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Geradlinig schräg

Neubau eines Jugendtreffs in Esslingen
Geradlinig schräg

Jugendhäuser und Jugendtreffs haben, provokativ ausgedrückt, etwas mit Veranstaltungshallen, Sportplätzen und Kläranlagen gemeinsam: Viele wollen darauf nicht verzichten und sehen diese Einrichtungen als notwendig an, doch keiner möchte ein solches Projekt vor seiner Haustüre verwirklicht wissen. So auch beim Neubau eines Jugendtreffs in Esslingen, der gemeinsam vom Bauamt der Stadt und den Architekten von msm Dietmar Schneck realisiert wurde.

Dipl. Ing. Marc Nagel

Dass eine Einrichtung für Jugendliche nicht gerade das beste Image hat, liegt mit Sicherheit auch daran, dass das Bild von Jugendlichen als potenzielle Straftäter und Laut- statt Leisetreter gepflegt wird. Denn damit verbunden sind Vorurteile, die sich hartnäckig halten und dafür sorgen, dass viele Anwohner einen Jugendtreff in unmittelbarer Umgebung ihrer Häuser ablehnen. Lieber sollen die jungen Mensch doch dort hin, wo sie keinen stören, schließlich könnten sie sich da dann auch voll ausleben.
In einer solchen, teils nicht ganz so ausgeprägten Gemengelage befanden sich die Planer, als sie im Esslinger Norden, unweit der historischen Burg, einen neuen Jugendtreff umsetzten wollten. Auf einem bereits zuvor von einem Jugendtreff genutzten Gelände mit starkem Höhensprung sollte ein Gebäude entstehen, das Jugendlichen als Nachmittagstreff dient und ihnen einen Anlaufpunkt bietet, der neben einer finanziell attraktiven Essens- und Getränkeversorgung auch weitere Einrichtungen wie Internetzugang, Spielmöglichkeiten, Gesprächsangebote etc. bietet. Inhalte, die durch den Betreiber, das CVJM Esslingen am Neckar, gewährleistet werden und deren es einer attraktiven Hülle bedurfte.
Gut abgeschirmt
Was dabei städteplanerisch sowie architektonisch umgesetzt wurde, stellt eine gekonnte Antwort auf das vorhandene Delta zwischen den Befürchtungen der Anwohner und den Ansprüchen der Jugendlichen dar. Dass die ursprüngliche Idee zum Konzept des Jugendtreffs dabei von der Stadt Esslingen, genauer gesagt von Gerhard Weber von der Abteilung Hochbau des Baurechtsamts stammt, zeigt, wie wichtig der Stadt eine gute Lösung war. So entwickelte man seitens der Kommune gemeinsam mit den Architekten von msm Dietmar Schneck aus Esslingen ein auf den ersten Blick ungewöhnliches, aber sehr gefälliges Ensemble.
Städtebaulich wurde dabei darauf geachtet, dass sich der aus zwei Baukörpern bestehende Jugendtreff Nord zu den vorhandenen Sportplätzen und zu einem städtischen Kindergarten hin öffnet und gegenüber der umgebenden Wohnungsbebauung soweit wie möglich schließt. Konkret bedeutet dies, dass die Freibereiche wie ein kleiner Vorplatz, ein kleiner Sportplatz sowie eine Wiese so angeordnet sind, dass eine möglichst geringe Belastung für die Anwohner entsteht. Während die Grünfläche und der Sportplatz in Richtung Sportanlagen weisen und so keine direkte Auswirkung auf die Wohnbebauung haben, öffnet sich der Vorplatz zu einem Kindergarten hin, dessen Baukörper größtenteils abschirmend gegenüber den dahinter befindlichen Wohnbereichen wirkt.
Doch auch die eventuell durch Partys oder Discoabende im Inneren entstehende Belastung durch laute Musik wurde bereits bei der Planung berücksichtigt. So befindet sich der Mehrzweckraum, der als Party- und Discoraum genutzt werden kann, nicht in einem schalltechnisch schwerer umsetzbaren oberen Gebäudebereich, sondern wurde in das Gelände eingelassen. Möglich ist dies, da das Baugelände einen starken Geländesprung aufweist, den es zu nutzen galt. So konnten Teile des Gebäudes in die vorhandene Geländestufe integriert werden und sind so schalltechnisch besser zu steuern.
An den Hang gelehnt
Von außen betrachtet fällt die Nutzung der Geländekante zunächst jedoch gar nicht ins Auge. Zu sehr ist man von der ungewöhnlichen Linienführung des Hauptbaukörpers abgelenkt. So scheint sich der längliche Bau mit seiner vorgehängten Holzverschalung aus sägerauen Lerchenholzbrettern, der von den Jugendlichen Holzkiste getauft wurde, an die Hangkante anzulehnen und leicht in ihr zu versinken. Ein Eindruck, der vor allem entsteht, wenn man das Gebäude von Weitem betrachtet oder die Nordseite ansieht. Zudem fallen die nicht waagerecht, sondern schräg in den Bau eingelassenen Fenster besonders ins Auge. Vom Haupteingang betrachtet, wird dieser Eindruck dagegen von zwei Komponenten etwas beeinträchtigt. Zum einen ist dies der Eingangsbereich mit seiner großen Verglasung, einer Pfosten-Riegel-Konstruktion aus Aluminium mit Sonnenschutz-Gläsern, und zum anderen rückt der kleinere, der Holzkiste vorgelagerte Baukörper das Bild wieder etwas gerade. Während die Holzkiste, ganz ihrem Namen entsprechend, als Holzständerkonstruktion ausgeführt wurde, besteht der kleinere Anbau aus einer einfachen Stahlbetonkonstruktion.
Der kleine Stahlbetonbau setzt dabei bewusst einen Gegenpunkt zum Holz des Hauptkörpers. Er wurde mit einer Vorsatzschale aus Natursteinen versehen, die in Gabionen von Rothfuss verfüllt wurden. So entsteht ein eigenständiger Charakter, der trotzdem nicht als Fremdkörper gegenüber der Holzkiste wirkt, sondern ergänzt. Ebenfalls anders und an dieser Stelle gewollt: Der Stahlbetonbau bildet gemeinsam mit einer daran anschließenden, tragenden Gabionen-Mauer den Abschluss der Hangkante zum Vorplatz und zu einem am Jugendtreff entlang laufenden Weg und macht damit keinen Hehl daraus, dass auch die Bereiche unter der Geländekante räumlich genutzt werden.
Sonderanfertigung inklusive
Natürlich kann bei einem solch ungewöhnlichen Baukörper wie der Holzkiste, die übrigens im Prinzip ein normaler Holzbau mit Pultdach ist, nicht nur auf Standardlösungen zurück gegriffen werden. Ein Umstand, der besonders bei einem Detail auffällt: den Fenstern. Da diese nicht waagerecht verlaufen, sondern der Neigung des an den Hang angelehnten Baus folgen, musste sich der Fensterbauer Tittel GmbH & Co. aus Stuttgart etwas einfallen lassen. Zudem war es der Wunsch der Planer, dass die Fenster mit der Fassade bündig sein sollten. So wurde eine Eigenkonstruktion, fassadenbündige Holzsenkklappflügel-Profile, eingesetzt, die nach außen öffenbar sind und durch Gasdruckdämpfer gegen ein Aufschwingen gesichert werden. Versehen wurden die Fenster mit einer Sonnenschutzverglasung mit einem U-Wert von 1,1 W/m2K.
Innenleben
Aber auch für den Raumeindruck im Innern der Holzkiste ist die ungewöhnliche Gebäudeführung ein Gewinn. Betritt man den Hauptraum des Jugendtreffs über den großen, aus Sichtbeton und Glas bestehenden Windfang, so fällt einem sofort die angenehme Raumhöhe auf, die gerade hier, wo sich Aufenthaltsbereich, Verkehrs- und Kommunikationszonen sowie eine Bar für Essen und Trinken begegnen, genau richtig erscheint. Im Ostteil des Gebäudes dagegen passt die geringere Raumhöhe wiederum zu den dort angesiedelten Nutzungen wie Büro der Leitung und den beiden Rückzugszimmern, die jeweils nur Jungen oder nur Mädchen zur Verfügung stehen.
Folgt man dem Gebäude nach Westen, dann bewegt man sich, ohne es direkt zu merken, in die Geländekante hinein. Hier wirkt ebenfalls die Konstruktion und Linienführung der Holzkiste positiv, da über im oberen Bereich angeordnete Fenster belichtet werden kann. In diesem Abschnitt befinden sich die Sanitärräume, ein Billardzimmer, der Mehrzweckraum für Discos und Partys, der Technikraum, Gruppenräume sowie ein zusätzlicher Aus- und Eingang.
Ausstattung
Die Wände des Jugendtreffs sind größtenteils in Sichtbeton gehalten und wurden an dafür ausgesuchten Stellen von einem Graffiti-Künstler mit dessen Kunstwerken ergänzt. Daneben verfügt der Hauptraum über eine große Theke, die von einem ortsansässigen Schreiner ausgeführt wurde. An der Glaswand des Windfangs befinden sich zudem zwei Internet-Plätze. Auffälligstes Element ist jedoch ein großer Baumstamm, der mitten im großen Hauptraum steht und eigentlich zwei Funktionen hat. So ist er Stütze für den über ihm verlaufenden Balken und sollte zudem dazu dienen, dass die Jugendlichen mit Schnitzarbeiten an diesem Stamm den Raum und damit den Jugendtreff für sich gestalten und annehmen. Das Wort „sollte“ ist jedoch Absicht, weil sich bis jetzt noch keiner der Jugendlichen getraut hat, diese Möglichkeit auch zu nutzen.
Blickt man am Stamm nach oben, fällt einem zudem die Holzdecke auf. Eigentlich würde man hier, der Raumakustik wegen, Gipsplatten mit Lochung erwarten. Doch statt eine solche Lösung einzusetzen, entschied man sich auf Seiten der Planer dazu, eine Alternative zu verwenden. Mit den Holzfertigdecken Akustik von Lignotrend konnte eine Lösung eingesetzt werden, die sowohl im Hinblick auf eine sehr gute Raumakustik als auch bei den Themen Brandschutz und leichte Montage das Soll erfüllte. Die Böden im Jugendtreff sind dagegen mit einem zum Standard gehörenden, aber strapazierfähigen Kautschukbelag Noraplan Signa von Freudenberg versehen, der auf auf einem herkömmlichen Estrich aufgebracht wurde und im Farbton Grau unauffällig daher kommt.
Haustechnik
Auch bei der Haustechnik bemühten sich die Planer, Standardlösungen zu finden, die auf der einen Seite die Kosten nicht explodieren ließen und auf der anderen Seite eine zeitgemäße Antwort darstellten. So wurden Erdsonden gebohrt, die mit einer Wärmepumpe von Bartl kombiniert wurden und hauptsächlich eine Fußbodenheizung speisen. Zudem wurde darauf Wert gelegt, dass der gesamte Jugendtreff automatisch be- und entlüftet werden kann. Die Lüftungsanlage stammt dabei von Villavent, Typ VX 700 E, und ist mit einer Wärmerückgewinnung ausgestattet.
Insgesamt kann man sagen, dass die Kooperation zwischen der Stadt Esslingen und dem Architekturbüro msm Dietmar Schneck fruchtbar war und das Ergebnis mehr als eine solide Lösung darstellt. Neben der Zufriedenheit der Betreiber ist der rege Besuch von Jugendlichen ein Beleg dafür, dass die Planungen nicht an der Zielgruppe vorbei gingen. Zudem scheint auch genügend auf die sensible Situation mit den umliegenden Nachbarn geachtet worden zu sein, da sich das Verhältnis zunehmend entspannt.
Gerhard Weber: „Wir wollten die ‚Holzkiste‘ so entwerfen, dass sie wie an die Hangkante angelehnt wirkt. Zudem sollte das Holz der Fassade an den ehemaligen Jugendtreff erinnern, der zuvor auf diesem Gelände stand. Überhaupt wollten wir mit den robusten und ursprünglichen Baumaterialien wie zum Beispiel den sägerauen Lärchenholzbrettern an der Fassade oder den rohen Steinen in den Gabionen die Akzeptanz bei den Jugendlichen in diesem Jugendtreff erreichen.“
Architekten: Stadt Esslingen am Neckar Baurechtsamt, Abt. Hochbau Gerhard Weber msm Architekten Innen Architekten Dipl. Ing. Dietmar Schneck, Esslingen a.N.
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