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Gegenmodell zur Glasarchitektur

Neuer RWE Tower in Dortmund
Gegenmodell zur Glasarchitektur

Mit dem RWE Tower hat Eckhard Gerber mitten in Dortmund das höchste Bürogebäude der Stadt realisiert. An einem Knotenpunkt wichtiger Verbindungen zwischen Hauptbahnhof und kommerziellem Zentrum übernimmt das Gebäude sowohl zeichenhaft als auch räumlich eine entscheidende Funktion innerhalb einer Neukonturierung der Innenstadt.

Das 22 Geschosse zählende Hochhaus, Sitz der RWE Westfalen-Weser-Ems AG, wurde als klarer Baukörper mit linsenförmigem Grundriss über einem differenzierten Sockel konzipiert. Sein rationales, von schwarz glänzendem Granit und schlanken Öffnungen bestimmtes Äußeres verbindet die klimatechnischen Vorteile einer Lochfassade mit jenen einer zweischaligen Glashaut. Die städtebaulich umsichtige Figur stellt damit ein intelligentes, bewusst reduziertes Gegenmodell zu klimatechnisch und wirtschaftlich aufwändigen Ganzglasfassaden dar.

Städtebauliches Konzept

Der knapp 100 m hohe RWE Tower tritt zwischen zwei bestehende Hochhäuser aus den 60er Jahren und ergänzt sie zum Ensemble. Als Zeichen eines gefestigten Verwaltungsstandortes kommt der Gruppe prägende Bedeutung innerhalb der Neudefinierung des nördlichen Dortmunder Innenstadtbereichs zu – ihrerseits Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins innerhalb des Strukturwandels im Ruhrgebiet.

Nach der langen Dominanz räumlicher wie funktionaler Einschnitte der Wiederaufbauzeit hat in den letzten Jahren ein Umdenken eingesetzt, das eine Ausweisung wichtiger Entwicklungsgebiete in der City und unter anderem die Umgestaltung der wichtigsten Ost-West-Achse zum fußläufigen Boulevard einschließt.

Der Standort des RWE Towers liegt im Brennpunkt zwischen dieser Achse, dem Wallring und dem Hauptbahnhof, der künftig als „Multi-Themen-Center“ die Verbindung zur Nordstadt herstellen soll. Zugleich bildet das Ensemble um den RWE Tower den östlichen Abschluss der weiten Verkehrsfläche vor dem Hauptbahnhof mit dem von Eckhard Gerber geplanten Harenberg-Hochhaus (1994) im Westen und der Bibliothek von Mario Botta.

Zurückhaltende Leitfigur

Seiner pragmatischen Konzeption wie der grundsätzlichen Entwurfshaltung Eckhard Gerbers entsprechend, tritt der RWE Tower in diesem Gefüge nicht als eitler Solitär auf, sondern zielt auf eine Verdichtung und Modellierung der Räume, innerhalb derer er je nach Perspektive als Prospekt oder dynamisch leitende Figur wirksam wird. Über seine Ausrichtung nimmt er Bezug auf die benachbarten Hochhäuser, aber auch auf das entferntere Harenberg-Haus; zugleich stellen Wölbung, Färbung und Rhythmisierung der Fassade eine zurückhaltende Verwandtschaft zu Riegel und Halbrotunde der Bibliothek her.

Mit der differenzierten Ausbildung des eingeschossigen Sockels, der neben dem Foyer zwei Ladenlokale umfasst, löst der Neubau insbesondere die zuvor unbefriedigende Situation rund um den Platz von Amiens. Der Sockel wurde dabei dem Gebäude nicht als separater Körper untergeschoben, sondern scheint sich aus dem linsenförmigen Umriss organisch zu entwickeln.

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Architektur

Es ist die besondere Qualität des Entwurfs, die pragmatische, gleichwohl elegante Erscheinung und ihre städtebaulich umsichtige Einpassung auf Grundlage eines Programms entwickelt zu haben, das eine urbane Einbindung keineswegs explizit begünstigte. So erfolgte der erste Planungsauftrag durch die DIAG II GmbH & Co. KG als Investor vor Benennung des späteren Nutzers und zielte primär auf die Erstellung eines flexiblen, markt-tauglichen Bürobaus.

Während die Konzeption der Stadt an dieser Stelle ein Hochhaus auf quadratischem Grundriss vorsah, ergaben sich der linsenförmige Umriss und seine aus der Straßenflucht gedrehte Ausrichtung streng aus der Analyse von zur Verfügung stehender Fläche und Zweck. Der Grundriss verbindet die – durch Fluchtweglängen und Belichtung bedingten – Vorteile eines gestreckten Zweibünders mit einer zentralisierten Anordnung, bei der die Fassadenfläche vollständig den Arbeitsplätzen zur Verfügung steht. Gegenüber einer Ellipse reduziert die Linse die Radialität der Raumzuschnitte und erhöht so ihre Nutzbarkeit; an den Spitzen entstehen wiederum nahezu quadratische Räume.

Das statische System ergänzt den inneren Kern um ein Stahlbetonskelett, dessen Stützen in die Fassadenebene gesetzt wurden. Letztes erlaubt eine freie Einteilung der Fläche vom Zellenbüro bis hin zum Großraum oder deren Kombination etwa in Sondergeschossen, zu denen hier die Vorstandsräume im 19. OG und der darüber gelegene Konferenz- und Schulungsbereich zählen.

Der Kern übernimmt sämtliche infrastrukturellen Funktionen wie Aufzüge, Treppen, Nebenräume und Technikschächte. Im logischen Wechselverhältnis zu diesen konstruktiven Bedingungen und aus klimatechnischen Gründen wurde eine Lochfassade ausgebildet, die dem Gebäude sein charakteristisches Äußeres verleiht.

Fassadengestaltung

Individuell zu öffnende Fensterflügel und Brüstungen wurden hinter eine äußere Prallscheibe zurückgenommen, so dass die schmalen Öffnungen außen raumhoch erscheinen und in ein balanciertes Verhältnis zu den mit poliertem Granit verkleideten Flächen treten. (Fenster-Stahlprofile: Schüco RS 70//01, Verglasung: Semco Plus Safe).

Das Fassadenbild wandelt sich zu einem rationalen Raster, das die Struktur der Primärkonstruktion nachzeichnet und zugleich dem Gebäude im Verbund mit der spiegelnden Steinoberfläche erstaunliche Leichtigkeit verleiht. Gestützt wird der Eindruck dadurch, dass die Kopfenden der Linse als durchlaufend vertikale, abends blau illuminierte Glasfugen ausgebildet wurden. Das Gebäude erscheint nicht als massiver Körper, sondern als ein Paar zueinander gestellter, raumhaltiger Schalen, deren Stärke lediglich jener der Steinhaut entspricht.

Schließlich führt der Entwurf diese Konstellation mit zwei unterschiedlich steil angesetzten Schnitten zu Ende: Mit einfachen geometrischen Mittel entstehen zwei verschieden hohe, zeichenhafte Stirnbögen als oberer Abschluss, die unmittelbar zur inneren Qualität des Gebäudes zurückführen. So hat Gerber dem straffen Programm hinter dem höheren Bogen einen lichtdurchfluteten, bis zu 17 m hohen Raum abgerungen, der – verteilt auf die geschwungene Hauptebene und eine filigrane Empore – die Kantine beherbergt.

Darüber spannt ein gläsernes Dach, das bis auf eine unsichtbare Bedruckung auf jeglichen Sonnenschutz verzichtet und dessen schlanke, in Spiegelblech eingeschlagene Träger völlig zurücktreten.

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Klimatechnik

Insbesondere mit der Ausbildung der Lochfassade, die sich schlüssig vom statischen und räumlichen System ableitet, verweigert Eckhard Gerber bewusst die Beteiligung an einer kostenträchtigen technologischen Aufrüstung der Architektur. So reduziert die Fassade den Glasanteil erheblich und schützt das Gebäude bereits konstruktiv vor übermäßiger Aufheizung und Auskühlung; die Ausbildung der Öffnungen ergänzt dies um die Vorteile einer zweischaligen Hülle mit durchlüftetem Zwischenraum.

Innen wurden individuell zu öffnende Flügel mit Doppelverglasung angeordnet; die äußere Ebene bildet eine Prallscheibe mit horizontalen Schlitzen am oberen und unteren Ende, die vor übermäßigem Winddruck schützt und den Sonnenschutz umschließt. Die klimatischen Bedingungen lassen sich somit individuell und mittels natürlicher Belüftung regeln.

Nur zu Spitzenzeiten treten unterstützend unter den Fenstern angebrachte Einzelheizkörper bzw. eine Kühlung über konditionierte Luft und Betonkernaktivierung hinzu; in zwei Geschossen ist alternativ eine Kühldecke eingebracht.

Die Ausbildung der Fassade wird auf diese Weise Teil eines ganzheitlichen Konzepts, das darauf zielt, die räumliche Qualität und Flexibilität zu erhöhen und zugleich die individuelle Regelbarkeit eines bereits grundsätzlich optimierten Raumklimas zu maximieren.

Unter wirtschaftlich straffen Bedingungen liefert der städtebaulich und konstruktiv umsichtige Entwurf damit nicht zuletzt ein Gegenmodell zu voll gläsernen Bauten mit zweischaligem Aufbau, denen nur durch hohen technischen Aufwand der Ausgleich der ihnen immanenten Nachteile gelingt.

Architekturbüro: Gerber Architekten, Dortmund | www.gerberarchitekten.de


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