Individualverkehr und der ökologischen Ausrichtung. Kein Wunder also, dass Freiburgs größtes Wohnhaus in Passivhaus-Bauweise nach den Plänen von kuhs Architekten gerade hier entstand.

Dipl. Ing. Architekt Marc Nagel | jo

Wie große Teile Badens, so war auch Freiburg bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg französische Besatzungszone. Mit der Wiedervereinigung und der politischen und völkerrechtlichen Souveränität Deutschlands zogen die französischen Soldaten ebenso wie ihre britischen und amerikanischen Partner nach und nach ab und gaben teils große Flächen frei. Diese Konversionsflächen bieten bis heute in vielen Teilen der Bundesrepublik städtebauliche Chancen. In Freiburg befinden sich diese ehemaligen Gebiete teilweise in sehr attraktiven Stadtlagen – so wie im Falle des Vauban-Viertels im Stadtteil St. Georgen. Das Viertel heißt so, da es am Ort der ehemaligen Vauban-Kaserne entsteht. Wer bei dem Namen Vauban aufhorcht, der wird vermutlich an den französischen Festungsbaumeister Marquis de Vauban denken, der es unter Ludwig XIV. zu Ruhm gebracht hatte. Nach ihm ist eine ganze Gattung an Festungsbauten unter dem Begriff Vauban-Stil zusammen gefasst.
Doch zurück zum Projekt in Freiburg: So positiv sich das Viertel auch entwickelt hat, so problematisch ist es auch. Denn die vielen Baugruppen und Bauherren stammen meist aus dem Bildungsbürgertum und bilden dadurch in dem noch jungen Stadtteil eine erste Gentrifizierung aus. Um hier Abhilfe zu schaffen, bemühte sich die Stadt Freiburg mit der eigenen Wohnungsbaugesellschaft Freiburger Stadtbau GmbH dem entgegen zu wirken. Aus diesem Grund entschloss man sich, gemeinsam mit einer privaten Baugruppe ein Wohnungsbauprojekt ins Leben zu rufen.
Ziel war es, in einem Gebäude die Mischung aus Wohneigentum und gefördertem Wohnen herzustellen, damit diese Durchmischung dann auf das übrige Viertel ausstrahlt. Diesem Gedanken folgend entstand das Gebäude Lise-Meitner-Straße nach den Plänen des Architekten Winfried Kuhs.
Straßenbegleitender Baukörper
Der Entwurf des Architekten präsentiert sich als langer, leicht abgewinkelter Riegel, der die Lise-Meitner-Straße flankiert und zur Straße hin klar in drei Abschnitte gegliedert ist. Der östliche Abschnitt wurde in blau gestaltet und stellt den Bereich dar, der von der privaten Baugruppe bewohnt wird. Ihm schließt sich der zentrale Bereich an, der ebenso wie der westliche Gebäudeteil den teils geförderten Wohnungsbau und weitere Mietwohnungen beherbergt. Der Riegel folgt dabei dem Straßenverlauf und bildet zwischen dem zentralen Gebäudeteil und dem westlichen Abschnitt einen leichten Winkel aus. Hier hat der Architekt Kuhs als Akzent das Treppenhaus platziert.
Doch trotzt dieser Dreiteilung präsentiert sich das Gebäude als Einheit. Ein durchgehender Natursteinsockel aus brasilianischem Schiefer-Grafit mit fünfprozentigem Rostanteil bindet das Gebäude zusammen. Zudem ist der fünfgeschossige Baukörper straßenseitig auch vertikal in drei Abschnitte geteilt. Auf die Sockelzone mit der Teilfassade aus Naturstein folgt eine Zwischenzone mit Laubengängen, die zu den einzelnen Wohnungen führen. Darüber befindet sich das letzte Obergeschoss, das als Attikazone ausgebildet wurde und ebenfalls über Laubengänge erschlossen wird. So spannend die Fassade im Norden sein mag, so unspektakulär präsentiert sich die gartenseitige Gebäudeseite. Die dortige Fassade wird durch die vorgesetzten, leichte Vor- und Rücksprünge ausbildenden Balkone und das leicht auskragende Flachdach geprägt.
Passivhaus-Standard
Doch so normal die Fassadengestaltung auch scheint, so verbirgt sich hinter der Fassade ein Aufbau, der im Geschosswohnungsbau noch immer nicht zum Standard gehört. Dank der Erfahrung und der Planung des Architekturbüros aus Freiburg gelang es, die gesamte Anlage so zu realisieren, dass Passivhaus-Standard erreicht werden konnte. Die teilweise als Kalksandsteinwand, teils als Stahlbetonwand ausgeführte Konstruktion erhielt dabei ein Wärmedämmverbund-System (WDVS) von Sto. Das StoTherm Classic ist besonders robust und wurde daher bei diesem stark frequentierten und genutzten Gebäude mit dem empfindlichen Sockelbereich sowie den Laubengängen gezielt ausgewählt. Beim Abschlussputz handelt es sich um einen Silikonharzputz. Der StoSilco ist ebenfalls robust, wasserabweisend und sehr gut gegen Algen- und Pilzbefall resistent.
Neben der Fassade wurde auch bei den Fenstern auf eine Passivhaus taugliche Lösung geachtet. Auf der einen Seite wurden im Bereich der privaten Baugruppe 88 mm-Holzfenster aus Weißtanne von einem Freiburger Fensterbaubetrieb verwendet, die mit einem PU-Dämmkern einen Uw-Wert von 0,75 W/m2K und dank der Dreifachverglasung einen Ug-Wert von 0,6 W/m2K erreichen. Diese U-Werte wurden auch bei den Kunststofffenstern realisiert, die im Bereich der Mietwohnungen verwendet wurden. Hier kamen als Profile Geneo PHZ von Rehau zum Einsatz – teilweise auch als Schallschutz-Ausführung. Beim Dach setzten die Planer aus Kostengründen im Mietwohnungsbereich auf eine bituminöse Lösung. Im Bereich des Baugruppen-Abschnittes kam die Dachabdichtung Sarnafil TPO von Sika zum Einsatz.
Haustechnik
Natürlich genügt eine noch so durchdachte Gebäudehülle nicht, um ein umfassendes Passivhaus-Konzept aufzustellen. Ebenso wie die Maßnahmen zur Reduzierung von Wärmeverlusten gehören auch solche dazu, die möglichst schonend Energie einsetzen oder diese gewinnen. Daher kommt der Haustechnik eine wesentliche Bedeutung zu. Allen voran ist dabei der Be- und Entlüftung ein besonderes Augenmerk zu schenken. Denn ohne eine automatische Regelung des Luftaustauschs und damit der Raumentfeuchtung kommt es in Häusern mit dichter Gebäudehülle irgendwann zu Problemen. Daher wurden auch in Freiburg Lüftungsanlagen eingesetzt. Im Bereich der Mietwohnungen sind dies zwei Anlagen mit jeweils 3 000 m3/h Luftdurchsatzrate. Diese Anlagen sorgen dafür, dass in den Wohnungen immer ein gutes Raumklima herrscht. Zudem nutzt die integrierte Wärmerückgewinnung die in der Abluft enthaltene Energie mit einem Rückgewinnungsgrad von bis zu 84 %. Die Lüftungsanlagen im Bereich der Baugruppe stammen von Lüfta und haben eine Leistung von 1 200 m3/h bzw. 800 m3/h und sorgen für einen 0,4– bzw. 0,5-fachen Luftwechsel.
Auch die Stromerzeugung wird unterstützt. Eine große Photovoltaikanlage auf dem Dach des Mietwohngebäudes trägt zum Energiebedarf der Bewohner bei und eine Solarthermie-Anlage der Typen F802 und F552 von Solvis dient der Warmwasserbereitung.
Gute Durchmischung
Mit diesem Konzept zeigen Bauherren, Stadt und Planer, dass man ein hochwertiges Wohnen mit einem überdurchschnittlichen Energiestandard auch für geförderte Wohnungen erreichen kann, wenn man auf die passende Durchmischung achtet.
Zudem wird durch solche Maßnahmen der Gentrifizierung unserer Stadtteile und Viertel entgegen gewirkt – auch dies ein wirklich erstrebenswertes Ziel. Wichtig bleibt aber, vor allem bei einer hausinternen Mischung, dass der Unterschied zwischen privater Baugruppe und gefördertem Wohnen bei Materialität und Konstruktion nicht zu groß wird. Denn sonst bleibt die Kluft zwischen den Menschen bestehen oder wird gar größer. Dabei sollten sich gerade kommunale Bauherren fragen, ob es sich lohnt, bei der Ausschreibung und bei der Vergabe nur auf die Kosten zu achten. Denn Folgekosten sind dann unausweichlich.
Löblich, dass man in Freiburg verstanden hat, dass es ohne sozialen und geförderten Wohnungsbau in unseren Städten längst nicht mehr geht – anderenfalls bekämen wir auch bei uns in Deutschland die Entwicklung der amerikanischen Stadt noch deutlicher zu spüren, dass der Preisdruck in den Städten die Menschen immer weiter in den Speckgürtel oder darüber hinaus treibt.
Ralf Klausmann, Geschäftsführer Freiburger Stadtbau GmbH: „Das Projekt Lise-Meitner-Straße ist ein gutes Beispiel für soziale Integration in Stadtteilen mit wenig geförderten Mietwohnungen. Trotzt zahlreicher Baugruppen im Vauban war dieses Projekt eine Besonderheit für alle Beteiligten, da eine städtische Gesellschaft mit einer privaten Baugruppe kooperierte. Dank der guten Koordination des Büros Kuhs war die Zusammenarbeit für uns erfreulich.“
Architekten:
kuhs Architekten, Dipl. Ing. (FH) Winfried Kuhs, Freiburg
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